26. August 2008

Reihe: Ordnung sagt MACHT

 

5. September bis 2. November 2008

 

Kunstverein Harburger Bahnhof e.V.

Hannoversche Straße 85

21079 Hamburg

Geelke Gaycken, Sonja Vordermaier

Öffnungszeiten: Mi. bis So. 14 bis 18 Uhr

Harburger Kulturtag: Samstag, den 1.

Nov. 2008, 10 – 20 Uhr

 

24 Karat

»Mein Sohn«, sagte der Alte mit Schmerzen, »soll es dahin mit dir kommen, ist dieses verfluchte Metall nur zu unserm Unglück unter dieses Dach gebracht? Besinne dich, mein Lieber, so muß dir der böse Feind Blut und Leben verzehren.« »Ja«, sagte Christian, »ich verstehe mich selber nicht mehr, weder bei Tage noch in der Nacht läßt es mir Ruhe; seht, wie es mich jetzt wieder anblickt, daß mir der rote Glanz tief in mein Herz hineingeht! Horcht, wie es klingt, dies güldene Blut! Das ruft mich, wenn ich schlafe, ich höre es, wenn Musik tönt, wenn der Wind bläst, wenn Leute auf der Gasse sprechen; scheint die Sonne, so sehe ich nur diese gelben Augen, wie es mir zublinzelt, und mir heimlich ein Liebeswort ins Ohr sagen will: so muß ich mich wohl nächtlicherweise aufmachen, um nur seinem Liebesdrang genugzutun, und dann fühle ich es innerlich jauchzen und frohlocken, wenn ich es mit meinen Fingern berühre, es wird vor Freuden immer röter und herrlicher; schaut nur selbst die Glut der Entzückung an!« Der Greis nahm schaudernd und weinend den Sohn in seine Arme, betete und sprach dann: »Christel, du mußt dich wieder zum Worte Gottes wenden, du mußt fleißiger und andächtiger in die Kirche gehen, sonst wirst du verschmachten und im traurigsten Elende dich verzehren.« (Ludwig Tieck, »Der Runenberg«, 1804)

 

Halleluja

Macht ist nicht ausschließlich gewalttätig, ruppig und rüde, bombastisch oder pompös, sie ist elegant, von souveräner Unauffälligkeit und kann, besonders gut in der verdeckten Variante, die ihr Unterworfenen glauben machen, dass sie wollen, was sie sollen. Gewalt in jeder Form ist kein gesellschaftlicher Unfall, sondern normale Machtausübung und zuverlässige Konfliktstrategie. Man kann das entweder im Börsenblatt, bei Clausewitz oder in der Sun Tsu Kriegskunst nachlesen, letzteres hat angeblich auch Napoleon getan.

Für Machthaber unterscheidet man fünf Charakterzüge, die gefährlich sind: Wer bereit ist zu sterben, kann getötet werden; wer nach dem Leben dürstet, kann in Gefangenschaft geraten; Wüteriche können beschämt werden; solchen, die zu puritanisch sind, kann Schande bereitet werden; jene, die das Volk lieben, können in Schwierigkeiten geraten. Tja, das Stichwort heißt offenbar: Contenance! Machtkritik lässt sich, wie man sieht, umstandslos durch Machtbegeisterung ersetzen.

 

Goldesser, Danziger Goldwasser 40% Promille, etwas für Testosteron induzierte Wettkämpfe, Schwanzlängen als anthropologische Machtkonstante, Dummheit, gekrönt vom Wunsch des Königs Midas, bei dem sich dann bekanntlich alles, bis knapp vor Hungertod, in Gold verwandelte, was er berührte. Leider hilft gegen Dummheit keine Überlebensfolie.

Im Windschatten alles Aufgeblähten bildet sich stets ein geschütztes Feld. Ein Windschattenparlament der Macht, der das Parlament seine Legitimation und Immunität verdankt Schmarotzer, Gecken und Lobbyisten, Mätressen, Claqueure, Deserteure und angehende Terroristen. Überwachen und Strafen, Foucault mit Gefängnis-Zaun rundherum, man könnte den Zaun auch verharmlosen durch einen Vergleich mit Sportplätzen im Freien. Man müsste sich dann über Leistungssport und Drogenmissbrauch umständlich wieder an eindeutige Machtkonstellationen heranarbeiten. So eine Übermenschen Nummer wie sie auch den guten Rodion Raskolnikow anwandelt, was dann zu Schuld und Sühne oder neuer übersetzt Verbrechen und Strafe führt. Repression statt Prävention.

 

Physikalische Modelle sind verglichen mit Literatur ein wenig tranig, da sie sich auf Naturgesetze gründen (kapiert zwar auch fast niemand, funktioniert aber zuverlässig). Es bleibt also für die nächsten 1000 Jahre beim magischen Denken, und ein wenig darüber Bescheid wissen auch, aber es gibt keinen Fortschritt fürs Bewusstsein, geschweige denn Wissen. Aber Wissen ist sowieso keine Macht, nur absolutes Wissen wäre Macht.

»Wir fahren zu Berg. Das Wasser fließt aufwärts.« »Die Hitze«, rief ich, »das kochende Wasser ...« »Sei ruhig, ich leite Gutes daraus ab, wir geraten in einen Vulkanausbruch, glücklicher konnten wir es wirklich nicht treffen«, sagte mein Onkel, es ist der kürzeste Weg nach oben.« Jules Verne, »Reise zum Mittelpunkt der Erde«, 1864

(Nora Sdun)

 

 

 

 

Die Ausstellung Reihe:Ordnung sagt – MACHT zeigt die fünfte Folge des im Jahr 2007 begonnenen und bis 2009 geplanten Ausstellungszyklus Reihe:Ordnung, der unter verschiedenen Schlagworten (Arbeit, Liebe, Geld, Sex, Macht, Freiheit, Zukunft) zeitgenössische KünstlerInnen, -gruppen und Ausstellungsmodelle vorstellt und ihren ästhetischen Zugriff auf das jeweilige Thema verhandelt.

 

Die Reihe:Ordnung ist eine indirekte Herausforderung von Seiten des Publikums an die teilnehmenden KünstlerInnen. Die titelgebenden Schlagworte suggerieren eine konkrete Erwartungshaltung, die vor der Betrachtung steht. Die Stärke und Freiheit der damit konfrontierten künstlerischen Produktion besteht darin, genau an diesem Punkt ansetzen zu können. So zeigte der Berliner Künstler Stefan Pente zuletzt unter dem Titel »Sex« eben nicht, wie zu erwarten, Bilder von Körpern, sondern thematisierte die Konstruktion von Körperlichkeit, genauer – den Blick auf Körper.

 

Auch die in einem mehrwöchigen Prozess vor Ort entstandene Ausstellung der Hamburger Künstlerinnen Geelke Gaycken und Sonja Vordermaier illustriert nicht die bleischweren Folgen von Macht und Machtgebrauch, sondern thematisiert den Moment, in dem sich Macht in Sinne eines Verhältnisses konstituiert, zwischen zwei Personen, zwischen Materialien und ihren Zuständen, zwischen Größenverhältnissen und Ordnungsformen. Es geht um Handlungen, die andere Handlungen und Handlungsräume strukturieren.

 

So entwickeln sie einen Prozess der ästhetischen Formfindung, den sie im vergangenen Jahr anlässlich ihrer Zusammenarbeit im Kunstverein Arbon, Schweiz, unter dem Titel »L’Etat Rochade« erstmalig erprobt haben. Gaycken und Vordermaier treten dabei in einen materialintensiven Schöpfungsdialog, in dem sie mit- und gegeneinander agieren und reagieren, ohne dabei das Gemeinsame und die Gesamtinszenierung aus dem Blick zu verlieren.

 

Im Rahmen der Ausstellung wird der Kunstverein Harburger Bahnhof in drei Veranstaltungen seine eigenen Strukturen in drei Podiumsdiskussionen be- und hinterfragen.

 

Kunstverein Harburger Bahnhof e.V.

 

 

26. August 2008

 

Zu der "Reihe Ordnung sagt:" sind im Textem Verlag Revues erschienen:

Textem Verlag