11. Januar 2009

In den Kolonien der Mittelmäßigkeit

 

Für Theo van Gogh, der kein Feminist war …

 

Paranoia ist der ideale Nährboden für die Ideologien der fundamentalistischen Lesezirkel, die nach dem 11.09.2001 vom Oberlesemuffel George W. Bush in den Kampf geführt wurden, dessen Lieblingsbuch, wen wundert es, die „Raupe Nimmersatt“ sein soll. Außerdem lesen sie dort noch gern die Bibel. Umgeblättert wird mit einem Colt.

Wenn wir wissen wollen, wie Mensch und Erde einst entstanden, so raten sie uns: Blättert im Alten Testament. Dort steht alles geschrieben.

So weit. So blöd.

Wer etwas über den Verlust von Freiheit wissen will, der sollte es mit Giorgio Agambens Buch „Ausnahmezustand“ versuchen, nicht aber mit dem Film gleichen Titels. Oder er sieht sich als Lehrstück in Sachen Unterdrückung „Die Geschichte der Dienerin“ von Volker Schlöndorff an. Der ist zwar nicht unbedingt gelungen, aber eine äußerst aktuelle Studie über die Machstrategien der Männer. Die sind es nämlich, die sich immer noch zu gern im Nähkästchen der Religionen bedienen, um eilfertig mit Nadel und Faden den Frauen die Münder zu vernähen. Und wenn das Nähzeug nicht mehr hilft, dann hängt man sie eben gleich.

Die Misthaufen, aus denen solches erwächst, sind zahlreich. Wir finden sie in Diktaturen und Demokratien. Da mag sich niemand ausnehmen. Und wer den Mund zu weit aufreißt, der findet sich auch mal schnell mit einem Messer im Rücken auf der Straße liegend. Da kann man nicht mehr kritisieren. Genau darum geht es den Fanatikern weltweit.

 

Wenn ein Film wie „Letztes Jahr in Marienbad“ sich noch völlig der Filmsprache überlässt und zuletzt nur existiert, um sich in einer abstrakten Offenheit um filmische Probleme zu kümmern, dann finden wir als Gegenwicht immer wieder Projekte, die rein aus ihrer Geschichte wachsen. Diese Filme bilden keine architektonischen Oberflächen mehr ab, sind aber auch nicht nur Tiefe; viel eher wirken sie wie Bildergeschichten, die man einem erstaunten Publikum zur Sichtung vorlegt. Als wolle man ausrufen: „Wir haben hier eine Geschichte. Seht und genießt.“

 

Volker Schlöndorff hat sich mit dem Projekt „Die Geschichte der Dienerin“, dem er als angeheuerter Regisseur zur Verfügung stand, nie ganz anfreunden können. Spätestens ab jenem fatalen Moment, da ihm das Drehbuch des englischen Dramatikers Harold Pinter serviert wurde, eine dünne Buchstabensuppe, die sich ganz in die sprachliche Verweigerungshaltung Pinters einordnete, die keinerlei Unterhaltung des Publikums mehr dienlich sein wollte, ahnte Schlöndorff, hier nicht seinen besten Film zu drehen.

Schlöndorff wurde mit diesem Skelett von einem Drehbuch nie recht glücklich, auch ein Besuch bei Pinter änderte nichts daran. Der fand das Drehbuch vorzüglich, ließ es aber Schlöndorff offen, die Szenen zu ändern. Alle Emotionalität schien für Schlöndorff gebannt und verbannt, von der literarischen Vorlage des Romans von Margaret Atwood war nicht mehr allzu viel übrig geblieben. Pinter hatte die Vorlage völlig versachlicht. Das Erstaunlichste sollte aber für den Betrachter sein, dass es dem fertigen Film nicht geschadet hat. Im Gegenteil: Es blieb leider nicht bei dem Drehbuch von Pinter. Schlöndorff änderte wohl einiges ab, fügte dazu, um so den Film auch auf die geeignete Kinolänge zu bringen. Bei der Vorlage von Pinter hätte der Film nur eine Länge von 60 Minuten gehabt.

Schlöndorff ist kein brachiales Urgenie des Kinos, kein Berserker, der nach neuen Bildwelten fahndet. Er ist ein konventioneller Erzähler. So jemanden nun als Auftragsregisseur für den amerikanischen Markt zu engagieren, ist nicht gewagt, viel eher: Es liegt nahe.

Und wenn man sich heute noch die Kommentare Schlöndorffs zu dem Film anhört, dann kann es einem ein wenig mulmig in der Herzgegend werden, wie sehr da nur für das Publikum agiert wird. Claus Peymann würde ihn da schnell aufklären. Man muss für und gegen das Publikum agieren, will man es berühren, will man es zu Berührungen mit dem Selbst kommen lassen. Solche Gedanken verschwendet Schlöndorff erst gar nicht. Er zweifelt eher an den Entscheidungen, die den Film dann ohne großes Publikum ließen. So einer schielt zu sehr auf den Markt, und das kann der Kunstform Film nie guttun. Hätte sich ein Orson Welles mit dem Zuschauergeschmack identifiziert, dann hätte er wohl nie Boden ausheben lassen, um neue Kameraperspektiven und somit neue Erzählweisen zu finden. Natürlich kann nicht jeder ein Welles sein. Schlöndorff ist denn auch keiner, da geraten ihm seine Filme zu bieder. Er, der die Literaturverfilmungen liebt, braucht die an ihn herangetragenen Geschichten, um überhaupt tätig zu werden. Leider verharrt er dann in der Abfilmung vorgefundener Nuggets. Die Produzenten kaufen die Schürfrechte, die Drehbuchautoren säubern das bereits vorhandene Gold, und Volker Schlöndorff fotografiert das Ganze dann ab. So funktioniert biederstes Bürgerkino. Da kann nur eine Fernsehfilmästhetik dabei herauskommen. Und genau diese Formel des Erzählens wurde auch bei dem Projekt „Die Geschichte der Dienerin“ eingebracht.

Natürlich funktioniert der Film auf eine gewisse Art. Er funktioniert, indem er Vehikel für die Erzählung ist.

 

Nach einem missratenen Fluchtversuch aus Gilead, einem aus den zerfallenen Staaten von Amerika hervorgegangenen alttestamentarisch geführten Land, wird Kate (gespielt von einer nicht überzeugenden Natasha Richardson, die für die ursprünglich vorgesehene Sigourney Weaver, bei der sich nicht nur Schlöndorff fragt, ob sie nicht zu „stark“ für die Rolle gewesen wäre), auf ihre Fruchtbarkeit positiv getestet, in eine Art Internierungslager verfrachtet. Dort werden die als „Dienerinnen“ bezeichneten Frauen auf ihre zukünftige Rolle als Reproduktionshüllen für die Austragung von Babys vorbereitet. Frauen, die nicht mehr fruchtbar sind, werden in die Kolonien gebracht, die verseucht keine lange Überlebenschance bieten.

Kate wird einer Familie der Oberschicht zugeteilt. Fortan dient sie dort, ganz in ein rotes Gewand gekleidet, als Abspritzbecken für den Kommandanten Fred (Robert Duvall, der gewohnt souverän aufspielt). Entsprechend der Besitzverhältnisse trägt sie fortan den Namen Offred.

 

Natürlich ist „Die Geschichte der Dienerin“ eine (leider nur mäßig interessante) Studie über Fundamentalismus. Wenn man in einer Szene die Erhängung einer „Dienerin“ auf dem Sportplatz einer Schule vorgeführt bekommt, dann tauchen schnell die Bilder erhängter Frauen durch die Taliban auf. Es mag sein, dass der Film zu früh kam, dass sich vieles durch die Regierungsübernahme von Bush junior in Realien verwandelte, diese Annahme, Heil in den sprachlichen Darbietungen des Alten Testaments zu finden.

Der Film spielt mit Widersprüchen, die offenkundig ausgetragen werden. Da sind die starken Farbmomente, die verschiedenartig eingefärbten Trachten von Dienerinnen (Rot), Wächterinnen (Braun) und den sterilen Frauen der Oberschicht (Blau), für die die „Dienerinnen“ als Gebärmaschinen herhalten müssen.

Leider löst der Film keine seiner Versprechen ein. Er ist zu wenig feministisch, zu wenig radikal und versandet so schnell in der Mittelmäßigkeit. Seine filmischen Lösungen überraschen nicht, weil sie erst gar nicht vorhanden sind.

 

Guido Rohm

 

 

Titel: Die Geschichte der Dienerin

Regie: Volker Schlöndorff

Länge: 104 (Min)

Produktionsort/-jahr: Deutschland / USA 1989

FSK: 16

EAN: 4006680044484

Erschienen bei: Arthaus

Veröffentlichungsdatum: 12.12.2008

Bildformat: 1,66:1 (anamorph)

Ton/Sprache: Dolby Digital 2.0, Deutsch, Englisch Extras:

Interview "Die Gewalt – Elegant verpackt" mit Volker Schlöndorff, Biographie des Regisseurs, Fotogalerie, Trailer, Presseheft

Hauptdarsteller: Natasha Richardson, Faye Dunaway, Aidan Quinn, Robert Duvall, Elizabeth McGovern

 

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