25. August 2008

Werkshalle, Bretterzaun, Parabolantennen

 

Man meint es beim Betrachten der Werke von Jeannette Fabis mit opponierenden Bestandteilen zu tun zu haben. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass diese Kontraste, Resultat einer Reduzierung der wirkenden Bestandteile sind, bei der es nicht in erster Linie um kontrastierende Materialien geht, sondern hier Entscheidungen zugunsten einer klaren Formation getroffen wurden.

Ein äußerst sanfter Umgang mit dem Thema wie dem Material trifft auf eine präzise, formale Strenge. Ein träumerisch märchenhaftes Sujet, wie zum Beispiel im Film „Hirschpark“ oder den gebauten Höhlen, in denen exemplarisch Fluchtorte für Phantastereien zum Thema gemacht sind, wird realisiert in einer Form, deren Knappheit kein romantisierendes Schwärmen gestattet. Niemals schreit ein Ding in den Ausstellungen von Jeannette Fabis nach Aufmerksamkeit oder brüllt einen simplen Slogan. Die Objekte und Papierarbeiten sind ruhig, und in Strenge gefasst können sie warten. Sie sind komplett.

 

Durch die Zeichnungen, Objekte und Fotografien wird ein Prozess angeregt, der ein aufreizend verwirrendes Spiel mit der Bildung von Zeichen und Strukturen im Werk sowie als Beschreibung von Welt treibt.

 

Prinzipiell sind Zeichen Bezugsmöglichkeiten auf die Repräsentationen von Welt. Ist die Vorstellung des Zeichens bedeutender als diejenige des Bezeichneten, so nennt man die entsprechende Erkenntnis symbolisch. Ist dagegen die Vorstellung des Bezeichneten bedeutender als diejenige des Zeichens und gibt es kein sprachliches Zeichen was ihren Bedeutungsgehalt ausschöpfen könnte, so ist die Anschauung in diesem Fall die Vorstellung von reicherer Bedeutung als in Vergleich zu jedem denkbaren Zeichen.

 

Man kann also die sensitiv-ästhetische Erkenntnisweise durchaus säuberlich von der intellektuell-symbolischen trennen. Man kann dem Sensitiv-Ästhetischen andere Struktureigenschaften zuordnen, zum Beispiel Komplexität statt Diskursivität. Die ästhetisch sensitive Erkenntnis ist nicht eine Vorstufe des Rationalen, sondern beansprucht einen eigenen systematischen Status. Aber was will man damit? Es ist nützlich, so kleinteilig anzufangen und sicherzustellen, dass man es hier nicht mit wildem Assoziationsamok zu tun hat, sondern eben mit sensitiven Zeichenkomplexen.

 

Strukturalisten, und Jeannette Fabis könnte man eine Strukturalistin nennen, untersuchen nicht so sehr die Phänomene selbst (die Verwunderung beim Betrachten der eigenen Hände), sondern vielmehr ihre Beziehungen zu anderen vergleichbaren Phänomenen. Es ist bei Sozialwissenschaftlern die Suche nach Regelsystemen für soziokulturelle und bei Künstlern die Suche nach ästhetischen Phänomenen, die immer wiederkehren (Spiegelungen, Rapport, Muster). Spürt man, im Rahmen einer ästhetisch sensitiven Erkenntnis die „kleinsten invariablen Einheiten“ (Levi-Strauss) auf, die sich wieder miteinander kombinieren lassen, wie in einer Grammatik, bei der man ohne Gefährdung des Sinns, aber nicht beliebige Variationen entwickeln kann, so lassen sich Modelle erstellen, die auf die reduzierteste, einfachste und eleganteste Weise erklären, was man in der Fülle von Welt unmöglich sehen kann. Dieser ganze Strukturalismuskomplex erklärt die unbedingte Strenge der Werke von Fabis, die „kleinsten Invariablen“, die Beziehungen der Elemente untereinander und, um dies sichtbar zu machen, den notwendigen Verzicht auf allen Dekor.

 

Die Strukturen, die bei Jeannette Fabis ins Bild finden, können winzig, aber genauso gut haushoch sein, der Quellpunkt der Untersuchungen wird nicht verschleiert, ist aber unaufdringlich und die Tatsache, dass es sich bei den Abbildungen um einen Bretterzaun oder eine Werkshalle handelt, ist so offenkundig wie gleichgültig, nicht im Sinne von beliebig, sondern im Sinne einer Gleichwertigkeit aller zu beobachtenden Phänomene. Es geht nicht um bestimmte Werkshallen oder genau diese Porzellanteller, sondern um Strukturen, die sich beobachten lassen – überall, in einem sozial-räumlichen Sinne (Werkshalle, Bretterzaun, Parabolantennen ...), also so, wie es auch Anthropologen (Strukturalisten) machen würden, oder in einer abstrahierten Version der gleichen Erkundung, als feinste Zerfaserung, als Flecken (Stanzungen in Papier) oder flüchtige optische Täuschungen. Das Porzellanteller übereinander gestapelt an Isolatoren erinnern oder ein Astloch im Holzfußboden aussieht wie eine Nacktschnecke, sind Wideraufrufungen von Bekanntem der Welt, die nicht identisch sind mit den Begebenheiten des Werks. Das man sich über diese Strukturen an Gegenstände der vollgestellten Welt erinnert fühlt, ist ein heiterer Effekt der Arbeiten, der Moment des Erinnerns ist Bestandteil der Arbeit – nur eben nicht dokumentarisch, sondern exzessiv beobachtend, zu einem Komplex aus „kleinsten invariablen Einheiten“ abstrahiert. Fabis verfährt nicht entlarvend, dennoch legt sie Strukturen offen, die den in ihnen lebenden und nach ihnen handelnden Individuen selten bewusst sind, trotzdem sind diese Strukturen nicht irreal, sie bewähren sich an der Wirklichkeit, indem sie diese verständlich machen.

 

Die Arbeiten von Jeannette Fabis sind von großer Klarheit. Es ist eine extensive Klarheit im Gegensatz zur intensiven Klarheit begrifflicher Distinktion. Die Klarheit breitet sich extensiv, mit einer Merkmalsfülle über das gesamte Setting einer Ausstellung, ohne an einer Stelle gebündelt zu einem intensiven, schlagenden Argument geformt zu sein.

 

Wenn der Anthropologe Fritz Kramer betont, „das Exotische ist seiner Struktur nach Gegenstand der Ahnung, nicht des Wissens, der Schau, nicht der Beobachtung“, meint er damit nicht nur ferne Weltgegenden mit Palmenstränden und Dschungelwald, sondern beschreibt damit präzise die Vorstellungen, die einem beim Betrachten von Kunst begegnen. Kunst argumentiert nicht, auch wenn man bei der formalen Klarheit der Arbeiten von Jeannette Fabis das Statement jederzeit erwartet.

 

Nora Sdun

 

 

 

25. August 2008

 

Jeannette Fabis: beyond and after

10 Seiten, Preis 5 Euro,

Textem-Verlag 2007

ISBN 978-3-938801-43-7

 

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