24. März 2008

Einatmen, ausatmen

 

Schreiben und Laufen, Weltentwürfe hier, gedankenloses In-der-Welt-Sein dort, morgens Konzentration, nachmittags Ausdauer, Tag für Tag, einige Stunden am Schreibtisch, dann 10 Kilometer abspulen, mechanisch, rhythmisch – in vollkommener Balance von Körper und Geist, Ich und Welt.

Was Haruki Murakami so beschreibt, klingt nach fernöstlicher Lebenskunst, wie sie reizüberflutete Großstadtbewohner sich erhoffen mögen. Ästhetik sportlicher Betätigung, Schreiben als vollzugsorientierte Versenkung, Kunst der Lebensführung spielen aber in Murakamis neustem Buch nur am Rande eine Rolle. Sie bleiben der unausgesprochene Kern, die verfehlte Mitte, und kommen auf diese Weise erst recht zur Geltung.

 

Mehrfach betont Murakami, das körperliche Training diene seiner anstrengenden Tätigkeit als Autor am Schreibtisch. In Japan gingen Sport und Schreiben nicht so leicht zusammen: Der Künstler gelte hier als »dekadent«, also »ungesund«.

Wer aber das Gleichgewicht zwischen Konzentration und Ausdauer nicht finden kann, behauptet Murakami, »dem wird der Beruf des Schriftstellers große Schwierigkeiten bereiten«. Das klingt nicht sehr überzeugend, wenn man die Literaturgeschichte betrachtet, hat aber womöglich rechtfertigende Wirkung für die sehr spezielle Lebensweise, die dem Schriftsteller offensichtlich zur Obsession geworden ist. Der in Boston lebende, 1949 geborene Japaner läuft zur Vorbereitung von Marathon-Wettkämpfen, die er seit Anfang der 1980er Jahre absolviert, täglich etwa 10 Kilometer und orientiert sich an Monatsleistungen um die 300 km, wenn er den strengen Tagesrhythmus mal nicht einhalten kann. Hinzu kommen Ultramarathon (100 km, seine Zeit: 11 Stunden 42) und schließlich Triathlon, wobei ihm das Radfahren Probleme bereitet.

 

Das Pensum lässt sich kaum mit den Vorgaben üblicher Trainingsprogramme erklären. Es wäre in dieser Hinsicht auch gar nicht zweckmäßig. Es geht davon vielmehr etwas Zwanghaftes aus und präsentiert sich dem Leser zunehmend als eine Art religiöses Exerzitium, in dem die angestrebte Balance der Lebensbereiche zur Unbeweglichkeit erstarrt. Das Ziel der Schinderei sucht Murakami beständig herauszufinden. Den auseinanderstrebenden Körper formen. Das Altern verzögern. Gedankenleere herbeiführen (»Einatmen, ausatmen.«). Nur noch als Maschine funktionieren (»Das Bewusstsein ist wirklich keine so großartige Angelegenheit.«) Und schließlich – die Überwindung der Strapazen löst beim Ausdauersportler Euphorie aus; Schmerz steigert das Vitalempfinden – rückt das unvermeidliche Leiden selbst in den Blick, vom Titel des Vorworts »Leiden ist eine Option« bis zum Resümee: »Wer würde sich, wenn kein Schmerz damit verbunden wäre, die Mühe machen, an einem Triathlon oder Marathon teilzunehmen?«

 

Der Form nach ist »Wovon ich rede …« ein relativ ungeschliffenes Trainingstagebuch, das auch überarbeitete Laufreports von früheren Sportveranstaltungen enthält, bei denen Murakami vielleicht zu seinen besten Einsichten über den Extremsport gelangt. So privat sein Stil ist, so individualistisch entwirft er sich als Mensch. Ungesellig, wie es seine Arbeit und der Sport verlangten, sei er von Natur aus. Es habe ihn nie danach gedrängt, sich mit anderen zu messen. Es gehe ihm nicht ums Gewinnen. Das Laufen wolle er weder anderen empfehlen noch sei die resultierende Lebensform irgendwie als exemplarisch zu verstehen.

Ob die Abwesenheit von Konkurrenzen allerdings beim Sport so gut funktionieren kann, wie sie der Arbeit eines Romanautors eigen ist? Die aufmerksame Lektüre seiner Notizen könnte Murakami darüber aufklären, dass er seinen Wettkampfsport keineswegs im sozialen Vakuum betreibt: Er misst sich durchaus mit anderen, er pflegt seinen Ehrgeiz und zählt die Läufer, die an ihm vorbeiziehen – und die er später wieder überholen kann.

Dass der Erfolg nicht bis ins Detail planbar ist, durch keine noch so gewissenhafte Trainingsvorbereitung, passt nicht in Murakamis Programm. Wenn ihm etwas misslingt, kennt er nur das Prinzip Steigerung. Äußere Bedingungen werden nervös beäugt und gemessen: Temperatur, Bodenbelag, Witterung, Topografie – die Frage, unter welchen Bedingungen die besten Ergebnisse zu erzielen wären, gerät, wo sie sportwissenschaftlichen Maßstäben überhaupt nicht genügen kann, zur Mythologie. Das ist – nach Nietzsche – die Vorstellung, alles Geschehen sei ein Tun. In Murakamis Fall ist es sein Wille, der nie nachlässt und alles bewegt, wenn auch die Beine mal versagen. Zufriedenheit, Befriedigung womöglich, sind für ihn an die pflichtgemäße Voraussetzung geknüpft, alles menschenmögliche getan zu haben – oder lieber noch ein bisschen mehr. Das führt mitunter zu komischen Schlussfolgerungen: »Ich habe nicht die Absicht zu fordern, dass jede Anstrengung gerecht belohnt werden sollte, aber wenn es so etwas wie einen Gott im Himmel gibt, könnte er mir doch wenigstens ein winziges Zeichen geben.«

 

Humor spielt in diesem Buch keine nennenswerte Rolle. Die aufrichtigen Bekenntnisse machen manchmal etwas ratlos, wenn sie sich von entwaffnender Offenheit zur Naivität verlagern. Am Ende haben sie aber eine Spur der Sympathie gelegt, und man erkennt einen laufenden Schriftsteller, der den schönsten Schatz seiner Doppelbeschäftigung nicht zu finden meint, obwohl er ihn längst in Händen hält. Und das wäre dann vielleicht auch ein Himmelszeichen: Der Weg ist das Ziel.

 

Ralf Schulte

 

Haruki Murakami: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede, Akademie Verlag, Köln 2008

 

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