17. September 2008

„TSCHAU MEGA ART BABY“!

 

Wäre Kippenberger ein Unbekannter geblieben, wie viele Künstler, die in ihren Tropfsteinhöhlen meißeln und wühlen, hätte seine Lyrik ihn bekannt gemacht? Sein manisches, wirsches Treiben, das Sich-Ranknallen an das Sujet wäre eher nicht in den üblichen Anthologien gelandet. Da hätte sich Kippenberger wahrscheinlich auch nicht besonders wohl gefühlt. Oder doch?

 

Schreibende Maler haben Schriftstellern voraus, dass sie sich nicht im eng eingegrenzten Literaturbetrieb, der von Lektoren und Herausgebern durch vielerlei bizarr-normative Gesetze versperrt ist, anbiedern und narrativen Erzählstrukturen Folge leisten und sich all dem, was im Literaturbetrieb gerne als Qualitätsmerkmal angesehen wird, anpassen müssen. Verlagsleiter glauben ja, diese Kriterien brächten den Leser an die Kasse. Wo immer die auch stehen mag. Maler können daher eigentlich machen, was sie wollen. Aber die wenigstens tun dies. Die Benutzung der Sprache in der visuellen Poesie ist heute in vielen Fällen wenig markant.

 

Weil es Kippenberger immer um ALLES ging, gehen musste, sollte ... nicht um eine Geschichte, eine Story, eine Fiktion, oder Projektionsoberflächen, hat er sich um die Gesetze des Schreibens nicht sonderlich gekümmert, beziehungsweise doch: indem er sie umgangen hat.

Maler, Musiker, sogenannte Nicht-Schriftsteller, schreiben meist, wenn sie schreiben, „Das Ich“ als Manifest. Der Künstler als Ober-Ich / Produzent / Macker/in. Einer gegen alle. Und du kannst Dich bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger, an- und einklinken und dein EGO aufpolieren durch ein bisschen Teilhabe an der Identitätsstiftung.

„Echte Literatur“ geht ja eher davon aus, dass das im Text sprechende Ich ein Konstrukt ist und keineswegs deckungsgleich mit dem, was sich Autor nennt. Das gerät heutzutage zunehmend in Vergessenheit, weil das Lese-Publikum sich dann nicht so gut einklinken kann in das Identitätssurrogat. Weil dann Distanz herrscht und nicht Kanon und Wir- und Bier-Gefühl.

Kippenberger ging es in der Literatur nicht um den Kanon. Die von Diedrich Diederichsen herausgegebene Sammlung ist eine interessante, da sich hier viele Beispiele für entgrenzendes Arbeiten am Text finden lassen. Sehr geeignet zum Durchlüften der eingefahrenen Sprach- und Denkbewegungsmelder.

 

Diedrich Diederichsen beginnt sein Nachwort mit den Worten: „Die vorliegende Auswahl geht von zwei Prämissen aus: zum einen, dass es im wesentlichen drei deutlich unterscheidbar Typen von Kippenberger-Texten gibt, von denen sie jeweils besonders gelungene oder bezeichnende Exemplare präsentiert. Dies sind – erstens – die literarischen Arbeiten des jungen Kippenberger, der zeitweise mit dem Gedanken flirtet, sich zum hauptberuflichen Schriftsteller zu erklären; zweitens die Ergebnisse von ‘Textgeneratoren’, also Texte, die aus Strukturen wie der Liste, der konstanten Überschrift, den Kardinalzahlen oder künstlerischen Versuchsanordnungen (etwa: andere unter Vorgaben schreiben zu lassen) resultieren; sowie drittens Werke, die, wie die Prosa aus „Durch die Pubertät zum Erfolg“ und vor allem „Café Central“, in erster Linie wegen des Stoffs geschrieben wurden – was nicht heißt, dass Kippenberger je in die Ideologie des „reinen Erzählens“ investiert hätte, eine während der Entstehung von ‚Café Central`1987 wieder einmal beliebte Kategorie. Doch der Wunsch auch einem Gossip-Interesse an den beiden Hauptfiguren Michael Krebber und Martin Kippenberger Material zu liefern, ist nicht zu übersehen.

Die zweite, heiklere Prämisse dieser Ausgabe besteht in der Annahme, daß Kippenbergers Texte aus den künstlerischen Kontexten, in denen sie ursprünglich erschienen sind (vor allem Künstlerbücher, Kataloge, aber auch Performances), sinnvoll herauszulösen seien. Wenn dies hier geschieht, so auch deshalb, weil er selbst immer wieder Ambitionen geäußert hat, Texte nicht nur zu produzieren, sondern sie – und sich – auch im sozialen Feld der Literatur zu positionieren“.

 

Kippenberger versucht in seinen Prosatexten nicht e i n e r Spur zu folgen, sondern verwirft diese, wenn sie drohen, sich in einer nachvollziehbaren Masche oder Machart zu konstituieren, weiter zu entwickeln und sich die Fiktion zur Realität aufschwingt.

Kippenberger sei es darum gegangen, der “Ideologie des reinen Erzählens“ zu entkommen. Das ist ein Sachverhalt, den man sehr gut verstehen kann. Etwas, das in den Achtzigern unter den „Neuen Wilden“ wirklich verpönt war, weil der gesamte Literaturbetrieb mit dieser Literatur-Form zu funktionieren schien. Etwas, das heute wieder als modern gilt: Erzählen. Etwas, das mit wenigen Ausnahmen in der Literaturgeschichte immer als wichtig galt. Dem wollte und musste man entkommen, wenn man seine eigene Wahrnehmung (nicht nur beim Schreiben) ernst nahm. Dies gilt heute ebenso. Die ganzen Techniken des Cuts, des Auseinandernehmens, die Montage-Formen, die Wort- und Satzaufhäufungen, mit denen in den 60er und 70er Jahren viel experimentiert wurde, sind wie merkwürdig fast verschwunden. Vielleicht, weil Leser glauben, Dechiffrierungen leisten zu müssen? Und weil dies zu anstrengend ist? Weil der Genuss eines Textapparats als solcher nur wenigen gelingt? Aber wozu sich nach Lesern richten?! Leser können jedes Unterfangen mit ihren Erwartungen zerstören. Dem Prinzip der Erwartungsenttäuschung, das in der Kunst ein völlig normales ist, mögen sich in der Literatur nur wenige Autoren hingeben. Ein deprimierender Zustand.

 

Der Band enthält unter anderem den Zyklus „19 Gedichte“. Darin ist auch Kippenbergers Formel-1-Poem enthalten:

 

„Heute denken

morgen fertig.“

 

Einige der Texte aus der Reihe „Durch die Pubertät zum Erfolg“ wirken, als verunke Kippenberger unter anderem Wolf Wondratscheks Texttechnik aus der Kollektion „Früher begann der Tag mit einer Schusswunde“.

 

Das Gedicht „Ratschläge“ enthält die legendären zwei Zeilen:

 

„Jetzt muß ich in den Birkenwald,

Denn meine Pillen wirken bald.“

 

Das über 40-seitige „1984. Wie es wirklich war am Beispiel Knokke“ entstand in Kollaboration mit Annette Grotkasten, Texterin der Band „Bärchen und die Milchbubies“. Kippenberger beauftragte sie, eine Kurzgeschichte zu schreiben, die er vorher selbst erleben wollte. Eine klasse Idee, die sich nicht nur Fragen nach der Autorenschaft, sondern auch denen von Ursache und Wirkung in den Weg stellt.

 

Die „241 Bildtitel zum Ausleihen für Künstler“ sind zum Teil sehr lustig, dann aber auch überraschend dummdröhnig-ölig.

 

Enthalten ist auch das lange vergriffene Romanfragment „Café Central. Skizze zum Entwurf einer Romanfigur“ von 1987, ein 177-seitiges Stück mit Beobachtungen, Fragmentarischem, Gedanken, Briefen und Aufgeworfenem, das zusammen mit dem Künstler Michael Krebber entstand. Hierin sperrt sich Kippenberger nicht nur gegen den Vorantreiben des reinen Erzählens, sondern auch gegen die völlige Dekonstruktion des Textes. Mal Erzähltes wird erhöht durch abstrahiert Metaphernreiches. Und es gelingt, auf diesem schmalen Grat Kerben zu schlagen für Unvorhergesehenes. Man spürt Kippenbergers Lust, auf dem Kamm einer Welle zu reiten und hin und wieder auch mal abzusegeln.

 

Das Konvolut „People de la Muse a typical Artist poem“ ist ein essayistisches Poem mit trefflichen Bemerkungen/Ansichten zu Künstlern, Künstlerehepaaren, Galeristen, dem Kunstbetrieb, den -samkeiten und ihren Phänomenen („Kunstfreundliche Menschen, die einen ungerne ausreden lassen“, „Versuchte Enttarnung ohne Entblössung“), das mit dem Gruß endet: „TSCHAU MEGA ART BABY“!

Und alles immer schön groß geschrieben, wie sonst auch so oft. Nur diesmal in Genf, am 15. JAN. 1997. So verabschiedete sich der damals 44-Jährige, sieben Wochen vor seinem Tod.

 

Carsten Klook

 

Martin Kippenberger. Wie es wirklich war - Am Beispiel: Lyrik und Prosa

Herausgegeben von Diedrich Diederichsen, 360 Seiten, edition suhrkamp 2007

 

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