5. November 2008

Das Kunstartige

 

Wie die Kunst mit sich selbst Probleme bekommt, aber kein Problem damit hat

 

Von Simon Starke

(Kultur & Gespenster Nr. 7)

 

 

Ein Abschweifen, weil man was anderes gelesen hat, wie zu Sehendes sich auf schon Gesehenes bezieht: Es handelt sich um eine Art Glosse auf der Titelseite der Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung (7. 6. 2008) von einer Frau namens Wäis Kiani: »Ich tanzte zu Tom Jones«. Untertitel: »Schon die Abendeinladungen sind wirklich zäh: Um die gegenwärtige Kunst wird ein zu großer Zirkus gemacht.Das Bekenntnis einer Ignorantin«. Um über Kunst zu schreiben, ist derzeit die Glosse eine angemessene Form. Sie überspringt die Genregrenzen, bei Kiani die Mode. Wäis Kiani ist Modejournalistin. Sie schreibt über Besuche auf Vernissagen, Einladungen, die zwischen privatem Fest und Kunsteröffnung nicht mehr trennen. Vom Hang, Geschäfte auf Vernissagen zu tätigen, vom Unbehagen über langweilige Gespräche mit Kunstschaffenden oder Galeristen, über alle möglichen Stillosigkeiten und was sonst noch unmöglich ist und doch passiert. Der Ton ist humorvoll abfällig, zuweilen beleidigend, natürlich geistreich und mit persönlichen Erlebnissen gespickt.

Drei Dinge fordern mich zum Schreiben auf: Frau Kianis schöner Unmut, der Begriff der Oberfläche und schließlich der dreiste Blick auf Kunst und seine Stellvertreter. Die Glosse als Schreibform also. Nur sie ist in der Lage, Kunst so beiläufig zu behandeln, wie es jene Vernissagen tun, die Kiani beschreibt. Kritik, Kunstvermittlung, Katalog usw. sind alle durchweg gezwungen, sich der Kunst tatsächlich anzunehmen. Sie stehen mit ihr in abgemachtem oder, wenn man so will, familiärem Zusammenhang. Wenn aber Kunst und Künstler erst mal auf der Hypewelle davonschwimmen, wie kriegt man sie da wieder runter?

Was einmal Begegnung mit dem Kunstwerk hieß (oder versprach), wird hier in seiner echten gesellschaftlichen Form wahrgenommen: vermischt mit Interessen, meist finanzieller Natur natürlich. Die Glosse bildet hier sozusagen eine literarische Herangehensweise, sie beschreibt »von außen«, der Sicht einer Ignorantin, einer nicht Involvierten, versinkt dabei nicht in einer Geschichte oder einem literarischen Schreibstil, sondern will schon auf einen bestimmten Umstand hinweisen: Kunstpartys wie Kunst selbst befinden sich in einer Reinwinkphase, schreibt Kiani.

Ob sich die Autorin eine eigene Vorstellung von Kunst gebildet hat, welche Arbeiten sie möglicherweise schätzt, ist völlig unerheblich. Sie will, dass es um etwas geht, das ist fantastisch.

»Ich dachte, na dann geht’s halt um nix in dem Zirkus außer: Get the party started! Ich hatte mir doch eh vorgenommen, die Oberfläche zu feiern. Nur gut aussehen sollte sie, die Oberfläche. Aber woran geht aller Glanz zugrunde? An Hybris und Indifferenz. Das killte schon Kunstwerke wie Robbie Williams …«

Oben drüber schreiben »Bekenntnis einer Ignorantin« ist freilich zynisch und eine typisch bohemieske Schnicksentour, sich von oben herab lustig machen. Kunst muss sich das verbitten (tut sie aber nicht, weil sich Lustigmachen als Zeichen von Intelligenz gewertet wird, da es mit Kenntnisreichtum spielt: Worüber man sich warum lustig macht und warum etwas gaaaanich geeht – man habe dabei diesen schönen schwulen Seufzer im Ohr, mit dem eine solche Einschätzung vorgebracht wird – in krassestem Widerspruch zum ausgespuckten oder hingegrunzten »so’n Scheiß« des Künstlers von früher). So ist der Sache tatsächlich nicht beizukommen, wenngleich ich das ablehnende Potenzial der Scheinignoranz sehr schätze.

WELCHER SACHE? WARUM BEIKOMMEN?

 

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