27. Oktober 2003

Kein Kinderspiel

 

Wenn Spielsucht wie Epilepsie eine unheilbare Krankheit ist, dann scheint die Tragödie ausweglos. Und das nicht nur, wenn der Spieler verliert, sondern auch, wenn er gewinnt, was ja auch vorkommt, aber er gewinnt ja nur, um später um so rückhaltloser zu verlieren. Und da der Spieler nicht allein dasteht, verlieren auch die, die um ihn herumstehen, Familie, Freunde, Kollegen.

Christian Dietzel verkauft mit seinem Freund und Kollegen Schmuck. Die beiden können davon ganz gut leben. So sieht es jedenfalls auf den ersten Blick aus. Aber bei den Dietzels, Mann, Frau und Sohn, nimmt das Wohnungsmobiliar von Mal zu Mal ab, der Autopark schrumpft, der Sohn kann seinen sechzehnten Geburtstag nicht angemessen feiern, da ihm das Geld seines Sparbuchs abhanden gekommen ist. Die Sucht des Spielers ist die Armut seiner nächsten Umwelt. Rücksichtslosigkeit gegenüber Wünschen anderer schürt Hass. Die freiwillige Abhängigkeit wird zu einer Beziehung zwischen Junkie und Dealer. Nur dass der Dealer hier eine absolute Setzung eines sich selbstherrlich glaubenden Ich ist. Alles, was Nicht-Ich ist, wird wie von einer Wanze angezapft, der Geldfluss als metierhaft zugeschnittener Blutfluss. Das kann nicht ewig so weitergehen. Die Dealer wider Willen widersetzen sich, orientieren sich um, lernen, nicht mehr mitzuspielen. Der Sohn verachtet, die Frau verliebt sich in den Kollegen. Dieser hat schon lange ein Auge auf Frau Dietzel geworfen. Und plötzlich ist der Weg frei. Christian Dietzel ist verschwunden. Ein Dichter herrlich schlichter Reime hat ihn um Mitternacht auf der Straße gesehen, blutend, anscheinend tot. Als die Polizei kommt, ist die „Leiche“ weg. Hat sie sich selbst weggeschleppt. War Dietzel Opfer eines Raubmordes? Wie sich herausstellt, hatte er nämlich gerade in der gegenüberliegenden Spielbank viel Geld gewonnen. Videoaufnahmen im Kasino zeigen einen auffälligen Mann, der Dietzel sofort folgt, als dieser den Roulettetisch verlässt. Dieser Mann ist ein Produzent von Volksmusik, aber er scheint sehr gewieft, oder sollte man sagen, gerade deshalb?

Zu dem offiziellen Kasino gibt es einen Nebenschauplatz, dessen Vorsitz eben dieser Produzent, Seiffert, führt. Dietzel war Gast in beiden Häusern, richtig verschuldet war er natürlich nur im verbotenen Edelschuppen Seifferts, dessen Spezialität darin besteht, Schuldscheine mit Wucherzinsen auszustellen. Die Spirale ist perfekt eingerichtet. Dietzel muss jetzt immer weiter spielen. Währenddessen hält Frau Dietzel ihre Umgebung mit fingierten SMS-Botschaften ihres Mannes bei Laune. Aber das sich gegenseitig ganz unterhaltend stichelnde männliche Kommissarspaar glaubt das nicht. Dann findet der Sohn das Handy seines Vaters in der Handtasche der Mutter. Also ist der Vater tot. Aber warum rastet der Sohn dabei so aus? Denn kurz zuvor haben die beiden Polizisten die Ehefrau an den Ort des Verbrechens verfolgt. Die Saale, in der der Wagen und ein Toter liegen. Frau Dietzel scheint noch ein bisschen mehr zu wissen als die beiden Kommissare, und so verfolgen die drei den Sohn Richtung Fluss, der scheint sich ein Leid antun zu wollen, und in einer dramatischen Schlussminute erzählen uns Kommissar Schneider und der Sohn gemeinsam den Tathergang. Ein Mord fand nicht statt. Aber das konnte Frau Dietzel ja nicht ahnen, als sie die „Leiche“ entsorgte. Kuriose Form von Familiensplitting.

 

Dieter Wenk

 

Polizeiruf 110: Der Spieler (Mai 2002)