28. Juni 2008

Ironische Solidarität

 

Mit Ciorans Ausspruch „Ein Buch, das sich, nachdem es alles zerrissen hat, nicht selbst zerreißt, hat uns vergeblich in Erregung versetzt“ müsste man eigentlich davon ausgehen, mit dem Band „Kritik der postmodernen Vernunft“ einen anständigen Verriss in Händen zu halten, der sich nicht scheut, Selbstkritik bis zur Selbstzerfleischung durchzuführen. Heftig wird allerorten über die Postmoderne hergezogen, was immer auch darunter verstanden wird. Oder aber sie ist überhaupt kein Thema mehr, sondern angeschlossen wird wieder freimütig an die Moderne, was immer darunter nun wieder zu verstehen ist. Doch nein, mit diesem Sammelband ist es anders. Den Herausgebern und Autoren ist ein Unternehmen geglückt, das seinen Gegenstand nicht diskreditiert, sondern argumentativ kritisiert und zu erneuter Lektüre postmoderner Schriften anregt. Die Sammlung enthält kritische Essays namhafter Autoren aus Deutschland, den Niederlanden und den USA. Sie behandeln Philosophen wie Jacques Derrida, Michel Foucault, Richard Rorty, Peter Sloterdijk und Hans Blumenberg. Deren Vernunftkritik wird ernst genommen, doch wird den Voraussetzungen dieser Kritik nachgegangen und eine „Kritik der postmodernen Vernunft“ versucht. Gerade weil die Postmoderne als so wirkmächtig angenommen wird, sie aber bisher kaum einer ernsthaften Kritik unterzogen wurde, ein lohnender Versuch – nicht nur für die Philosophie. „Da die Wirkung der postmodernen Theoretiker weit über das philosophische Feld hinausreicht, ist die hier geführte Debatte für alle Menschen von Belang“, heißt es bedeutend im Klappentext.

 

Schaut man sich den Kreis der Mitwirkenden genauer an, war das nicht von vornherein absehbar. Markus Enders beispielsweise ist Professor für christliche Religionsphilosophie an der Universität Freiburg, Bernd Goebel Professor an der Theologischen Fakultät Fulda, Vittorio Hösle lehrt an der Universität von Notre Dame und Karlheinz Ruhstorfer ist gar Professor für Dogmatik und Fundamentaltheologie. Dass in diesem Umfeld die Postmoderne einen schlechten Ruf genießt, wäre mehr als zu erwarten. Und es ist natürlich wahnsinnig lustig, wenn sich „Theologen“ über postmoderne Philosophen auslassen. Aber sie machen ihre Sache gut. Der postmodernen Neurodermitis, bei der, so sie voll zum Ausbruch kommt, alles offen ist und man sich überall kratzen muss, nicht nur mehr am Kopf, ist diese Aufsatzsammlung ein geeignetes Heilmittel. Sloterdijk wird das Wort abgeschnitten, ohne seine Gedankengänge zu simplifizieren. Der schlichte Hinweis auf den einen oder anderen Selbstwiderspruch oder, auch beliebt bei Sloterdijk und anderen, tautologisches Gewirr, wie es eben gerne vorkommt bei „großen Würfen“, genügt, um mit Vergnügen eine Polemik wie von Vittorio Hösle zu lesen, die wie auch der Text von Fernando Suárez Müller dem Metaphernwald des Fernsehphilosophen klug zu Leibe rückt.

 

In „ironischer Solidarität“ begegnen die Autoren dem Postmodernismus – im Vorwort erklären die Herausgeber, dass sie bei der Postmoderne nicht von einer Epoche ausgehen, sondern von einer Strömung, weshalb sie den Begriff des Postmodernismus vorziehen. Die Kritik richtet sich deshalb nicht an eine abgeschlossene Denkschule, sondern ganz allgemein werden Tugenden wie Wahrheitsanspruch und Moral wieder eingefordert, solange es sich denn überhaupt um Philosophie handeln soll. Aufklärerisch wird die Forderung gestellt, die postmodernen Philosophen müssten ihre Kritik an sich selbst anwenden. Das Augenmerk gilt daher vor allem dem Selbstwiderspruch eines uneingestandenen Wahrheitsanspruchs und der mangelnden Historisierung der postmodernen Philosophie. Doch stellt sich die Fragen, ob es sich bei solcher Art Kritik nicht doch nur um selbstrechtfertigende Anschlussfähigkeit in der Philosophie handelt. Die Skepsis gegenüber großen Würfen ist heute leider so stark, dass es auch kaum mehr welche gibt. Die im Buch geäußerte Kritik ist nicht mehr als eine Reaktion auf die Irrationalität und Selbstwidersprüche des Postmodernismus. Zu eigenen philosophischen Systemen reicht sie dagegen nicht. So harsch die Kritik an den Abwegen der Postmodernisten ist, als unhintergehbar wird die Denkströmung dennoch angesehen. Ein einfaches Zurück kann es nicht geben. Und doch tun die Autoren dieses Bands so, als wären die Erträge der Postmodernisten ohne die Selbstwidersprüche zu haben, was es aber erst zu beweisen gelte. Denn inwiefern der vermeintliche Selbstwiderspruch nicht doch auch wieder als Rhetorik verstanden werden kann, bleibt offen.

 

Der in der Postmoderne latente Nihilismus ist den Autoren der Stachel, der sie gegen die Postmodernen wie Derrida, Foucault etc. und gegen die Sphären und Schäume aufbringt. Es fehlen, wie das Vorwort auch einräumt, allerdings wesentliche Protagonisten und auch die Auswahl der behandelten Autoren erstaunt zumindest. Lyotard und Deleuze beispielsweise werden nur am Rande behandelt. Ob Heidegger dagegen der Postmoderne zugeschrieben werden kann, ist mehr als fraglich. Die Moralfreiheit seiner Philosophie ist nur ein schlechter Hinweis. Hervorragend sind dagegen zwei Aufsätze, die Postmoderne und antike Sophistik gegenüberstellen. „Anscheinend vermag der menschliche Geist nur eine begrenzte Zahl von Grundpositionen einzunehmen“, heißt es in dem verblüffenden Vergleich. Auch der großartige Text zu Derridas Hegelinterpretation der Antigone sei hervorgehoben. Die Kritik an Derrida hätte dabei allerdings noch pointierter ausfallen können. Auffällig ist das In-Schutz-Nehmen der Vorkämpfer wie Foucault und Derrida vor ihren Apologeten und Imitatoren. „Während es Foucault, dem wichtigsten Denker unter den Postmodernisten, noch klar war, dass das metaphysische Denken in der Moderne durch die neue globale Kugel des Humanismus ersetzt wird, fehlt bei Sloterdijk jede Einsicht in die globale Struktur der modernen Sphärologie.“ Oder noch härter: „Waren die postmodernen Herrenmenschen aus den 1970er Jahren noch heroische Retter der Differenz und Zerstörung des Systems, so scheint Sloterdijk eher vom Schaum des modernen Wohlstands hypnotisiert.“ Dabei verheddert sich Sloterdijk trotz zahlreicher Widersprüche nicht mal in einem Fundamentalwiderspruch, da er in die Zynik abschweift.

 

Ein sehr brauchbarer Kommentar in diesem Zusammenhang, welcher kürzlich auf einer Ausstellung in Hamburg zu besichtigen war, zeigte ein zweiseitig beschriftetes Plakat: „ohne Diridari“ (bayrisch für Geld), „kein Derrida“ war die knappe Information. Womit die unangenehme postmoderne Logik offenbar wird. Einer sich nur im Konsum fühlenden und aufgehenden Bevölkerung, die ohne weiteren Bedarf an was für einem Überbau auch immer im Schaumbad ihrer Befindlichkeiten daherplätschert - allerdings nur, solange sie sich dieses Schaumbad wird leisten können. Dass die Postmoderne sich mit diesen Argumentationen als eine ausgesprochen westliche kapitalistische Philosophie betrachten lässt, die selbst nur mit Befindlichkeiten und Gedankenkonfetti spielt, können die sieben Autoren deutlich machen, ohne greinend nach Besserem zu verlangen, denn den postmodernen Denkern wird nicht am Zeug geflickt, dieses Denken ist heute unhintergehbar. Es wird allerdings ein Austausch gefordert, der die Schaumbadenden und vor allem natürlich ihre schon völlig aufgeweichten Leser wieder in die Nähe von nicht aufzulösenden Menschheitsfragen bringen sollte. Die Autoren des Bands „Kritik der postmodernen Vernunft“ winken sozusagen mit festen Frotteehandtüchern alter Schule. Ob sich die Postmodernisten von ihren Selbstwidersprüchen befreien lassen, wenn man sie abtrocknet, bleibt allerdings abzuwarten.

 

Gustav Mechlenburg

 

Goebel, Bernd / Müller, Fernando Suárez (Hrsg.): Kritik der postmodernen Vernunft

Über Derrida, Foucault und andere zeitgenössische Denker. Darmstadt WBG 2007. 272 S., Fadenh., geb., Verlagsausgabe EUR 59,90

 

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