24. März 2008

Eine Erfolgsgeschichte

 

Die Exiliranerin Marjane Satrapi hat in ihren beiden Persepolis-Comics ihre Kindheit und Jugend in Teheran und Wien verarbeitet. Es ist nicht unberechtigt, hier von einem Bestseller zu sprechen, hat es sich doch allein in Frankreich 200.000 Mal verkauft und ist inzwischen in sechs verschiedenen Sprachen erschienen. In Deutschland wurde der erste Band 2004 als „Comic des Jahres“ ausgezeichnet. Am 22. November kommt nun die autobiografische Geschichte als Animationsfilm in die deutschen Kinos, nachdem er erfolgreich bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes lief und dort den Preis der Jury bekam.

Eine Erfolgsgeschichte, die doch eigentlich nur in schlichten Schwarz-Weiß-Bildern das Heranwachsen und Reifen der Autorin wiedergeben sollte. Satrapis Feder entsprang jedoch sehr viel mehr als nur ein persönliches Resümee der eigenen Entwicklung. Ihr gelang das Bild einer Gesellschaft auf der Suche nach und der Flucht vor sich selbst. Sie öffnet darin ein Volk in ständiger Rechtfertigungspflicht und lässt den Leser tief in das innere der iranischen Seele blicken. Der Iran würde heute „aufgrund der Fehler einer extremistischen Minderheit“ pauschal verurteilt, so Satrapi in ihrem Vorwort zu ihrem ersten Band. Die jahrtausendealte Zivilisation der Meder und Perser, die Anlass zu Stolz auf diese Kultur gebe, würde oft vergessen. Diesen historischen Bezug macht schon der Titel „Persepolis“ deutlich, welcher den Namen der Hauptstadt des antiken Persien trägt, deren Ruinen heute zum Unesco-Weltkulturerbe zählen.

Satrapi geht es mit der Dokumentation ihrer persönlichen Geschichte um ein Geraderücken des schiefen Bildes einer unkritischen und schweigenden Masse in Schwarz, das in der westlichen Welt von der iranischen Bevölkerung heute vorzuherrschen scheint. Dabei gelingt es ihr auf eindrucksvolle Weise, die innere Zerrissenheit zwischen Revolte und persönlicher Sicherheit, Selbstverwirklichung und zwanghafter Unterordnung, Aufbegehren und Gehorsam, Wut und Verzweiflung junger Menschen in Iran deutlich zu machen. Die schlichten Schwarz-Weiß-Bilder, in denen beide Comic-Bände gezeichnet sind, repräsentieren dabei den Kultur- und Werteverfall, der mit den Ereignissen und Zuständen des Irans seit der Revolution 1979 einhergegangen ist.

Der erste Band „Eine Kindheit im Iran“ schildert das Aufwachsen der Autorin während der iranischen Umwürfe der ausgehenden siebziger Jahre. Er schildert eine Zeit, die trotz der alltäglichen Verfolgungen und Repressionen, erst durch das Schah-Regime und dann durch die Revolutionswächter, von faszinierender Lebensfreude und unschuldiger kindlicher Neugier geprägt ist. Im Zentrum des ersten Bandes stehen vor allem die Umwälzungen, die die iranische Revolution und der erste Golfkrieg mit dem Nachbarland Irak mit sich brachten.

Mit der Kindern eigenen, zuweilen naiven Empörung berichtet Marjane Satrapi, hier verkörpert als das kleine, zehnjährige Mädchen, dass sie damals war, von den Vergehen und Verbrechen der beiden iranischen Regime vor und nach 1979, die bis in den unschuldigen Gedankenkreis eines zehn- bis vierzehnjährigen Mädchens vordringen (müssen). So bereitet die Lektüre ein Wellenbad der Gefühle, die den Leser zwischen den Höhen des Amüsements und den Tiefen der Wut und des Zorns schwanken lassen. So ist es beispielsweise mehr als beglückend zu sehen, mit welch erleichternder Frechheit die junge aufgeweckte Ich-Erzählerin den kindlichen Umgang mit den allgegenwärtigen Verpflichtungen und Verboten schildert. Nicht selten scheinen sich „Marji“ und ihre Freundinnen einen Jux aus der abstrusen Regelungswut der Revolutionswächter gemacht zu haben. Auch das mit der Pubertät einsetzende Aufbegehren gegen die elterlichen oder religiösen Normen und Werte, sei es die erste verbotene Zigarette, das heimliche Kaufen von amerikanischer Pop-Musik auf dem Schwarzmarkt oder die absichtlichen Verstöße gegen die Kleiderordnung befreien den Leser aus der schwarz-weißen Tristesse, in der das junge Mädchen unter den Kopftuchtragenden zuweilen unterzugehen scheint.

Hart und schnell ist jedoch der Fall auf den Boden der Tatsachen, mit dem der Leser nur wenige Bilder weiter konfrontiert wird. Es sind die angedeuteten und tatsächlich abgebildeten, menschenverachtenden Gräuel der iranischen Revolutionäre, die hier einen herben, aber nötigen Aufschlag verursachen. Oder die Folgen des Krieges gegen das Nachbarland, der doch nur Leid und Elend gesät hat – gegenüber dem Land, seiner Kultur und seinem Volk. „Der Krieg trifft einen immer unvorbereitet.“, so die Autorin in ihrer grafischen Biografie und so finden das sinnlose Schleifen der iranischen Männer im Krieg, die wahnsinnige Maßnahme der Rekrutierung von Kindersoldaten und deren anschließende Aufopferung in den irakischen Minenfelder, die Indoktrinierung, Einstimmung und Begeisterung der Bevölkerung auf den Krieg durch die Mullahs, das Anziehen der religiösen Schraube und die Zerstörung der großen Städte auf beiden Seiten ihre deutliche Verurteilung.

Um Marji dies zu ersparen und ihr ein Leben zu ermöglichen, in dem ihr ihre Offenheit und ihre Rebellion nicht zum Verhängnis werden, wird die nun Vierzehnjährige von ihren Eltern 1984 nach Österreich geschickt. Hier setzt der zweite Band „Jugendjahre“ ein. Sie wehrt sich anfänglich gegen die westliche Dekadenz, die ihr in Österreich entgegenschlägt, verfällt jedoch zunehmend den alltäglichen Verlockungen. Ihr Freundeskreis besteht aus alternativen und linken Bekannten, die die sozialistischen Theorien umwälzen und dabei das wahre Leben, die großen und die kleinen Tragödien der Welt völlig aus den Augen verlieren. Verstört findet sich Satrapi in einer Welt wieder, die mit ihrem bisherigen, tatsächlich existenziellen Dasein wenig zu tun hat.

Die schmerzhafte Erfahrung, dass ihre geliebte und verlassene Heimat in den westlichen Medien das Schlechte an sich repräsentiert, führt dazu, dass sie den Nachrichten aus dem Iran bewusst aus dem Weg geht. Die Entfremdung von der eigenen Heimat nimmt ihren Lauf. Die vielen Drogenexzesse, die Satrapi aus ihrer Wiener Zeit schildert, repräsentieren letztlich nur die verzweifelte Flucht vor der eigenen Geschichte. Die innere Zerrissenheit zwischen dem Willen zur Anpassung an das Leben ihrer Freunde einerseits und der fortbestehenden tiefen Verbundenheit mit dem Land ihrer Eltern andererseits, wird zum ständigen Begleiter ihres Wiener Daseins. Die enttäuschenden Erfahrungen oberflächlicher Freundschaften und der Ernüchterungen der Adoleszenz sowie die alltägliche unterschwellige Fremdenfeindlichkeit treiben sie in eine Depression, der sie nicht entkommen kann. So flüchtet sich die junge Frau in eine innere Einsamkeit, die das tatsächliche Exil weit in den Schatten stellte.

Nach vier Jahren in Wien, wo sie zuletzt auf der Straße gelebt hat, kehrt Satrapi nach Teheran zurück. Dort wartet ein vom Krieg zerstörtes Land auf sie, wo die Straßen nach Märtyrern benannt sind und die Mütter mit Stolz den Tod ihrer Söhne erwarten. Und wieder ist die junge Iranerin in ein Leben geworfen, dass mit den vergangenen Jahren in Wien wenig gemein hat. Sie leidet nun unter der Belastung, das in Wien erfahrene Leid hinter die Kriegserfahrungen der Eltern und Bekannten zurückstellen zu müssen. „Sicher, sie hatten mehr vom Krieg erlebt als ich, aber sie waren im Kreis ihrer Lieben, sie wussten nicht, was es heißt, eine Dritt-Weltlerin zu sein. Sie hatten immer ein Zuhause.“

Nur langsam findet sie einen Weg zurück in den Alltag. Erst die nahezu grenzenlose Liebe und Fürsorge ihrer Eltern, ihr neuer Freund Reza und das Vorhaben, im Iran eine Universität zu besuchen, haben der jungen Frau wieder Lebensmut gegeben. Die größte Hürde für die Aufnahme in die Universität ist der dafür notwendige „Ideologietest“. Innerlich gefestigt und von den eigenen Ansichten überzeugt, stellt sie sich dieser Werteprüfung. Der Frage, ob sie denn auch während ihrer Zeit in Österreich das Kopftuch getragen hätte, entgegnet sie: „Nein, ich habe immer geglaubt, dass Gott uns kahl geschaffen hätte, wenn das Haar der Frau so ein großes Problem wäre.“ Diese Ehrlichkeit hat ihr einen Platz an der Kunstakademie der Universität Teherans gesichert – fast zu schön, um wahr zu sein.

Wie leidenschaftlich Satrapi ihre Meinung vertritt, macht sie auf einer späteren religiösen Konferenz nochmals deutlich. Sie kritisiert die religiöse Kleiderordnung, unter der hauptsächlich Frauen zu leiden haben: „Sie sagen, dass unsere Kopftücher kurz sind, unsere Hosen unanständig, dass wir uns schminken, etc... Als Kunststudentin verbringe ich einen großen Teil meiner Zeit im Atelier. Ich muss mich bewegen können, um zu zeichnen. Ein längeres Kopftuch macht das noch schwieriger. Was unsere Hosen betrifft, sie sagen, sie seien zu weit, obwohl sie unsere Formen wirksam verbergen. Nun sind solche Hosen gerade modern und deshalb frage ich: Verteidigt die Religion unsere körperliche Unversehrtheit oder ist sie einfach nur gegen die Mode? Sie zögern nicht, uns zu kritisieren, aber unsere Brüder hier zeigen ihre Formen und die unterschiedlichsten Frisuren. Manchmal tragen sie sogar enge Bekleidung, dass man sogar die Unterwäsche sieht. Wie kommt es, dass ich als Frau nichts empfinden soll beim Anblick wohlgeformter Männerkörper, während sie in Erregung geraten, wenn mein Kopftuch fünf Zentimeter kürzer ist?“ Das selbst dieser Vorstoß der jungen Iranerin ohne negative Folgen bleibt, ist angesichts der religiösen Dogmen im Iran kaum zu fassen.

Ihre junge Liebe kann und will sie jedoch nicht weiter geheim halten. Der Druck der Religiösen und die rigiden Strafen gegen uneheliche Paare veranlasst sie schließlich, Reza überstürzt zu heiraten. Sie muss aber schon bald einsehen, dass sie sich in ihm und er sich in ihr getäuscht hat. Beide trennen sich wieder. Die gescheiterte Ehe ist letztlich nur der Gipfel ihrer Existenz in einer kaputten iranischen Gesellschaft, in der die persönliche Freiheit und die allgemeine Toleranz keine Fürsprecher mehr haben. Mit 21 verlässt Satrapi ihr Land ein zweites Mal und geht nach Frankreich. Erneut verlässt sie ihre Familie, nur diesmal ist es freiwillig und es ist klar, dass sie nicht zurückkehren wird.

Satrapis grafische Erzählung zeigt auf außergewöhnliche Art und Weise die familiären und persönlichen Herausforderungen, die die gesellschaftlichen Prozesse der iranischen Revolution mit sich brachten. Die persönlichen Schicksale repräsentieren in Fabel-hafter Manier die iranische Tragödie an sich. Die schlichten und einfachen Bilder führen den Leser in den Mittelpunkt des Geschehens und die alltägliche Bedrückung des iranischen Lebens rückt ihm nahezu auf die Haut. Grafische Ausgestaltungen und Spielereien vermeidet Satrapi geschickt und bewahrt so den deprimierenden Eindruck eines innerlich wie äußerlich zerstörten Landes. Und dennoch oder vielleicht erst recht macht sie deutlich, dass es selbst in den dunkelsten Zeiten auch Momente des Stolzes, des Glücks und der Erfüllung gibt – wenn man sie sucht, wenn man sie will und wenn man bereit ist, Risiken dafür einzugehen. Dies hat gewiss nicht nur Marjane Satrapi getan und das reklamiert sie auch nicht. Aber Marjane Satrapi ist die Einzige, die dies auf so eindrucksvolle, bewegende und anrührende Art und Weise dokumentiert hat.

 

Thomas Hummitzsch

 

Marjane Satrapi. Persepolis. Eine Kindheit im Iran. Verlag Carl Ueberreuter, Wien 2006. 160 S., ISBN-10: 3800051281, 9,95 €

 

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Marjane Satrapi. Persepolis. Jugendjahre. Verlag Carl Ueberreuter, Wien 2006. 191 S., ISBN-10: 3800051923, 9,95 €.