10. Oktober 2008

Dada rettet die Romantik

 

Alain Kupper alias Rockmaster K alias Karla K alias A.C. Kupper_Modern zeigt Bilder von Menschen. Es handelt sich um Porträts, die aus einem einfachen Wunsch heraus entstanden sind und problematische Personalities zeigen. Vielleicht soll folgende humanistische Prämisse (wieder) verstärkt werden: Dem Subjekt als Person sei so nuancenreich zu begegnen, wie es als Mensch vor dem Hintergrund banaler Sachverhalte sein will. Dabei zeichnen sich manche Schattierungen nur sehr weich ab, und wenn das ein Künstler ins Bild bringen will und sich dabei auf Film und Fotografie als leit- oder Vorbild gebendes Genre bezieht, scheint digitale Bildbearbeitung wie geschaffen dafür: Fotografie als Malerei, so wie sie es schon immer war.

Es gibt allzu viele Vorbilder, die ihre Verbindlichkeit schon längst verloren haben. Egal, ob diese Vorbilder abseitig, beruhigend oder schrill daherkommen, was interessiert, sind nie die abgelegten Versuche, sich als etwas oder jemanden zu geben. Wie oft habe ich’s schon gehört: „Ich erfinde mich immer neu“ und immer nur halb geglaubt. Aber auf die moderne Notwendigkeit der spielerischen Identifizierung hinzuweisen, war und ist wichtig, denn die Gesellschaften waren einmal verklemmter, als sie es jetzt sind, und könnten es wieder werden. Verklemmung hat vielleicht ihren Grund in der Tatsache, dass man in einer Welt lebt, die kein festes, verlässliches Gefüge mehr darstellt. Jeder Ort in der Welt, an dem ich etwas will, muss auch von mir mitkonstruiert werden; verlässt man sich auf vorgefundene Strukturen, wird man arbeitslos oder darf nicht ausstellen. Da hilft auch kein Einfamilienhaus, es nützt nichts, sich ins Atelier zurückzuziehen, man ist immer eingebettet. Viele können die seit der Romantik bestehende Freiheit und Pflicht zur Selbstbestimmung nicht aushalten und klammern sich daher an überkommene Codes. Deswegen vielleicht auch Dada, als provokative Reaktionen auf die pseudobürgerliche Reaktion: Dada als Versuch, die Romantik zu retten. Denn Romantik ist die Entdeckung der Subjektivität. Das Ich setzt sich selbst und ist dabei frei. Erst damit entstehen Sehnsüchte nach Identität, denn diese Freiheit bringt auch Entfremdung mit sich. Und heute begegnen als Nachhall dessen dementsprechend viele „ironisch personifizierte Erfindungen“, vor allem im Foyer und auf Vernissagen. Auch Alain ist Dadaist, aber ein guter.

Fräulein Kupper geht es also wie vielen um Codierungen, um Rollen, um Geschlechter, um Mode, um Film, Rockmusik, Kino, Krieg und Kunst. Nan Goldin fotografiert sich selbst mit schlag-geschwollenem Gesicht: Da hat sich wohl ein allzu entfremdetes, männliches Selbst in ein weibliches Antlitz gesetzt und Spuren hinterlassen. Oder war es eine Frau? Oder beides? Kuppers Lebensgefährtin Barbara hält auf den entsprechenden Katalogabbildungen die betroffenen Stellen mit ihren Fingern zu, Kupper macht ein Foto davon: Nan Goldin sans doleurs, ein Heilungsversuch. Die offenherzige fotografische Preisgabe intimer Verletzbarkeit ist als Nummer in vielen Katalogen abgelegt. Sogar potenziell tödliche Gewehrschüsse auf Künstler hat es als videografierte Performance schon gegeben. Fehlt nur noch der eigene Tod als öffentlich inszeniertes ultimatives Bild, und auch daran wird bereits gearbeitet: Endpunkte des Existenzialismus, auch eine Folge der Romantik.

Künstler gehen mit ihren Betroffenheiten in Bildern um. Von was ist Herr Kupper betroffen? Von der Schwierigkeit, noch Bilder zu (er)finden, die es mir ermöglichen, in ihrem Hof nuancenreiche Begegnungen zu haben? Nichts an diesen Fotomalereien erschöpft sich in etwas wie Transenkult, nichts legt sich ab in Rockerästhetik, weil die Beispiele dafür zu ihrer Zeit so gut und neu waren, dass sie heute besser wirken als ihre perfektionierten und oft lang und breit zelebrierten Nachahmungen: Das Publikum langweilte sich stundenlang mit den Videos von Matthew Barney im Kino, wo sie nicht hineinpassen, und kennt die Filme von Kenneth Anger nicht.

Die weich collagierten Bilder von Kupper halten sich in identifikatorischer Schwebe, und ich spüre trotzdem, was sie enthalten und was sie vielleicht ermöglichen können. Sie wecken mein Interesse: Was sind das für Typen? Ich kann sie nicht eindeutig zuordnen. Sie haben Mut zur hässlichen, unverdaulich grausamen Selbstvergewisserung. In ihren gefühlten Erfindungen von Mischtypen, die nichts von Fabelwesen oder sonstigem falsch verstandenem Romantik-Kitsch haben, berühren diese Bilder noralgische Punkte unserer heutigen Non-Kultur unseres Selbstverständnisses, weil sie den Menschen als fragwürdige Selbsterfindung zeigen. So wird die heutige Fülle an diesbezüglich relevanten Bildern wieder zum Schatz und Kuppers Bild-Genese verdankt sich – so wie jeder Mensch in seiner unverwechselbaren Eigenartigkeit – langen Traditionsketten unterschiedlicher Mischpoken.

 

Oliver Ross

 

 

A.C. Kupper: „Revolutionäre Mittelklasse . Et Nan Goldin sans doleurs“

Message Salon Downtown, Langstrasse 84, 8004 Zürich

8.-25. 10. 2008, Öffnungszeiten: Mittwoch 18.00 - 23.00 Uhr, Donnerstag und Samstag 14.00 - 18.00 Uhr