9. Juli 2008

Eulen nach Athen

 

Die Eulen nach Athen zu tragen oder der Versuch, Moebius schreibend zu erfassen – das eine verlacht der Volksmund, das andere wohl der gesunde Menschenverstand. Denn es gibt viel zu Moebius aka Jean Giraud zu sagen und wurde bereits auch reichhaltig getan. Nun feierte er am 8. Mai 2008 seinen 70. Geburtstag und Cross Cult spendiert zwei wohlgeratene Neuausgaben seiner programmatischen Werke, die, das lässt sich ohne Übertreibung behaupten, eine Initialwirkung für den europäischen Comic bedeuteten: „Arzach“ und „Die hermetische Garage“. Dieser Umstand ist eng verwoben mit der Emanzipation einiger Zeichnerkollegen von Rene Goscinys Magazin „Pilote“ und der daraus resultierenden Gründung der Zeitschrift „Mètal Hurlant“, zu deren Redaktionskern neben Moebius auch Philippe Druillet und Jean-Pierre Dionnet zählten. Hier etablierte sich das, was man, statt von Stil zu sprechen, eher als das Paradigma Moebius bezeichnen sollte und sich zuvor 1973 bereits in „Pilote“ mit der Kurzgeschichte „Die Umleitung“ (die dankenswerterweise ebenfalls im Arzach-Band enthalten ist) andeutete (die deutschen bzw. amerikanischen Ableger „Schwermetall“ bzw. „Heavy Metal“ sollten zur internationalen Verbreitung das ihrige leisten). Dem strukturell eng gefassten Tuschestil Jean Girauds in „Blueberry“ stehen nun die linienbetonenden, präzisen Federzeichnungen Moebius’ gegenüber, die durch die engen Schraffuren und Schattierungen (die sich in „Der Umleitung“ noch als teils ungelenke Kreuzschraffuren zeigen) eine regelrecht plastische Dreidimensionalität erzeugen. Das strenge Genrekorsett des Westerns wurde zugunsten einer zur Absurdität neigenden Erzählhaltung abgestriffen.

 

Moebius’ Alter Ego aus der „Umleitung“ hat also einen neuen Weg beschritten, der sich den Konventionen von Form und Inhalt entledigen möchte und so unmittelbar in den assoziativen, traumartigen, symbolisch höchst aufgeladenen Welten der „hermetischen Garage“ mündet, die zugleich aber auch von einer noch strichbetonteren Klarheit erfasst sind. Der Stil fügt sich dabei stets den jeweiligen Kapiteln, Perspektiven und Kompositionen an. Dies war Teil des Programms. Es existierte lediglich das Fragment eines Szenarios. Stattdessen näherte sich Moebius mit jedem Kapitel spontan der Geschichte an. So folgt der Leser der Major-Grubert-Figur bei seiner unermüdlichen Suche nach besagter Garage in einer von Archaik wie Technologisierung gleichermaßen bestimmten Science-Fiction-Welt, muss sich dabei allerdings auf so manche Ungeradlinigkeit gefasst machen: Handlungsfäden werden angerissen, Bedeutungen gestreut, aber nicht wieder aufgegriffen, selbst die Hauptfigur wandelt immer wieder ihre Physiognomie, vom Funny-Charakter bis zum detailversessenen Realismus. Die hochgradig naturwissenschaftlich anmutende und bis ins Groteske gesteigerte Sprache der Technik sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier allenfalls die Gesetze einer Traumwelt gelten. Dass sich dieses Spiel mit den Formen und Möglichkeiten auch in den Kompositionen, dem Seitenaufbau, den Zeitdimensionen, ja selbst in den Versuchen einer Integration der Sprechblasen in die Ästhetik des Panels niederschlug, braucht keine weitere Erwähnung.

 

Noch mehr zu Moebius’ Reputation trugen die Farbexperimente aus „Arzach“ bei. Auch wenn die Hauptfigur dieser Kurzgeschichten im Titel beständig einen neuen Namen zugewiesen bekommt (und somit eine gewisse strukturelle Beziehung zur Garage besteht), brilliert das wortlose Geschehen durch den psychedelischen Farbeinsatz, der, auch wenn dieser Eindruck vom nicht zu leugnenden Witz oftmals konterkariert wird, der seltsamen Umgebung eine abstoßende und Gefahr suggerierende Kälte anverleibt. Trotz der Abwesenheit von Bewegungslinien erzeugt Moebius hier vor allem durch die eigenwillige Montage, die Farbakzentuierung und vor allem damals noch ungewöhnlichen Perspektive des Blicks eine nicht minder ungewöhnliche Dynamik. Der Krieger Arzach bewegt sich stumm auf seinem betonartigen Flugsaurier durch eine abweisende Landschaft, die mal von Fleisch fressenden Gräsern, mal von gigantischen Skeletten gesäumt ist. Ob er ein Ziel besitzt, ist nicht zu deuten. Deswegen wird die Welt selbst zum Träger der Geschichte, ihre Topografie zum Bildnis archetypischer Symbolismen, die direkt den Träumen entsprungen sein könnten. Der Effekt war eine Wiederbelebung des amerikanischen Underground, der zuvor überhaupt erst die Freiheit, die bei „Métal Hurlant“ gepflegt wurde, in die Wege leitete. Moebius kann als Schnittstelle gelten für diese Korrespondenz von Form und Inhalt, der die Erweiterung des Inhaltlichen von amerikanischer Seite vorausging und die später dann insbesondere von Art Spiegelman verfeinert werden sollte.

 

Die Edition selbst lässt keine Wünsche offen: Beide Hardcover-Bände wurden einheitlich gestaltet und mit einem Vorwort von Moebius und Martin Jurgeit versehen. Fazit? Ein wegweisendes Stück Comicgeschichte ist wieder verfügbar, ergo: Freude. Passiert schließlich selten genug.

 

Sven Jachmann

 

 

Moebius: Arzach, 56 Seiten, Cross Cult 2008, 16 Euro

Cohen+Dobernigg Buchhandel

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Moebius: Die hermetische Garage, 120 Seiten, Cross Cult 2008, 19, 80 Euro

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