23. Oktober 2003

Alex Katz schaut zu

 

Zwanzig Jahre zuvor, 1960, hatte der Psychiater, der Norman Bates in „Psycho“ untersuchte, ausgeschlossen, dass es sich bei diesem um einen Transsexuellen handele. Norman war zwar auch dressed to kill, aber seine Psychose war eine Emanation aus den von der Psychoanalyse verwalteten Familienverließen. Die Abweichung des Doktor Elliott führt einen Schritt hinaus aus dem alten Familienroman, der gleichwohl die anderen Figuren weiterhin überschattet. Kaputte Ehen, in die Genialität getriebene Söhne, simulierte Mutterhörigkeiten von Edelnutten, und mittendrin ein Psychiater, dessen zweites Ich gleich selbst bei einem Kollegen vorspricht. Wie in „Psycho“ tritt die Frau hier klassischerweise als Mutter und als Prostituierte auf. Kate ist eine frustrierte Ehefrau und Mutter, die Duschszene gleich am Anfang dieses Films zeigt sie als leidendes altes Mädchen, das den Gatten nicht mehr anspricht und das sich dagegen gerne von einem Tier anspringen lässt – aber das ist nur ein Traum, ihr Mann schläft zwar wirklich mit ihr, aber als Frühsport, wo sie die Matte abgibt. Tätschel, tätschel. Gehen allein stehende oder vernachlässigte Frauen deshalb so gern ins Museum?

Während Kate vor einem Bild von Alex Katz sitzt (ein Ausdruck einer Frau zwischen Paul Gauguin und Roy Lichtenstein), nimmt tatsächlich ein sehr attraktiver Mann neben ihr Platz, während sie noch ihre Neurose pflegt. Sie schaut den Mann an, die Verletzung kriegt sie nicht aus ihrem Gesicht, das ist schon phänomenal, wie sich das in ein Gesicht einschreibt. Der Mann ist eine black box, die Reißaus nimmt (?), als Kate ihren Handschuh auszieht und ihr Ehering zum Vorschein kommt. Unbewusste Zerstörung einer doch insgeheim gewünschten Begegnung? Sie geht ihm nach, durch das ganze Museum, das ist so spannend wie eine Verfolgungsjagd von verrückten Autos. Dann die Szene mit dem zuckenden Handschuh im Fensterrahmen des Taxis, nachdem Kate die Suche schon aufgegeben hatte. Nach dem Fick mit dem Mann kommt ihr zufällig ein Dokument in die Hand, das angibt, dass der Typ sich eine Geschlechtskrankheit zugezogen hat. Das ist bitter. Aber es kommt noch schlimmer. Im Fahrstuhl wird sie von einer Frau mit einem Rasiermesser niedergemetzelt. Auch jetzt zuckt eine Hand, im Spalt einer sich nicht schließen könnenden Fahrstuhltür, aber den gut aussehenden Mann sehen wir nie wieder, Ende dieser Episode. Auf tritt jetzt die zweite Materialisierung der Frau, die Hure, die Zeugin des Vorfalls war und sich gemeinsam mit dem Sohn der Ermordeten auf die Suche nach dem Mörder begibt. Auch für Doktor Elliott gilt der Spruch, dass er immer wieder an den Schauplatz des Verbrechens zurückkehren muss. Sei es als frei schwebender Analytiker, sei es als selbst schwerst Kranker, der in sich ein zweites Ich trägt (Bobbie), das nichts mehr wünscht, als Frau zu werden, und das sehr eifersüchtig ist (wie die Mutter Normans) auf alle Frauen, die das Begehren des männlichen Mitbewohners in diesem falschen Körper erregen. Kate musste deshalb sterben, sie war eine seiner Patientinnen und wollte ihn natürlich verführen (in dieser umgekehrten black box, die das Behandlungszimmer des Psychoanalytikers ist), und auch Liz, die Hure begibt sich unwissentlich in Gefahr, als sie Elliott sexuell erregt, um an wichtige Dokumente zu kommen.

Zeit für einen Kleidungswechsel, aber wie in „Psycho“ (die Geschwindigkeit dieser Szene kann Brian de Palma jedoch nicht einholen), rettet ein Dritter, hier der Inspektor, die junge Frau vor Bobbie. Und wie in Hitchcocks Film bekommen wir endlich eine Erklärung über das Grauenvolle, das sich Personen bemächtigt und die eigentlich nichts dafür können, dass sie abweichen und morden. Der wissenschaftliche Segen hat ja immer etwas Beruhigendes, aber so genau wollte man das gar nicht wissen. Aber ein paar Jahre später sind auch diese Erklärungen wunderbar aufgehoben.

 

Dieter Wenk

 

Brian de Palma, Dressed to kill, USA 1980