20. Mai 2008

Interview mit Peter Geyer

 

 

FRAGE: Welcher Ruf eilte Kinski 1971 in Deutschland voraus?

 

GEYER: Wohl hat man aus der Presse viel über den Luxus erfahren, mit dem Klaus Kinski sich umgab. Er hatte diese Schlosskirche in der Via Appia in Rom und wohnte da mit vielen Prominenten in der Nachbarschaft. Er hatte einen extrem teuren Hausstand, mit Wagenpark und Koch und Haushältern. Jeden  Abend Party, Champagner und Essen ... Das gehörte zu seinem Leben dazu.  Aber, ich glaube, dass Kinski selbst und sein Lebenswandel nicht das Problem war, das "Jesus Christus Erlöser" hat eskalieren lassen. Das Problem war in jener Zeit, dass die 68er ihre Antiautorität sehr autoritär verordnen wollten.

 

FRAGE: Hat Kinski nicht selbst auch mal gerne einen Skandal provoziert?

 

GEYER: Wenn man sich den Film genau ansieht, dann weiß man: Der hatte nie einen Skandal kalkuliert. Das mag heute noch eine Rechtfertigung derjenigen sein, die damals als Presse völlig versagt haben und es immer noch nicht eingestehen können. Die geplante Tournee ist ja abgebrochen worden, weil die Presse ihn verrissen hat. Aber wenn man sich das heute betrachtet, kann man sich schon so einiges fragen. Da steht Kinski also gerade mal auf der Bühne und hat begonnen: "Gesucht wird Jesus Christus", und nach einer kurzen Aufzählung folgt: "Beruf: Arbeiter". Und schon ruft einer dazwischen: "Du hast doch nie gearbeitet!" Das ist eigentlich nicht die Haltung, die ich einem bezahlten Vortrag entgegenbringen würde. Und wenn mein Sohn mir morgens sagt: "Ich habe da für eine Veranstaltung zehn Mark ausgegeben und nach fünf Minuten habe ich angefangen dazwischenzuschreien und zu schimpften",  dann  würde ich ihn schon fragen: "Warum hast du denn das gemacht?"

 

FRAGE: Wie lässt sich das womöglich erklären?

 

GEYER:  Erklären lässt sich das nicht. Da werden sich viele dazu aufschwingen  zu behaupten: Man müsse doch den Hintergrund verstehen. Was muss ich, bitteschön, da den Hintergrund verstehen? Dummheit hat keinen Hintergrund. Es gibt rational überhaupt keinen Grund, zehn Mark für eine Rezitation auszugeben, die man nicht hören will.

 

FRAGE: Ist Ihr Film also auch eine Abrechnung mit der Sponti-Kultur der 68er?

 

GEYER: Natürlich zeigt der Film, in seiner Dramaturgie ganz nebenbei, aber nicht zufällig auch sehr viel über die 68er. Und ebenso sehr beabsichtigt und ungeschminkt einen ungeschminkten Kinski – so,  wie wir ihn noch nie gesehen haben. Wir sehen ihn in einer Situation, auf die er nicht vorbereit ist, in der er sich nicht hinter Boss-Attitüden und "Ich geh jetzt"-Drohungen verstecken kann. Er will nicht abbrechen und muss um seinen Vortrag kämpfen, um Fassung ringen. Es gibt eine tolle Szene, wo er einen Moment Pause macht und sagt: "Ich muss mich leider unterbrechen und ein Zitat von Jesus bringen, das heißt: 'Da, wo man zu dumm und borniert ist, euch anzuhören, haltet euch nicht auf, geht weiter.'" Das ist großartig, dass ihm das in den Sprechpausen einfällt. Natürlich ist das kein Zitat von Jesus, sondern von ihm, aber so wie er das entwickelt: toll!

 

 

FRAGE: Wie ist es eigentlich zu dem Abend gekommen?

 

GEYER: Die Filmindustrie in Italien steckte damals in einer Krise: Das Fernsehen kam auf und Kinski hatte zuvor in Italien die Strategie entwickelt, möglichst wenige Drehtage besonders teuer zu verkaufen. Da gibt es unzählige Filme, in denen er nur einen kurzen Auftritt hatte, aber groß auf dem Plakat stand, weil er ein Garant für viel Publikum war. Spätestens seit "Leichen pflastern seinen Weg" war er ein Gütesiegel des Italo-Westerns. Er hat überhaupt nicht auf Qualität geachtet, sondern er hat z. T. zehn bis fünfzehn Filme im Jahr gedreht und sich das exorbitant hoch ausbezahlen lassen. Dann wurden Ende der sechziger Jahre die Honorare geringer und zur Kinokrise kam hinzu, dass er nicht sehr umgänglich war, sich durch seine Extravaganzen viele Feinde gemacht hatte. So etwas geht immer nur so lange gut, wie es keine anderen Probleme gibt. Aber in dem Moment, in dem weniger Geld zur Verfügung steht, wollen die Leute auch weniger Stress. Und so war Kinski Anfang der siebziger Jahre dann relativ schnell in Italien in der Bredouille.

 

 

FRAGE: Und dann kam ein Angebot aus Deutschland ...

 

GEYER: Klaus Berenbrock, der zuvor Gilbert Becaud, Juliette Greco und Udo Jürgens für deutsche Bühnen entstaubt hatte, kam auf ihn zu, an den Spiegel-Artikel von 1961, in dem Kinski erstmals die Bibel-Tour erwähnte, erinnernd, nach dem Motto: "Du wolltest doch mal ...". Wenn man einen Star aus dem Ausland zurückholen will, ist es wohl am leichtesten, ihn mit einem Jugendtraum und viel Geld zu ködern. Man kann ja Kinskis Worten in seiner Autobiografie „"ch brauche Liebe" nicht immer trauen, aber vieles stimmt, auch wenn es unglaublich ist. So schreibt er am Anfang über seinen Vertrag, der ihm eine Million Mark garantiert haben soll. Das muss man sich mal vorstellen: Ein Bühnenkünstler soll 1971 für eine Welttournee eine Million Mark erhalten? Ich habe den Vertrag gesehen, er existiert, und da steht: Eine Million Mark für hundert Auftritte, weltweit und in mehreren Sprachen. Die zehn Auftritte, die für den Herbst 1971 kurz zusammengekloppt wurden, sollten nur der Anfang sein.

 

FRAGE: Aber am Ende war es eine seiner größten Niederlagen und die Tour fand nie statt.

 

 

GEYER: Mit Niederlage bin ich mir gar nicht sicher. Das Ganze hatte ja durchaus einen positiven Ausgang für ihn und er soll am Ende sehr glücklich gewesen sein. Er ist von diesem Abend nie losgekommen. Vielleicht auch wegen diesem komischen Woodstock-Gefühl am Schluss. Man sieht ja die Gesichter von den Leuten, wie ergriffen die sind.  Aufmerksamer hat ihm ein Publikum wohl nie zugehört. Ich glaube nicht, dass Kinski es als Scheitern begriffen hat. Er fand’s sicherlich doof, das blöde Pack da. Er selbst hat seinen Vortrag beendet und hat die Bänder sein Leben lang aufbewahrt.

 

FRAGE: Hatte Kinski nicht schon zu Lebzeiten versucht, einen Film daraus zu machen?

 

GEYER: Die Minhoi, seine dritte Ehefrau, hat die Besessenheit mit dem Material mitbekommen und ihn dann auch gefragt, warum er das nicht editiert. Da hat er gesagt: "Das kannst du nach meinem Tod machen, mich würden sie sowieso wieder ans Kreuz nageln!"

 

 

Die Fragen stellte Ole Lasse Hempel am 11. April in Hamburg-Volksdorf.