19. Oktober 2008

Eine Farbe: Blau…

 

Ursprungsforscher treten meist auf, um irgendwann einmal zeigen zu können, wie es eigentlich gewesen ist, bevor die Sache einen Knacks bekam und kaum noch wieder zu erkennen. Meistens war aber die Zukunft von vornherein aufgegeben, man konnte nicht wieder an den Anfang zurück, die Suche war von vornherein resignativ verfasst. Karl Marx durchschaute den ein wenig sinnlosen Mechanismus und versetzte den heiligen Gral in eine zu realisierende Zukunft. Ernsthaft.

 

Dass es auch anders gehen kann, dass also die Kopie proklamiert, eigentlich der Ursprung zu sein und den spielerischen Beginn damit in Vergessenheit wirft oder dies zumindest versucht, zeigt eine Spielart der modernen Kunst, die auch heute noch viele Betrachter mehr oder weniger ratlos dastehen lässt: die monochrome Malerei. Jeder (fast) kennt die ultramarinblauen Bilder von Yves Klein, ein paar vermögen seine seltsamen Titel zu lesen („IKB“ steht für „International Klein Blue“), nur wenige wissen, dass der Maler auch ein begabter Hochstapler war, der behauptete, dass er sich diese Sorte Blau patentieren ließ (was noch niemand verifizieren konnte).

 

Anfang der 50er Jahre des 20. Jahrhunderts ging es also los, bei Yves Klein in Europa, jenseits des Atlantiks bei Robert Rauschenberg. Denys Riouts sehr ausführliche Studie, die in ihrem Untertitel „Geschichte und Archäologie eines Genres“ heißt, geht diesem Ursprungsmythos (der ja schon hier gespalten ist) nach und weist nach, dass es sich zumal bei Klein um Kronprätentionen handelt. Nicht nur, dass es in Russland um 1915 wichtige Vorläufer gab (Maleweitsch, Rodtschenko). Das Genre der monochromen Malerei geht nachweislich ins 19. Jahrhundert zurück, wovon allerdings, wie der Autor beklagt, keine Kunst- und Malereigeschichte zu berichten weiß. Maler wie Alphonse Allais, der auch schrieb, sind heute so gut wie unbekannt. Vielleicht liegt das daran, dass kein einziges der damals, Ende des 19. Jahrhunderts, ausgestellten Werke heute noch existiert. Aber vielleicht hat das auch damit zu tun, dass die Gemälde, die also nur rot oder nur schwarz oder nur weiß waren, alle mit einem eher witzigen Titel versehen waren, die die scheinbar revolutionäre Tat, die später Klein und Konsorten für sich proklamierten, ironisierten und damit unmöglich machten.

 

Riout stellt die absolut nachvollziehbare These auf, dass diese monochromen Bilder nur insofern ausgestellt werden konnten, als sie eben sich genau über das lustig machten, was ja auch gar nicht zu sehen war. Die Unterscheidungen im monochromen „Bild“ sind Gott vorbehalten. Dazu Alphonse Allais in einem seiner Feuilletons: „Ein altes arabisches Dingsbums behauptet, dass die Wahrnehmungsfähigkeit Gottes sich dahin erstreckt, in der schwärzesten Nacht auf dem schwärzesten Marmor die schwärzeste aller Ameisen erkennen zu können.“ Der arabische Subtext ist sicherlich moralisch: Gott sieht alles. Die ersten Monochromen bleiben auf der Erde, Moral wird gegen Humor ausgetauscht. Hier ein paar Titel, die gleichzeitig das erwünschte Einverständnis der Maler mit dem Publikum zeigen: „Totale Sonnenfinsternis in Zentralafrika“, „Raucherabteil unter einem Tunnel“, „Die Hochzeitsnacht des Köhlers (große tragikomische Komposition)“, oder auch: „Ein Langusten mit Tomaten essender Kardinal am Ufer des Roten Meeres“, „Chinese, der Mais über den Gelben Fluss an einem sonnigen Sommertag transportiert“. Das Spiel ließe sich endlos fortsetzen. Allais bezeichnete sich selbst scherzhaft als „artiste monochroïdal“.

 

Man befand sich damals mitten in einer Zeit, die zumindest in Frankreich bereits als Zeit der „avant-garde“ bekannt war und über die sich diese monochromen Maler vielleicht auch lustig machen wollten. Sie konnten nicht ahnen, dass man mit ihrem scherzhaften Auftritt einmal Ernst machen würde. Denn noch in den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts galt es als undenkbar, dass ein Gemälde aus nur einer und auch noch gleichmäßig aufgetragenen Farbe bestehen könne, es mussten schon mindestens zwei sein, wie chaotisch oder abstrakt auch immer appliziert. Erstaunlich dann wieder, dass bereits 1960 monochrome Malerei ein fester Bestandteil der (noch) modernen Malerei war, der sie möglicherweise, zumindest in einem bestimmten formalistischen Sinn, auch zugleich abschloss, bis Malerei dann ein paar Jahre später wieder figurativ (postmodern) weiter gehen konnte. Gerade bei der Behandlung von Yves Klein vergisst Riout nicht zu zeigen, wie sehr prätendierte Größe im Sinne von Leuchtturmanwartschaften im Grunde sofort umschlägt in Pharisäertum. Klein war ein begnadeter Selbstvermarkter, der mit Blau ins Schwarze schoss.

 

Dieter Wenk (09-08)

 

Denys Riout, La peinture monochrome, Paris 2006 (Gallimard)