3. April 2008

Prediger der Darwinisten

 

Religionskritik hat einen langen Bart – mindestens so lang wie der Bart jener altväterlichen, beinahe gütig dreinblickenden Gottesgestalt, die Michelangelo in seinem berühmten Fresco der Erschaffung Adams an die Decke der sixtinischen Kapelle gemalt hat. Bereits einige griechischen Philosophen ließen ihre Götter der Vernunft zuliebe sterben. David Hume formulierte eine radikale Erkenntniskritik an rationalen Begründungsversuchen der Religion, was wiederum auf Kant einen starken Eindruck machte. Und Nietzsche fand, Religion sei der freien Selbstbestimmung des Menschen erheblich im Wege und schmetterte in übertriebener Diktion: “Gott ist tot!“

 

Auf den ersten Blick mag es daher ein bisschen verwundern, wenn der bekannte Evolutionsbiologe Richard Dawkins, Professor in Oxford und Autor des soziobiologischen Standardwerkes “Das egoistische Gen“ (1978), einen wahren Ziegelstein der Religionskritik auf den Markt wirft, und dabei so tut, als sei er der erste Mensch, der sich dieses Themas angenommen hätte.

 

Dawkins ist ein lichterloh entflammter Atheist, unendlich genervt vom Vormarsch der Kreationisten und anderer religiöser Eiferer etwa im US-amerikanischen Biologieunterricht - in dem, wenn es nach den Kreationisten ginge, die biblische Schöpfungsgeschichte längst einen Platz verdient hätte. Hat sie natürlich nicht. Und Dawkins, der selbst einen starken Hang zum Predigen hat, sowie einige andere informelle Mitglieder eines antireligiösen Zitierkartells namens “New Atheism“, bemühen sich deshalb seit ein paar Jahren rege um entsprechende Negativ-Schlagzeilen: Sie wollen es der “Wiederkehr der Religion“ so schwer wie möglich machen. Ihre Bücher verkaufen sich außerordentlich gut, in Millionenhöhe.

 

Als Atheist kann und will Dawkins nicht anders, als die Existenz Gottes rigoros zu verneinen. Agnostiker hält er für Lari-Fari-Typen ohne jeden Mumm, ein Leben ohne Gott auszuprobieren. Weil Dawkins Wissenschaftler ist, hat er für seine Hypothese der Gott-Verneinung reihenweise Belege und Beweisführungen gesammelt. Die Hälfte wäre auch genug gewesen. Attestieren muss man seinem Fast-600-Seiten-Schinken “Der Gotteswahn“ allerdings: So darwinistisch wie hier wurde bislang keine Religionskritik gedrechselt. Andererseits ist genau das eines der zentralen Probleme, die man mit diesem Buch haben kann. Doch der Reihe nach.

 

Gleich auf den ersten Seiten sucht Dawkins, rhetorisch nicht ungeschickt, aber sehr offensichtlich, den Schulterschluss mit seinen Lesern und Leserinnen: “Stellen wir uns doch mal eine Welt vor, in der es keine Religion gibt – keine Selbstmordattentäter, keinen 11. September, keine Anschläge auf die Londoner U-Bahn, keine Kreuzzüge, keine Hexenverfolgung, keine Aufteilung Indiens, keinen Krieg zwischen Israelis und Palästinensern …“ Und von Anfang an macht er es sich viel zu leicht - weil er so tut, als seien in all diesen Fällen Religionen erste Ursachen und Letztbegründungen und nicht, was sehr viel weniger ist, Katalysatoren und wichtige Erklärungen auf sehr komplexen Feldern sozialer Beziehungen und Konflikte, die sich ebenso politischen und ökonomischen Ordnungsgefügen und deren innewohnenden Dynamiken verdanken.

 

Ein alter, wenn auch nicht ganz unorigineller Hut polemischer Religionskritik ist Dawkins’ lakonische Darstellung der Psychologie Jahwes: “Der Gott des Alten Testaments ist die unangenehmste Gestalt der gesamten Dichtung: eifersüchtig und auch noch stolz drauf; ein kleinlicher, ungerechter, nachtragender Kontroll-Freak; ein rachsüchtiger, blutrünstiger ethnischer Säuberer; ein frauenfeindlicher, homophober, rassistischer, kinds- und völkermörderischer, ekliger, größenwahnsinniger, sadomasochistischer, launisch-boshafter Tyrann.“ Und so sehr diese Charakterisierung in vielen Punkten zutreffen mag, unterschlägt sie doch alle positiven Merkmale dieses Gottes. Aber natürlich muss sie das: Schließlich befindet sich Dawkins im Krieg mit einem Gott, den es zwar nicht geben könne, der aber dennoch oder gerade deshalb enorm viel Macht hat.

 

Womit wir bei den so genannten Gottesbeweisen wären, beziehungsweise bei den Annahmen, die gegen jenen allmächtigen Schöpfer sprechen, wie wir ihn aus den monotheistischen Weltreligionen kennen. Mit spürbar viel Lust zerpflückt Dawkins einige der bekanntesten Beweise für eine Existenz Gottes, indem er die geläufigsten philosophischen Einwände gegen den legendären Beweis von Thomas von Aquin, ontologische und verschiedene A-priori-Beweise referiert.

  

Dawkins’ Gegner Nr. 1 sind jedoch die Kreationisten; und wenn die derzeit besonders renitent argumentieren, das Universum sei viel zu komplex, als dass der Zufall Baumeister gewesen sein könne, dass aber, wenn nicht der Zufall all die Galaxien, Kolibris und Menschen habe entstehen lassen, man einfach einen bewussten Gestalter annehmen müsse, kurz, Gottes Existenz als wahr anzuerkennen sei, dann kommt Dawkins so richtig in Fahrt.

 

Auf das Argument der Kreationisten hat der Autor eine Menge Antworten. Unter anderem, dass sich die Gestaltungsthese von selbst widerlege, weil sie ausgerechnet ihre eigene Grundlage, den gestalterischen Gott, dem Zufall überlässt. Doch wenn der Schöpfer nicht Teil der Schöpfung ist, was ist er dann? Wurde er von einem anderen Gott erschaffen?

 

So entsteht ein unendlicher Regress, aus dem es kein Entkommen gibt. Es sei denn, man setzt, was der Evolutionsbiologe nun über zig Seiten tut, auf natürliche Selektion und Mutation. Zusammengefasst liest sich das so: “Jede kreative Intelligenz, die ausreichend komplex ist, um irgendetwas zu gestalten… (entsteht) …ausschließlich als Endprodukt eines langen Prozesses der allmählichen Evolution.“ Das ist zwar ein Allgemeinplatz der Biologie, doch den Schöpfergott am Anfang allen Werdens hat Dawkins so erledigt – wenigstens bis zum Urknall.

 

So produktiv Darwins Evolutionstheorie für ein atheistisches Manifest auch sein mag – woher die enorme Attraktivität der Religion rührt, wenn sie, wie Dawkins glaubt, keinen “darwinistischen Überlebenswert“ mit sich bringt, kann sie leider nicht erklären. Und weil sie das nicht kann, bedient sich der Autor – der offenbar weder Karl Marx, Georg Simmel, Max Weber oder andere, erklärungskräftige (Religions-)Soziologen der Vergangenheit und Gegenwart gelesen hat und sowieso nichts anderes zu sein wünscht, als ein “fröhlicher“ Positivist oder Naturalist – einer höchst wackligen Hilfskonstruktion: Er ruft die umstrittene Mem-Hypothese auf den Plan, eine seiner eigenen Schöpfung aus der Vergangenheit.

 

Meme sind, kurz gesagt, Einheiten kultureller Vererbung. Das Dumme ist nur, dass man sie gar nicht benötigt, weil etwa eine (historisch versierte) Soziologie oder Kulturanthropologie mehr und besseres Rüstzeug zur Hand hat, um den Gang kultureller Entwicklungen nachzuzeichnen oder gesellschaftliche Aspekte individuellen Denkens zu erklären. Meme sind im Grunde nicht mehr als naturalisierende Wortschöpfungen, Metaphern ohne weiteren Erkenntnisgewinn. Vielleicht wäre Dawkins besser bei einer reinen Religionskritik geblieben? Aber auch dann wäre “Der Gotteswahn“ kein gutes Buch.

 

Von Michael Saager (Zuerst erschienen in fluter.de)

 

Richard Dawkins: Der Gotteswahn. Ullstein 2007, 22.90 €

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

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