24. März 2008

Die Schöne und das Biest

 

Da hat jemand seinen komplementären Geist gefunden: der Berliner Journalist Daniel Schreiber, der seit Jahren schon in New York lebt, die europäischste US-Intellektuelle Susan Sontag, die gefeierte Essayistin und nicht ganz so gefeierte Romanautorin, Avantgardefilmerin, Dramatikerin, und nicht zuletzt das stets imagebewusste, oft selbstgerechte, aber eben auch unbestechliche politische Gewissen der US-Linken, die 2004 an ihrem dritten Krebsleiden starb. Schreibers Biografie ist im besten Sinne amerikanisch, das heißt, er hält sich nicht sehr lange mit der Analyse ihres Werkes auf, was den Vorteil hat, dass man nach der Lektüre nicht meint, man bräuchte Sontags Bücher, vor allem wohl die frühen Essaybände „Kunst und Antikunst“, „Über Fotografie“, „Krankheit als Metapher“ und die Short Stories „Ich, etc.“, jetzt nicht mehr zu lesen. Vielmehr beschreibt er, gestützt auf viele Interviews von Freunden und Gegnern, deren häufige Zitate seiner Diktion etwas angenehm Unangestrengtes, Kolloquiales verleihen, ihr Leben, und zwar in erster Linie das der öffentlichen Person und Starintellektuellen.

 

Die Kindheit neben einer lieblosen, alkoholkranken Rabenmutter, der manische, offenbar eskapistisch motivierte Lesehunger, die frühe Hochbegabung, die akademische Ausbildung, der Einfluss ihrer berühmten Lehrer Leo Strauss, Marcuse, Jacob Taubes, ihre frühe Ehe, das wird alles souverän erzählt und abgewogen bewertet, aber so richtig spannend wird es erst, als Sontag sich scheiden lässt, nach New York geht und mit enormem Machtgespür, Selbstbewusstsein und Eitelkeit und allerdings auch mit ein paar brillanten kulturheoretischen Essays, die den tiefen Graben zwischen Pop- und Hochkultur ein für allemal einebnen sollten, in ein paar Jahren zum Popstar der NY-Dickdenker-Szene avancierte. Sie besaß neben ihrer Eloquenz, beinahe universalen Gelehrtheit und ihrem analytischen Scharfsinn eben auch ein gutes Sensorium für Themen, die im Schwange waren: Camp, Radical Chic, Fotografie – in den 60er und 70er Jahren war sie nah dran am Zeitgeist und prägte ihn durchaus mit. Dass sich das später etwas ändern sollte, verschweigt Schreiber nicht, aber er zieht sich, wie bei ihren filmischen und dramatischen Misserfolgen, ihren erfolgreichen, aber ästhetisch fragwürdigen späten Romanen, dann immer gern mit der Kritik anderer aus der Affäre. Etwas mehr polemische Meinungsfreude – etwa auch angesichts ihrer medial aufs Obszönste ausgeschlachteten Beckett-Inszenierung im umkämpften Sarajevo – wäre dem Gegenstand angemessen gewesen.

 

Frank Schäfer

 

Daniel Schreiber: Susan Sontag – Geist und Glamour. Biographie. Aufbau Verlag, Berlin 2007. 342 S. 22,95 Euro

 

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