30. Juni 2008

Glamrock-Königsdrama

 

BBC Klassiker "Blake’s 7"

 

„Eine Frau strandet allein auf einem feindlichen Planeten inmitten eines intergalaktischen Kriegs. Sie trägt ein makelloses, bodenlanges weißes Abendkleid, Perlen und hochhackige Schuhe. In den nächsten Stunden wird sie ...

A. ... heulen/wimmern/gefangen genommen und wartet geduldig darauf, gerettet zu werden?

Oder

B. ... einen gesuchten Kriminellen verführen, schamlos mit der Tochter ihres Gastgebers flirten – dann eine Waffe stehlen, ihren Gastgeber hinterrücks erschießen, flüchten und versuchen, den Einheimischen Waffen zu verkaufen?“ (Ilka Willis: Servalan: Why you must worship her!)

 

Vorsicht, wir befinden uns nicht bei den braven Pfadfindern von der Enterprise, sondern Ende der 1970er Jahre im Vereinigten Königreich. Und wer die Werke vom frühen Alan Moore gelesen hat, sollte mit der düsteren Atmosphäre vertraut sein, die sich mit dem Namen der Premierministerin Margaret Thatcher und ihrer Aufkündigung des gesellschaftlichen Zusammenhalts verbinden. Die Insel mit ihrer kolonialen Vergangenheit hat einerseits klassische Dystopien wie George Orwells 1984 und Aldous Huxleys Brave New World hervorgebracht, andererseits beheimatet sie den Wald von Sherwood, in dem Robin Hood mit seiner Truppe gegen den Sheriff von Nottingham für Gerechtigkeit kämpft.

 

Roj Blake ist solch ein Robin Hood, irgendwo auf der zukünftigen Erde, die von der Föderation beherrscht wird. Die Föderation ist ein hochgerüstetes Imperium, das sich tief ins Weltall erstreckt und seine Bevölkerung mit manipulierten Speisen, Getränken und künstlicher Luft sediert. Falls nötig, greift die Föderation zu harten Mitteln wie Massaker an Rebellen, Schauprozessen mit fingierten Beweisen, Gehirnwäsche und Abschiebungen in Strafkolonien. In der ersten Folge The Way Back, die am 2. Januar 1978 von BBC One ausgestrahlt wurde, droht Blake dieses Schicksal. Mit dem kleinen Shuttle London soll er mit anderen Gefangenen auf den Planeten Cygnus Alpha abgeschoben werden. Auf dem Flug bemerken die Offiziere der London, dass in ihrer Nähe eine Schlacht unbekannter Raumschiffe stattfindet. Nachdem sich der Schlagabtausch gelegt hat, weicht die Besatzung vom Kurs ab, um das übrig gebliebene Schiff zu inspizieren, das ein Vermögen wert sein könnte. Die mutigen Offiziere finden jedoch allzu rasch den Tod. Deswegen werden die rechtlosen Gefangenen benutzt, die Falle zu überwinden – Blake und seine Mitgefangenen, der kriminelle Computertechniker Kerr Avon, der feige Dieb Vila Restal, der Mörder Olag Gan und die Schmugglerin Jenna Stannis, bilden das Himmelfahrtskommando. Sobald ihnen das Unmögliche gelingt, nutzen sie ihre Chance, kapern das fremde Schiff, die Liberator, fliehen und nehmen den Kampf gegen die Föderation auf.

 

Was damals 6 bis 11 Millionen Zuschauer vor die Mattscheibe lockte, wird heute in Großbritannien und den USA von einem treuen, umtriebigen Fandom hochgeschätzt, das nur von den Fans der Serie Dr Who mengenmäßig überrundet wird. Dr Who ist jedoch ein Catch-22, bei dem Schnittflächen unvermeidlich sind. So ist der geistige Vater der Serie ebenfalls der Urheber der Daleks, jener bösartigen Roboter, die wie Mülltonnen mit Geschütztürmen aussehen, die Menschheit eliminieren und ihren Feind, den Timelord Dr Who, vernichten wollen. Und der Australier Dudley Simpson, der über zehn Jahre lang für Dr Who komponierte, ist neben der Titelmelodie für die Musik von 50 der 52 Folgen verantwortlich. Der sechste Darsteller des Timelord, Colin Baker, darf als Bayban, der Schlächter und Berserker, in der dritten Staffel reizbar, grausam und gefährlich werden. Außerdem entstand die Serie unter ähnlich bescheidenen Bedingungen wie der ehrwürdige Vorgänger aus den 1950er Jahren – irgendwo heißt es, das Budget für Spezialeffekte habe pro Episode 50 Pfund betragen. Trotz des knappen Etats konnte sich die britische Produktion gegen die damals gerade importierten Star Trek-Folgen behaupten und vom Science-Fiction-Fieber profitieren, das durch George Lucas’ Kinohit Star Wars erneut entfacht wurde. Der Grund dafür liegt unter anderem in narrativen Wagnissen und Innovationen, von dem moderne britische SF-Autoren wie Stephen Baxter, Alastair Reynolds und Iain M. Banks schwärmen.

 

Jede Staffel bildet einen Story-Arc, der mit einem Cliffhanger endet: In der ersten Staffel erfahren die Rebellen von ihrem neuen Crewmitglied, dem Computer Orac, dass die Liberator in wenigen Minuten explodieren wird; In der zweiten Staffel droht eine Invasion der Andromeda, der selbst die Föderation nicht gewachsen ist, und Blake scheint tödlich getroffen; In der dritten Staffel verlieren Blakes Sieben die Liberator und das endgültige Finale adelt die Serie zum elisabethanischen Königsdrama.

 

Das wird allerdings erst durch die ambivalenten Charaktere, die moralische Indifferenz und die realistische Psychologie möglich. Nation sah Blakes Rebellen noch als The Dirty Dozen im Weltall. Sein künstlerischer Partner, der Script Editor Chris Boucher, die die Ausarbeitung seiner Entwürfe überwachte, orientierte sich ab der zweiten Staffel außer an realen Revolutionären wie Zapata vorwiegend an Western. Paul Darrow, der Darsteller des Avon und ein Fan des Genres, durfte in seiner Rolle Zeilen aus The Wild Bunch und Butch Cassidy and the Sundance Kid zitieren. Sowohl die Föderation als auch die Rebellen kämpfen mit harten Bandagen, sind auf ihren eigenen Vorteil bedacht und gehen über Leichen, wenn es sein muss. Die Verluste sind hoch, auch im Starring der Serie. Von Staffel zu Staffel ändert sich die Crew des Rebellenschiffs, und die Gegner auf Seiten der Föderation, die ehrgeizige Supreme Commander Servalan und ihr Offizier Travis, gewinnen an Profil. Die prachtvoll gewandete Servalan jagt zwar Blake, Avon und ihre Verbündeten, ohne sie je zu fassen, aber sie legt dabei einen Stil an den Tag, als wäre es nicht Susan Sontag, die den Begriff Camp erfunden hat, sondern sie höchstpersönlich. Und sie ist es auch, auf die sich die Frage aus dem ersten Absatz bezieht: B natürlich. Denn Servalan, grandios gespielt von Jacqueline Pearce, ist (zumindest zeitweise) die Präsidentin der Terranischen Föderation, Vorsitzende des Hohen Rates, Herrin der Inneren und Äußeren Welten, Hochadmiral der Galaktischen Flotte, Lord General der Sechs Armeen und Verteidigerin der Erde. Anfangs erscheint sie als Dame in futuristischem Weiß, häufig in weißen Räumen, während ihr Untergebener Travis in knirschend glänzendem Schwarz auftritt, mit einem künstlichen Auge, das wie eine schwarze Augenklappe wirkt, und einen künstlichen Arm im selben Ton. Ein Insidergag unter Fans ist die Bemerkung, dass Darth Vader Servalan die Stiefel lecken würde, wären die beiden im selben Universum. Nun ja, ihr Handlanger Travis wirkt in seiner Kluft wie eine Reminiszenz an den Gegner und Vater von Luke Skywalker – und dessen Schicksal erfüllt sich ja in der letzten Episode der zweiten Staffel.

 

Zum Genuss wird die Serie durch die zahlreichen Details der komplexen Geschichte, die sich wie bei Wimmelbildern manchmal im Hintergrund befinden. Außerdem gibt es diverse Folgen, in der fremde Spezies und Kulturen sich einfach so verhalten, wie sie es gewohnt sind, ohne dass etwas erklärt wird. Und im Vergleich zur übersichtlichen Länge der Serie glänzt das Ensemble in einfallsreichen, sich fast ständig ändernden Kostümen. Diese Augenweide unter den BBC-Klassikern reizt wieder und wieder zum Entdecken – die einzelnen Staffeln gibt es inzwischen auf DVD, und 42 der 52 Folgen lassen sich in pixeliger Qualität bei youtube besichtigen.

Suchtgefahr!

 

Britta Madeleine Woitschig

 

 

Terry Nation: Blake’s 7, 4 Staffeln zu je 13 Folgen, GB 1978-1981

 

de.youtube.com/watch