25. Oktober 2003

Eben nicht mehr fünf vor zwölf

 

„Could we have a moment of silence, please,

for those who died.

And now could we please have a moment of silence

for those who killed them.”

(Fernsehmoderator in “Twelve”)

 

 

„Langeweile ist eine Eigenschaft der Jugend“, so Einstein. Was daraus erwächst, zeigt Nick McDonell (Jahrgang 1984) in seinem Debütroman „Twelve“. Und so verlieren sich die Kritiken im Klappentext der Taschenbuchausgabe im Name-Dropping von Schriftstellern der vorangegangenen Jahrzehnte, die jeweils Ähnliches geleistet haben sollen (Hemingway, Hunter S. Thompson, Brat E. Ellis etc.). Aber gelingt es McDonnel wirklich, die unglaubliche Zeit der Jugend erneut schriftlich festzuhalten? Oder ist es nicht vielmehr nur ein weiteres Jugendbuch über weder Fisch noch Fleisch?

 

White Mike ist das Kind reicher Eltern und betreibt mit Sorgfältigkeit sein Geschäft als Drogenverteiler auf der Upper East Side in New York. Und das tut er auch, oder eben gerade während der Zeit zwischen Weihnachten und Sylvester, der Zeit, zu der alle Kids nach Hause zurückkehren, gelangweilt von ihren Internaten und Universitäten, bereit, sich mit Hingabe preiszugeben dem vermeintlich wahren Leben.

 

In literarischen, gezielten Schlingen begegnet der Leser den handelnden Personen von Kapitel zu Kapitel, jeder kennt jeden und es bedarf nicht der sprichwörtlichen fünf Ecken, um von einer Person zur nächsten zu gelangen. Diese Verschachtelung, der mal hier mal dort wiederkehrenden, auf- und untertauchenden Mitspieler im Partyleben der Großstadtkids erzeugt eine angenehme und kurzweilige Unterhaltung. Es geht voran.

 

Zwischendurch landet man immer wieder bei White Mike, der gemäß seines Namens in sich die Schizophrenie des cleanen Unschuldslamms, das die funkensprühenden Partys seiner Kinderkunden verabscheut, und andererseits des Dealers, der gleichsam das Öl ins Feuer gießt, vereinigt. Aber ist das nicht etwas an den Haaren herbeigezogen oder doch vielleicht die verrückte Großstadt, die wir nicht kennen, von der wir nur lesen dürfen? Damit alles noch etwas mysteriöser wird und da alle gebildeten Zeitgenossen Cannabis, Kokain und Speed schon kennen, wird da nicht irgendwas vertickt, sondern eine ominöse Droge namens „Twelve“. Das eignet sich dann wohl so gut als Titel, dass trotz der eigentlichen Nebenrolle dieser Droge gleich das ganze Buch danach benannt wurde. Man hätte es wahrscheinlich auch nennen können: „Denn sie wissen immer noch nicht (oder: nicht mehr), was sie tun.“

 

White Mike ist unwesentlich teilnehmender Beobachter (oder greift er doch noch ein?). Er ist das stille Wasser, tief und eben, doch manchmal flach. Er verliert sich offensichtlich teilnahmslos in der Beobachtung von Menschen in der Metropole und impliziert damit seine Sehnsucht nach Geborgenheit, Herzlichkeit und dem, was es eben alles Gutes auf der Welt, nur offensichtlich leider nicht in New York gibt. Bildungsbürgerzitate (z. B. Aeneas) und Literatennamen (z. B. Camus) werden auffällig beiläufig eingestreut und beschwören doch nur das Gefühl, dass sie dem nicht klassisch geschulten Leser das allzu übermächtige Mysterium der ultrareichen Jugend im Moloch der Großstadt verdeutlichen sollen. Ein Irrweg.

 

Angereichert wird eine vermeintliche Doppelbödigkeit mit Personen des Alltagsmysteriums. Während des Sich-treiben-lassens in der Großstadt begegnet man Menschen wie dem alten Walfänger Sven, der in kürze seine Lebensgeschichte erzählt, um diese dann mit einer Jarmuschschen Lebensweisheit zu beenden, oder wie dem stärksten Mann der Welt, der tagaus, tagein keine Zeit hat, da er seinem „Work-out“-Plan nachkommen muss. Teils gefallen diese eingestreuten Geschichten und Visionen, teils handelt es sich allerdings auch um Binsenmetaphern. Mit eben solcher wird auch folgende Problematik beantwortet: Ist denn nun diese Generation wirklich schlimmer als ihre Eltern? Nicht unbedingt. Denn auch die Jugend der Väter verantwortet Furchtbares. Jedoch gab es damals noch Moral und Schuldgefühle. Übelkeit und somatisierte Emotion bestimmte den nächsten Morgen, wenn der Alkoholrausch am Abend zuvor einen ihrer Freunde verbrennen ließ. So schimmert Hoffnung. Bleibt die Frage, wo die Moral der heutigen Jugend geblieben ist? Natürlich, schuld ist das viele Geld. So die nächste Weißheit: Jeder weiß, was ein Penny, der vom Empire State Building fällt, anrichten kann. Würde es nun Münzen regnen, könnte sich jeder vorstellen, was passiert. Verstanden? Gut, war ja auch nicht so schwer.

 

Es bleibt die Frage, was sollte diese Generation außer rauben, stehlen, morden, Drogen konsumieren und heimlich doch nicht Eminem, sondern ganz sanfte Musik hören, denn sonst machen? Am Ende ist es, wie man lernt, sowieso egal.

Immerhin ist ein geschickter neuer Geschichtenerzähler aus ihr hervorgegangen, wenn auch der richtige Inhalt noch auf sich warten lässt. Eben nicht die Klasse von 1984, sondern Jahrgang 1984.

 

Als DJ-Set ließe sich resümieren: einfache Songs und gute Übergänge, wird bestimmt bald verfilmt werden.

 

„Twelve“ von Nick Mc Donell, Grove Press Books, 2002