25. Oktober 2003

Zwei Schwestern

Zwei Schwestern

Wenn man keine neuen Bilder mehr macht, sondern nur noch die alten anschaut, oder wenn man sich als Schauspieler nur noch die eigenen Filme ansieht, weil man sich nicht mehr auf die Bühne traut oder nicht mehr vor die Kamera darf, dann ist man eigentlich schon mehr tot als lebendig. Eine Frage der Eitelkeit und eine Frage des Markts. Bei Aldrich sind es gleich zwei Frauen, auch noch Schwestern, die ihr Haus, das sie gemeinsam bewohnen, nicht mehr verlassen. Die eine hat im Erdgeschoss ihr Püppchen im Sessel sitzen, das sie früher selbst einmal war (Jane), die andere sieht oben fern und könnte auch so gar nicht mehr raus, weil sie im Rollstuhl sitzt.

Das ist überhaupt eine gute Frage, warum die behinderte Person im ersten Stock wohnt und nicht unten, wo sie auch mal in den Garten könnte, und nicht umgekehrt. Aber wenn es anders wäre, hätte man natürlich den Film nicht drehen können, der eben die ganze Immobilität zum Thema hat, Behinderung hin oder her. Denn auch Jane muss ja nicht mehr raus, die beiden haben eine Haushaltshilfe, und jede könnte so ins Unendliche weiterspielen, auch ohne reales Substrat. Aber leider sind die Schwestern nicht nur voneinander abhängig – die eine kann laufen, die andere hat das Bankkonto –, sondern sie hassen sich auch, denn leider sind zwei Stars in einer Familie, die zu unterschiedlichen Zeiten Erfolg haben, eine ganz unglückliche Konstellation, die nur zu Neid und Rachegefühlen führt. Jane war der Kinderstar und Blanche die zurückgesetzte, später war es umgekehrt, und Blanche musste büßen. Die eine fuhr die andere einfach über den Haufen, das Filmstudio legte schützend die Hand über das Ereignis. Seitdem sitzt Blanche im Rollstuhl und seitdem sind beide wieder ganz normale, unbekannte Leute bis auf die, die bei Retrospektiven Blanche nette Briefe schreiben. Das Problem ist nur, dass die Briefe nicht ankommen. Die Eifersucht geht weiter und hört nimmer auf. Blanche will das erst gar nicht wahrhaben, hält nichts von der Bösartigkeit ihrer Schwester (so die Haushaltshilfe), obwohl Blanche weiß, dass Jane sie absichtlich überfahren hat (noch so ein kleiner psychologischer Haken in der Geschichte).

Die Dinge schaukeln sich hoch, Blanche will das Haus verkaufen, das Geld wird knapp, außerdem soll die Schwester in ein Heim, sie trinkt. Jane bekommt das mit, konfrontiert Blanche mit ihrer Eigeninitiative und kehrt den Spieß um. Kein Telefon mehr, keine Haushaltshilfe mehr, keine Arzttermine, die Unterschriften für das Geld hat Jane eh schon getürkt, sie ist jetzt autark und lässt ihre Schwester völlig im Stich, der sie ihren Wellensittich und eine Ratte zum Essen vorsetzt. Warum nicht jetzt wieder die Vergangenheit aufleben lassen? Baby Jane Hudson ist wieder da. Ein Inserat, ein Anruf, ein dicker junger Mann, der schnell merkt, was im Kopf von Jane abgeht, der aber die häusliche Situation nicht bemerkt. Und der Zuschauer fragt sich, was Blanche denn noch ertragen muss, bevor sie einfach mal losbrüllt, wenn schon die Flaschenpost mit dem Zettel nichts brachte. Aber Blanche ist distinguiert – bis in den Tod. Die Dinge spitzen sich weiter zu, ein Mord, die Haushälterin weiß zu viel, der junge Mann kriegt am Ende doch noch mit, was los ist, Jane macht einen schönen Ausflug an den Strand, ein letzter Auftritt vor Publikum, die Polizei macht einen gruseligen Fund, blankes Entsetzen. So geht’s, wenn man berühmt war und nicht mehr ist und böse dazu. Besser nur fernsehen oder ins Kino gehen.

 

Dieter Wenk

 

Robert Aldrich, Was geschah wirklich mit Baby Jane? (What ever happened to Baby Jane?), USA 1962