Komm mit mir nach Papaya



Die geniale Web-2.0-Kunstfigur Alexander Marcus mischt Elektro und Schlager und ist vielleicht gar keine Kunstfigur

Am Samstag ist ja wieder Grand Prix und wenn man mal alle ironische wie ernste Hysterie, die um diesen Schlagerwettbewerb gemacht wird, in einen Mixer schmeißt, kommt vielleicht am Ende Alexander Marcus raus. Alexander Marcus ist eine Kunstfigur, die vielleicht gar keine ist, die vielleicht gerade deswegen so ernsthaft zwischen Ironie und Ernst flirren kann, weil sie nicht erfunden und also keine Kunstfigur ist. In jedem Falle mischt dieser Alexander Marcus recht satte Elektro- und Dancefloorbeats mit den Melodien und Texten von Schlagern, und heraus kommen merkwürdige Ohrwurmzwitter, deren theoretischer Reiz darin besteht, dass man nie weiß, wie sie gemeint sind, und deren praktischer Reiz es ist, dass sie, wie immer sie gemeint sind, funktionieren. Das einprägsamste Lied dieser Kunst- oder Nichtkunstfigur heißt „Papaya“, der Text geht so: „Die Fische ham’s am Feuer erzählt, da gibt‘s ein Land, in dem die Liebe regiert: Komm mit mir nach Papaya!“, darunter, unter diesen Zeilen, wummert‘s und flibbert‘s, als wäre man in der Housedisse. Wenn man das hört, denkt man erst mal: „HÄ?“ - wenn man dann weiterhört, denkt man als Nächstes: „HÄÄÄ?“, um im nächsten Moment „HÄÄÄÄÄÄÄ?“ zu denken. Und ganz zum Schluss will man das Lied noch mal hören.

Andere Lieder von Alexander Marcus heißen „Ciao Bella“, „Spiel, Satz und Sieg“ oder „1, 2, 3“, dessen Text so geht: „Heute hauen wir richtig auf die Pauke, und der ganze Ärger bleibt zu Haus. Wir wandern von der Oder bis zum Rhein, es ist angezapft, komm schenk was ein! Hussassa, Hussassa, Heia! Heute brennt die Hütte, die ganze Nacht von Flensburg bis nach Garmisch und zurück, singen wir zusammen unser Lied! Wir singen eins, zwei, drei - oh, du wunderschöne Loreley, endlich geht’s nach vorne, schwarz, rot, gold, das sind unsere Farben, der Wagen rollt!“ Wem da die Nackenhaare hochgehen, sei auf die Videos verwiesen, in denen das Gesungene ins komplett Lächerliche gezogen wird: Alexander Marcus taucht in allen seinen Videos als dümmlich lächelnde Lichtgestalt auf, dessen bloße auratische Anwesenheit Wunder bewirken kann. So bringt er in merkwürdigem Falco-Frack und rosa Hose ein stehen gebliebenes Auto wieder zum Fahren, im Video zu eben jenem „1, 2, 3“ nämlich. In „Spiel, Satz und Sieg“ taucht er in einer völlig surrealen Handlung in einem Café auf, und schnappt dem Barista die Blondine weg, während er im Film zu „Papaya“ Plastikmeerestierbehangen und in gleicher rosa Hose, die sein Markenzeichen ist, an einer Insel angeschwemmt wird, was sich später als Traum entpuppt. Alle Videos haben gemeinsam, dass Alexander Marcus in recht gekonnte, teils moonwalkartige Tanzschritte fällt. Mit den ironisierenden Videos kann man also gar singen, dass Schwarz, Rot, Gold unsere Farben wären, und in dieser Rückkopplung zwischen Visuellem und Musik spiegelt sich nur ein Effekt, der genauso ohne die Videos in der reinen Musik eintritt: In ihr ist quasi antizipiert, dass sie entsetzlich ist. Und in diesem Sinne kann man Alexander Marcus nur mögen, wenn man ihn vorher schrecklich fand. Adäquat zum Prinzip der Pre-Taste-Music von Gonzales, deren Wirkungsweise darin besteht zu funktionieren, bevor man seinen Geschmack befragt, handelt es sich bei Alexander Marcus also um Post-Taste-Music, die sich nur dann entfaltet, wenn man seinen Geschmack bereits befragt hat, aber dann eben auch dazu bereit ist, ihn komplett abzuschalten.

Von diesem Post-Taste-Prinzip zeugt auch der Spruch, mit dem ein Alexander-Marcus-T-Shirt beworben wird. Er lautet: „Bekenne Dich!“ Was ja nichts anderes heißt, als dass es Fans zu geben scheint, die ihre Vorliebe für die Musik von Alexander Marcus nicht offenbaren - aus Scham. Der Popticker hat zwar noch kein Shirt, bekennt sich aber doch: Ich habe Spaß an Alexander Marcus.

David Gieselmann, popticker.de