19. Oktober 2008

„Atominium“

 

Der Titel führt in die Irre. Nicht nur ein bisschen, sondern doch sehr. Ob man deshalb enttäuscht ist, ist eine andere Sache. Wer aber Klaus Ferentschik kennt, z. B. als Mitglied der erlauchten pataphysischen Sozietät, wird beim Lesen dieses schmalen Bändchens zunehmend ungehalten über die Gleichung, dass dieser Roman doch nichts anderes ist als die träumerische Idylle eines Landwirts aus der Steiermark.

 

Der Held der Erzählung ist Franz Gsellmann, Jahrgang 1910, Bauer, Weltkriegsteilnehmer (II). Im Jahr 1957 träumt es ihm, eine grandiose Maschine zeigt sich ihm 30 Minuten lang (wie hat er das wohl gezählt?). Ein Jahr später sieht Gsellmann das Atomium in Brüssel als fotografische Abbildung in einer Zeitung. Die Maschine im Traum – das Atomium in Brüssel: Es scheinen Ähnlichkeiten vorzuliegen. Der Mann bricht sofort nach Brüssel auf, geht in dem fantastischen Objekt genauestens umher, merkt sich alles, und fährt umgehend wieder nach Hause in die österreichische Provinz. Jetzt beginnt sein Leben. Willkommen in Lego-Land. Gsellmann bastelt seinen Traum nach. Im Zentrum der Maschine steht eine Miniatur des Atomiums. Drumherum Girlanden von Schrott, Spielzeug, Schellen, Lampen, Motoren, Leitungen. Das ganze wächst von Jahr zu Jahr. Nebenher ist er Bauer, aber immer weniger. Der Traum, die Maschine wächst sich aus zur Obsession. Seine Frau fragt sich anfangs, wo er das liebe Geld lässt. Eine Geliebte? Aber ja. Hier ist sie. Klingelingrumdumtütütüt. Ach so.

 

Beruhigend ist das nicht. Auch die anderen Dorfbewohner werden neugierig. Was macht der Typ die ganze Zeit auf den Schrottplätzen, und warum tut er so geheimnisvoll? Nach und nach dürfen die einen oder anderen mal einen Blick riskieren. Was die Maschine soll? Gsellmann: Sie soll irgendwann mal selbstständig produzieren. Aha. Perpetuum mobile. Aber erst mal und auch lange danach wird erst mal nur angestückt. Nach Plan? Das weiß man als Leser nicht, weil man sich kein Bild von dem Objekt machen kann. Vielleicht ein chaotischer Weihnachtsbaum, etwas überdimensioniert für eine Wohnstube (6x3x2 Meter). Als Gsellmann langsam zu einer Überlokalgröße geworden ist, besucht ihn auch mal ein Regierungsrat, und von dem lässt sich der Bauer das Zauberwort eingeben: Weltmaschine. Und Ferentschik macht daraus seinen Weltmaschinenroman. Auf einem der zahlreichen Gipfel der Berühmtheit, auf die Gsellmann durchaus stolz ist, reist die ganze Grazer Autorenversammlung nach Kaag, Gemeinde Edelsbach, Sitz der Maschine. Schade, dass man hier keine Einzelheiten erfährt, für Wolfi Bauer wäre Franz Gsellmann ja schon eine ganz hervorragende Vorlage gewesen für eins seiner „schlechten“ Stücke oder Drehbücher.

 

Die Erzählweise Ferentschiks ist das große Manko dieses Buchs. Man hätte diesen Bauern ja durchaus ein wenig aufbauen können, aber dieses Buch ist ein arger Rückfall hinter Gotthelfs Idyllen. Es ist völlig witzlos. Keine Ritze für Ironie. So erzählt, sind 155 Seiten Gsellmann-Phänomenologie entschieden zu viel. Letztlich soll hier natürlich die reine Kunst gefeiert werden, denn Gsellmann läuft hier unter der Marke des naiven Künstlers, der gar nicht so recht weiß, was für ein toller Hecht er ist. Dieser Roman hätte etwas mehr ’Pataphysik verdient.

 

Dieter Wenk (10-08)

 

Klaus Ferentschik, Der Weltmaschinenroman, Berlin 2008 (Matthes & Seitz Berlin)