10. April 2008

Phase "Celebrity"

 

Der neben Joann Sfar (zumindest mit Blick auf den qualitativ stets hochwertigen Ausstoß) wohl produktivste Comiczeichner der Gegenwart, darauf lässt es sich wohl ohne viel Federlesens einigen, ist Lewis Trondheim. Kaum ein Monat vergeht, in dem nicht unter der Schirmherrschaft irgendeines entlegenen Verlagshauses ein weiteres Album die Druckerei verlässt. Die Unübersichtlichkeit wird da schon mal schnell zur Qual. Hierzulande zentriert sich sein Schaffen mittlerweile vornehmlich auf den Berliner Reprodukt-Verlag, seitdem Carlsen scheinbar in Gänze dem Manga verfallen ist. Aber auch hier regiert dann die Vielfalt: Vom autobiografischen Meisterwerk "Approximate Continuum Comics" über die in alle Richtungen und Nebenschauplätzen ausfransende Fantasy-Parodie "Donjon" bis zu den wortlosen Slapstickabenteuern Mister Os gibt es kein humoristisches Metier, das Trondheim nicht beherrscht und bedient. Der melancholische Unterton jener oftmals im urbanen Raum angesiedelten Geschichten der „Herr Hase“-Reihe sowie die höchstironischen Bebilderungen der Befindlichkeiten leicht angezweifelter Mittdreißiger und ihren Überlebenstaktiken, denen er hin und wieder ein Album widmet, mögen Grund für die obligatorischen Woody-Allen-Vergleiche sein. Wolle man sich dem tatsächlich anschließen, dann ist Trondheim mit "Ausser Dienst" ungefähr in der Phase "Celebrity" angelangt. Schlimmer noch: Ein weiterer Niedergang ist wohl unausweichlich, denn der zentralen These des Buchs folgend, altern Comiczeichner schlechter als andere Künstler. Entsprechend gleicht der Comic auch eher einem Essay: Der Zeichenstil ist heterogener, teilweise auch rauer als gewohnt, keine Panelränder, kein roter Faden im Sinne einer Narration, sondern Reflektionen, Gedankensprünge, unausgereifte Ideen bestimmen den Verlauf. Das Ganze ist vielmehr als Fußnote zu "Approximate Continuum Comics" zu verstehen, als Einblick in die Befindlichkeiten eines Künstlers, dessen Schaffen permanent wesensbedingt auf dem schmalen Grat zwischen künstlerischer Selbstbehauptung und kommerzieller Notwendigkeit tänzelt. Das gab es alles auch durchaus bereits in Approximate zu lesen, jetzt allerdings kommt der Zahn der Zeit noch gewichtig hinzu.

 

Es ist so eine Sache mit den Thesen. Manche führen zur Formierung ganzer Forschungsteams inklusive sechsstelliger Vorschüsse, manche reichen für respektable Hausarbeiten, ganz andere erzählt man sich immer wieder gern an der Theke. Die Unausgegorenheit der Idee mitdenkend, führt Trondheim immer wieder gern ein den Leser stellvertretendes Publikum vor, dessen berechtigte Fragen beständig mit Gewalt beantwortet werden. Die Selbstironie ist nach wie vor zu Hause. Dutzende Zeichnerkollegen des frankobelgischen Raums von beeindruckender Prominenz scheinen ebenfalls von der Frage, ob ihr kreativer Output nicht notwendigerweise in die Monotonie führe, sichtlich überfordert. Am pointiertesten war da noch, ich glaube, Moebius’ Gegenfrage, ob denn nicht Bäckersfrauen eine ähnliche Zuwendung verdient hätten, wo doch ihr Arbeitsalltag von wesentlich höherer Monotonie bestimmt sei.

Wie gesagt: Als Fußnote mag die Frage durchaus mal im Tagebuch vermerkt sein, von einem 80-seitigen Album will ich sie dann aber doch nicht gestellt bekommen. Der von der Last seines Werks erdrückte Künstler, dessen Privilegien auch noch die Last zu einem Album verdichten, nein, da fehlt es mir tatsächlich erstmalig an Zweideutigkeit angesichts eines in den Minusbreich herabgerittenen Klischees. Manche Thesen sind so bodenlos, dass sie keine erschöpfenden Antworten zulassen. Aus gutem Grund. Trennt das nun die Kunst von der Wissenschaft? Der Woody-Vergleich wieder: Ich will es weder lesen noch sehen: wie mein Künstlerdasein dazu führte, dass ich das Muschelsammeln obsessierte, weil mir vor Langeweile die Ideen ausgingen. Prolog: Muscheln besitzen eine beeindruckend vielfältige Erscheinung. Manche von ihnen wechseln ihre Farbe, sobald ein alter Eimer in ihrer Nähe landet. Gleichzeitig vermehren sie sich mit possierlicher Zufriedenheit, was ich ihnen nicht übel nehmen kann und auch gar nicht will ...

 

Sven Jachmann

 

Lewis Trondheim: Ausser Dienst, 80 Seiten, Reprodukt, 12 Euro

 

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