24. Oktober 2003

Nietzsche meets Oscar Wilde

 

Selbsternannte Übermenschen sind meist nur ziemlich überheblich und nerven andere. Der Übermensch kann nur einmal erfunden werden, alles weitere ergibt Karikaturen. Also Dogmatiker. Die angerufenen begnadeten Zweiten und Dritten sehen das natürlich anders. Sie verstehen ihr hohes Dasein als Wink dessen, der es verschmäht oder der einfach nicht mehr dazu in der Lage ist, vielleicht weil er schon tot ist, auch sie noch zu vernichten. Starke Menschen, so die Doktrin, die geflüsterte, haben das Recht zu töten. Sie haben sogar die Pflicht, da irgendwo geschrieben steht, dass lebensunwertes Leben ausgemerzt werden muss.

Philippe und Brandom, zwei lustige Studenten der Uni Princeton, haben sich das zu Herzen genommen. Irgendwann hatte ihr Lehrer Rupert (James Stewart) ihnen mal von Friedrich Nietzsche erzählt. Das hat ihnen so gut gefallen, dass sie dachten, das doch auch mal umzusetzen. Gesagt, getan. Ein Kollege, der allerdings den Makel besitzt, die Uni Harvard zu besuchen, ist das Opfer, dem wie gesagt kein Recht auf Leben unterstellt wird. Erstaunliche Schlussfolgerungen für ein Hochplateau, zu denen sich aber noch Kategorienfehler gesellen, denn auf einmal halten die beiden Handlanger sich zu Gute, mit dem Mord einen „acte gratuit“ ausgeübt zu haben, also eine zweckfreie Handlung, die nicht immer nur wohltätig ist. Wenn so viel durcheinander gerät, nimmt es nicht Wunder, dass der deklarierte perfekte Mord schnell des Dilettantismus überführt wird. Und der Geschmacklosigkeit, denn neben Nietzsche ist es Oscar Wilde, dessen Salon-Ästhetizismus auf der Party, die der Film zeigt, eine sehr krude Wiederauferstehung feiert. Zumal sich die beiden Salonlöwen mehr und mehr wie betrunkene Häschen verhalten. Die Haken, die da geschlagen werden, lassen den Zyniker Rupert, der aber noch viele andere Berufe hat, die Ohren spitzen, und die Party verliert schnell ihren eigentlichen festlichen Charakter, weil sie genau das Element vermissen lässt, was auch einen Mord auszeichnet, das Motiv.

Niemand weiß so recht, warum man überhaupt zusammengekommen ist. Niemand weiß außerdem, warum ein Gast, eben jener beseitigte Douglas, nicht erschienen ist. Da diese beiden Abwesenheiten so schön verteilt sind auf die Gastgeber und die wartenden Gäste, die teils mit dem Opfer verwandt und verlobt sind, ist es nur logisch, sich nach einem gemeinsamen dritten Element umzuschauen, das diese Lücken erklären könnte. Unaufhaltsam nähert sich das Pendel der Kiste, in der mit Sicherheit auch eine Erstausgabe von Edgar Allan Poe’s „The Tell-Tale Heart“ und anderer Geschichten lag, bevor man sie, die Kiste, zum Sarg und zum Altar umfunktionierte, und man wartet schon darauf, nachdem der schlaue Rupert noch einmal an den Ort des heiligen Verbrechens zurückgekommen ist, dass der mittlerweile total nervöse, ängstliche und betrunkene Philipp, das leider ein wenig schwächliche und überschätzte Glied der Tat, das Maul aufreißt, und fast als Zitat dem unwillkommenen Schnüffler entgegenschleudert: „Tear up the blankets, I admit the deed“. Man kann nie vorher wissen, ob man auf der Höhe seines eigenen Engagements steht. Manche wollen es allerdings auch gar nicht wissen.

 

Dieter Wenk

 

Alfred Hitchcock, Cocktail für eine Leiche (Rope), USA 1948