27. Juli 2008

Exhibitionismus

 

Spätestens seit den Erfolgen Mawils und Flix` feiert der autobiografische Comic auch im deutschsprachigen Raum fröhliche Urständ, knüpft an eine vornehmlich kanadische Erzähltradition an, die wiederum Robert Crumb einiges zu verdanken hat. Speziell der Reprodukt-Verlag hat sich um zahlreiche Übersetzungen jener Nische verdient gemacht. Da erstaunt es, dass Joe Matt, immerhin so etwas wie ein kanonisiertes Urgestein, erst so spät dazustößt. Nun hat die Edition 52 den Sammelband "The Poor Bastard", dessen Geschichten zuvor in Matts Heftreihe "Peepshow" abgedruckt wurden, veröffentlicht, unter dem Titel "Peepshow". Nicht wirklich verwirrend, immerhin wird hiermit eine erste Lücke des kanadischen Underground-Comics geschlossen, der Name Joe Matt wird nun mal vornehmlich mit Peepshow assoziiert. Und überhaupt: Der Name ist Programm. Es braucht nicht das ewig bemühte Klischee eines von Muskelprotzen und tittenbelasteten Dominas bestimmten Mediums, in dem der alles einebnenden adoleszenten Fantasie von allmächtiger Virilität zaghaft mit einem Konzept der und Bekenntnis zur eigenen Schwäche und Verletzlichkeit entgegnet wird. Realness is the new Violence, sozusagen. Derartige Lesarten reduzieren den Comic auf Zweigstellen, die noch nie seiner Bandbreite entsprachen, und scheinen doch in erster Linie eine Lanze für die verkannte Schundliteratur brechen zu wollen. Der Ritterschlag des Kunstverdikts muss indes nicht in Form der Fürsprache von Idioten erfolgen, käme es doch dem Versuch gleich, Kunst an den dümmsten Gliedern der Kette ihrer Rezipienten zu bemessen. Braucht kein Mensch.

 

Wer aber nun, quasi Flix-geschult, die etwas verschämte und selbstironische Aufarbeitung eines recht funktionstüchtigen Zeichnerlebens erwartet, könnte mitunter etwas verschreckt auf Matts schonungslosen Exhibitionismus reagieren. Zwar bringt auch er die nötige Selbstironie ins Spiel, sie wird aber doch von seiner kompromittierenden Offenheit überschattet. Relativ am Rande des Existenzminimums sein Dasein fristend, sind es in erster Linie Frauen und Pornos, die sein Leben bestimmen. Gerät es ein weiteres Mal zu sehr aus den Fugen, sind die Zeichnerkollegen Seth und Chester Brown regulierend zur Stelle, und sei es bloß, um den Rattenschwanz wieder aufzugreifen, der Matts Kosmos so unrühmlich bestimmt. Schon die Anwesenheit der beiden macht es leicht, das Geschehen als authentisches zu akzeptieren, folglich also auch dem vorschnellen Impuls nachzugeben, Autoren und Figur in eins zu setzen. Ein Effekt, der in der Binnenerzählung recht adäquat interessante Ergebnisse zeitigt: wenn etwa erboste Bekannte die Freundschaft aufkündigen, weil sie nun, wie der Leser, auf jene Geschichten stießen, deren zentralen Hauptfiguren sie selbst bildeten (man mag es ihnen angesichts der geistigen Kapriolen, die an sie geknüpft waren, nicht wirklich verdenken). So menschlich Porno-Obsessionen auch sein mögen, einem Zuviel an öffentlichem Seelen-Striptease kann denn auch schnell irritierte Distanz folgen. Die Qual der Wahl, wenn das Leben die Kunst diktiert. Der grafische Schwarzweiß-Stil ist ganz auf den Entblößungscharakter ausgerichtet: Fast konservativ mutet der im Regelfall klassische Seitenaufbau an: sechs Panels, paarweise in drei Reihen aufgeteilt. Halbtotale und Nahaufnahmen bestimmen den Erzählfluss, der Fokus ist deutlich auf die Mimik der Protagonisten gerichtet.

 

Kurzum: Das Spiel zwischen grenzenlosem Exhibitionismus und beschämendem Voyeurismus ist hier von besonderer Güte, aber eben auch kalkuliertes Ziel jedweder Erzählprinzipien. Einen empathischen Eindruck vom Charakter des Erzählers gibt es jedenfalls galonenweise. Resultat? Ich für meinen Teil könnte nicht sagen, dass ich Matt nicht nachts begegnen möchte. Würde bereits tagsüber drauf verzichten können. Konklusion? Ganz klar ein kleines Meisterstück.

 

Sven Jachmann

 

Joe Matt: Peepshow, 176 Seiten, Edition 52, 17 Euro

 

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