12. Juni 2008

Wiederholung und Widerhall

 

Der seit 2000 installierte und im Zusammenhang mit der Whitney Biennale vergebene Bucksbaum Award gilt als „the world's largest award given to an individual visual artist“, und nach Raymond Pettibon oder Mark Bradford darf sich nun der 1972 in Jerusalem geborene und in Berlin lebende Omer Fast über das nicht eben bescheidene Preisgeld von 100.000 $ freuen – ein geeigneter Anlass, jene Videoarbeit vorzustellen, die dem Künstler diese lukrativen Weihen bescherte.

 

Die 2007 entstandene und erstmals im Wiener mumok gezeigte Vier-Kanal-Installation nennt sich „The Casting“ und lässt also bereits im Titel anklingen, dass es auch um die Produktionsbedingungen einer solchen Arbeit geht. Die als Schleife angelegte Dramaturgie verstrickt im Grunde drei Szenerien: Zwei – nacherzählte und nachgestellte – Erlebnisse eines U.S.-amerikanischen Soldaten. Das eine Mal ein tragischer militärischer Zwischenfall im Irak, das andere Mal eine irritierende amouröse Begegnung mit einer jungen Frau während seiner Stationierung in Deutschland; die dritte Episode fungiert einerseits als Rahmenhandlung, da es sich um das Vorsprechen des nämlichen Soldaten mit seiner Geschichte vor einem Filmteam handelt, womit Fast die Entstehung der Arbeit selbst reflektiert (indem er das Dispositiv zur Schau stellt), andererseits inszeniert er diese Metaebene trotz ihrer mehrmaligen Funktion als Unterbrechung der Erzählung und trotz der Selbstbezüglichkeit mit den gleichen Mitteln wie die fiktionalisierten Rückblenden, nämlich als filmische tableaux vivants. Wie in Bewegung geratene Pathosformeln hauchen die Luft in dramatischer Weise der Wind den Gewändern der stillstehenden Akteure Leben ein, deren eingefrorene Gestik und Mimik aufgrund der langen Einstellungen zu wackeln, zu zittern, aus diesem festen Gefüge sich zu lösen beginnen – so wie das offensichtliche Trauma des Erzählers im Moment des Erinnerns, der Vergegenwärtigung, an die Oberfläche tritt. Zugleich stellen diese beunruhigenden Schauspiele – gewollt oder nicht – einen Bezug zu jenen eindringlichen Bildern her, die am Gedenktag der gefallenen Soldaten das gesamte öffentliche Leben in Israel minutenlang in geradezu unwirklichem Stillstand zeigen (und wovon Yael Bartana bereits vor einigen Jahren mit „Trembling Time“ fast schon gespenstische Eindrücke einfing).

 

Den fragmentarischen und überaus artifiziellen Charakter dieser bildgewaltigen Erinnerungsarbeit betont Fast mithilfe der Montage, indem er die beiden Geschichten ineinander verwebt: sowohl über die kompositorische Aufteilung in zwei versetzt nebeneinander positionierte Screens, die den Aspekt der Überlagerung und Korrelation prägnant veranschaulicht, als auch wesentlich über die Tonspur. In welchem Ausmaß er dabei als Autor selbst die Finger im Spiel hatte, zeigt sich auf der nicht nur metaphorischen Rückseite der Projektionsflächen. Ein dumpfer Widerhall des projizierten Lichts macht sich nämlich im hinteren Raum bemerkbar, sodass man irgendwann diese andere Seite zu inspizieren geneigt ist, wo sich die veritable Volte dieser Installation offenbart. Auf den gleichen, rückwärtigen Screens nämlich sehen wir einen anderen Soldaten, dessen Worte und Mundbewegungen synchronisiert sind und der also nicht mehr nur über voice-over kommuniziert. Ähnlich verwirrend wie die scheinbar nahtlosen Übergänge der – subjektiv eben nicht – disparaten Erzählstränge auf der Vorderseite wirken nun die mitunter aberwitzig schnell geschnittenen Satz-Konstruktionen. Erkennbar wird dieses kühne Operieren mit den sprachlichen Versatzstücken anhand der frappanten Bildsprünge, die sich durch die jede  Chronologie ignorierende Verwendung des Drehmaterials ergeben, kenntlich gemacht durch differierenden Arrangements der Aufnahmen, aber auch unterschiedliche Kleidung. Und schließlich ist da noch Omer Fast selbst, der die Gespräche mit dem Soldaten führt, als jeweils in separaten Bildrahmen verbleibende Gegenüber, doch auch in dieser Rolle wird er diesem audiovisuellen Eingriff unterworfen, sodass die beiden Figuren in mal kaum merklichem, mal heftigem Staccato die Bildseiten wechseln: Eine eindeutige Zuschreibung von aktiver und passiver Teilnahme (und Teilhabe am Erzählvorgang) wird damit zusehends brüchig, so wie die Reaktion auf das Gesagte in Fasts Gesicht gleichsam uns als – ein ebenso involviertes – Publikum spiegelt. Die Koordinaten des normierenden Raum-Zeit-Gefüges sind hier also gehörig durcheinandergeraten, was den seelischen Zustand des Interviewten wohl sehr adäquat vermittelt, aber auch den Standpunkt der (medialen) Betrachtung zum Thema macht und über diese stark stilisierte Fiktionalisierung des Realen eine generelle Skepsis gegenüber dem filmischen Bild zum Ausdruck bringt. Das eigentliche Verdienst dieser Arbeit besteht allerdings darin, diese didaktischen Ansprüche wie nebenbei zu bedienen und in erster Linie eine überaus sinnliche, ja betörende Artikulationsform entwickelt zu haben. „The Casting“ also zu verstehen nicht nur als eine Vokabel einschlägiger Fernsehformate (wobei es ohnehin im eigentlichen Sinne die ‚Rollenverteilung’ meint), sondern auch als die Bezeichnung für die Suche nach einer Form und sodann – im bildhauerischen Sinne – für deren Entstehung, also für den Prozess an sich.

 

Naoko Kaltschmidt

 

Omer Fast: The Casting, 2007