22. März 2008

Lustmaschinenkörper

 

Svenja Flaßpöhler, wäre es falsch zu sagen, bei Pornografie handle es sich heute vor allem um eine kommerzialisierte, extrem choreografierte und vereindeutigende Sichtbarmachung von etwas, das man sonst gar nicht so häufig zu sehen bekommt, nämlich Lust?

Nein, wobei diese Bestimmung zu ungenau ist. Außer Acht lässt sie zum Beispiel, dass Pornografie Lust zum Zweck der Erregung visualisiert und daher die dargestellten Körper, so real sie zunächst einmal scheinen mögen, ins Irreale, Utopische umkippen. Es handelt sich um Lustmaschinenkörper, die ihre Existenz etwa im Medium Film ganz maßgeblich der technischen Möglichkeit des Schnitts verdanken.

 

Was genau ist das für eine Sorte Lust, die in Pornos zum Ausdruck gebracht wird?

Es handelt sich um eine Lust, die keineswegs natürlich ist und entsprechend auch nicht zum Vorschein käme, wenn man alle kulturellen Zwänge zur Sublimierung beseitigte. Die pornografische Lust kennt keine Erschöpfung und demzufolge auch kein Ende, sie transzendiert körperliche Bedingtheiten im Dienste der Erregung. In diesem Sinne fungiert sie als ein Imperativ, der den Körpern befiehlt, immer und überall Lust zu empfinden – was etwas zutiefst Dystopisches an sich hat.

 

Es ist demnach also sinnvoll, zwischen sexuellen Lüsten zu unterscheiden.

Es gibt eine sexuelle Lust, die sich einfach nur schnell und umstandslos ausagieren will. Für eine solche Lust brauchen wir nicht notwendigerweise einen anderen Körper, sondern lediglich Pornografie oder irgendeine Sexualfantasie. Eine Lust aber, die nicht nur auf Befriedigung abzielt, sondern sich auch als Auseinandersetzung mit einem Gegenüber versteht, lässt sich weder schnell, noch umstandslos ausagieren. Dafür bietet sie die Möglichkeit, Aggressionen, die in Beziehungen vorhanden sind, aber im sonstigen Alltag nicht ausgelebt werden können, in spannungsvolle Erotik zu übersetzen. Und ist insofern, glaube ich, langfristig befriedigender.

 

In den 80ern schrieb Alice Schwarzer, in Pornografie ginge es überhaupt nicht um Lust, sondern ausschließlich um männliche Macht.

Alice Schwarzer versteht Frauen als Opfer männlicher Unterdrückung und übersieht dabei, dass Machtverhältnisse in Wahrheit wesentlich vielschichtiger sind. Wie etwa ordnet Frau Schwarzer die Tatsache ein, dass auch Frauen sich von Mainstreampornografie erregen lassen?

 

Die letztes Jahr in der Zeitschrift „Emma“ von Schwarzer losgetretene Debatte zur Pornografisierung des Alltags zeigte erstaunlicherweise: Schwarzer sieht das heute noch so – 30 Jahre und etliche Debatten später. Andererseits scheint an der Beobachtung einer Pornografisierung des Alltags durchaus etwas dran zu sein.

Die Pornografisierung des Alltags ist in der Tat nicht zu übersehen: Wir gewöhnen uns immer mehr an sexualisierte Werbung, und auch im Kino sind explizite Sexszenen keine Seltenheit mehr. Diese Pornografisierung ist aber nicht Effekt zunehmenden Pornokonsums, sondern steht im Zusammenhang mit einer Sehnsucht, die in der gesellschaftlichen Realität eine immer größere Rolle zu spielen scheint. Gemeint ist die auch für den Porno kennzeichnende Utopie des Einen, das heißt der Traum von vollständiger Transparenz. Durch eine solche Transparenz soll der Mensch endgültig all seiner Rätselhaftigkeit, seiner tiefen Unergründlichkeit entledigt werden, wir wollen ihn verstehen, und zwar nicht nur seine Sexualität, sondern absolut umfassend.

Die Etablierung des Gläsernen Menschen etwa ist eine Kulturtechnik von vielen, durch die wir diesen Traum von Transparenz zu verwirklichen versuchen – nämlich insofern, als der Mensch in immer stärkerem Maße auf eine Chipkarte reduziert wird, die man nur einmal durch die entsprechende Apparatur ziehen muss, um sie zu entziffern. Solche kulturtheoretischen Zusammenhänge werden in der Debatte häufig übersehen. Geradezu kriminell wird es aber, wenn man die Tatsache, dass Kinder Pornoszenen imitieren und Altersgenossen vergewaltigen, monokausal auf den Konsum von Pornos zurückführt. Kinder vergewaltigen keine Klassenkameraden, weil sie ein Porno angemacht hat, sondern weil sie unter Armut, Arbeitslosigkeit und fehlender Anerkennung leiden – und entsprechend ihrenFrust ausagieren.

 

Ihr Buch „Der Wille zur Lust. Pornografie und das moderne Subjekt“ trägt sein Programm im Titel: Mit dem Tod Gottes und der damit einhergehenden Selbstbegründung des Menschen entsteht gegen Ende des 18. Jahrhunderts die Pornografie. Aber selbstverständlich nicht zwangsläufig …

Ich glaube, dass die Pornografie am Beginn der Moderne eine Leerstelle ausfüllt. Wenn die Metaphysik als unhinterfragter Existenzgrund ausgedient hat, dann kann sich der Mensch, so behauptet etwa de Sade in seinem Werk, nur durch seinen Körper, genauer: durch die sexuelle Erregung in der Welt halten. Pornografie ist in diesem Sinne, so kann man vielleicht vereinfacht sagen, ein Effekt oder Symptom radikalmaterialistischer Weltanschauung. Aber natürlich gibt es noch andere Gründe für das Entstehen des Genres am Beginn der Moderne – etwa die mediale Entwicklung, und, natürlich, ökonomische Gesichtspunkte. In meinem Buch habe ich aber ein dezidiert subjekt- beziehungsweise kulturtheoretisches Interesse verfolgt.

 

Ohne de Sade, Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Michel Foucault, deren Schriften und Philosophien Sie für ihre eigene Arbeit fruchtbar gemacht haben, wäre eine Philosophie der Pornografie reichlich dünn, oder?

Dünn nicht unbedingt, sie gründete nur auf einem anderen Interesse. Es gibt nicht nur eine Möglichkeit, eine Philosophie der Pornografie zu schreiben. Ich glaube aber, dass ich durch meine Herangehensweise sehr plausibel erklären kann, welche Rolle die Erregung für die Moderne spielt – denn es ist auffällig, dass die Pornografen, allen voran Sade, erst am Ende des 18. Jahrhunderts damit begannen, Pornografie allein zum Zweck der Stimulation zu schaffen. In der Antike etwa war Pornografie immer auch kultisch überformt, und während der Aufklärung wurde sie nicht zuletzt für Sozialkritik funktionalisiert. Warum aber wird die Erregung am Beginn der Moderne so wichtig? Auf diese Frage versuche ich in meinem Buch eine Antwort zu finden.

 

Kommen wir auf das Thema Macht zurück: Schwarzers oder auch Andrea Dworkins in den 70ern und 80er Jahren entstandener Machtbegriff ist ein negativer, einer, der über die Vorstellung der Unterdrückung der Frau läuft. Seit Michel Foucaults Studie „Der Wille zum Wissen“, spätestens seit Linda Williams’ Untersuchung „Hard Core“, wissen wir allerdings, dass man Macht auch positiv denken kann: als produktiv, nämlich wissen wollend, dadurch Subjekte hervorbringend und auch Lust produzierend – eine Lust, so Williams, die ihren deutlichsten Ausdruck in der Pornografie erfährt. Doch so ganz einverstanden sind Sie mit dieser Vorstellung von Pornografie nicht.

Foucault und Williams ordnen die Pornografie den so genannten Sexualitätsdiskursen unter. Kennzeichnend für solche Diskurse ist, dass sie Geheimnisse aufdecken und nichts im Ungefähren, Ungewissen belassen wollen. Die Beichte ist ein gutes Beispiel für einen Sexualitätsdiskurs, genauso wie die Medizin oder die Psychiatrie. Entscheidend für solche Diskurse ist aber, dass sie eine Erzeugung von Lust vermeiden wie der Teufel das Weihwasser. Foucault schreibt selbst, dass die Worte, deren sich der Sexualitätsdiskurs bedient, „sorgfältig neutralisiert werden müssen“. Pornografie aber verwendet ganz offensichtlich gerade keine neutralisierte Sprache – und dies, weil sie nicht primär wissen, sondern erregen will.

 

Pornografie, schreiben Sie, sei eine Art Utopie, die dadurch entsteht, dass im Porno, gemessen an der Realität, auf ein „Zuviel“ bei der Explizitheit der Darstellung gesetzt wird. Über dieses Zuviel, das es aus Gründen pornografischer Stimulation braucht, kippt die Darstellung der Pornografie notwendig ins Utopische.

Slavoj Zizek hat einmal geschrieben, dass die Pornografie das so genannte „Reale“ gerade deshalb verfehlt, weil sie es zeigt. Der Liebes- oder Erotikfilm dagegen blendet an der entscheidenden Stelle aus, er lässt das „Reale“ im Ungefähren, Ungewissen und arrangiert seine Erzählung um diese Leerstelle herum. Doch ist das, was der Porno uns zu sehen gibt, tatsächlich das „Reale“? Erscheint uns der Akt nicht im Grunde wesentlich realer, wenn er als abwesender bezeichnet, also lediglich angedeutet wird? Was sind das für Körper, die uns im Porno präsentiert werden? Körper, die sich im Dienste der Erregung von einem Höhepunkt zum nächsten hangeln und kein Geheimnis mehr in sich bergen. Utopisch sind sie erstens, weil sie irreal sind, und zweitens, weil sich die Hoffnung auf vollständige Transparenz mit ihnen verbindet: Das Unbewusste hat ausgedient, im Porno ist alles Oberfläche – und das beruhigt.

 

Was bedeutet es fürs utopische Konstrukt Pornografie, wenn sich Menschen im Alltag immer stärker inszenieren wie Schauspieler im Pornofilm?

Inszenieren wir uns im Bett nicht immer? Jaques Lacan hat mal davon gesprochen, dass unsere geschlechtlichen Positionen während des Sex geradezu „komödienhaft“ seien. Wir leben im Bett Fantasien aus, und diese sind, ob es uns gefällt oder nicht, zum Teil durchaus pornografisch. Schlimm wäre es allerdings, wenn uns die Fantasie abhanden käme und wir den Porno bräuchten, um überhaupt Sex zu haben.

 

Da ist man dann ja auch nahe dran am Authentizitätsfetisch, der insbesondere im Pornofilm immer stärker wird: Wir suchen nach möglichst echt aussehenden Inszenierungen, am besten gleich nach echten Entäußerungen von Lust, die ins Pornografische gewendet worden sind. Weswegen die Amateur- und zuletzt die Indie-Pornografie wohl auch so wichtig geworden sind …

Der Porno ist unter anderem deshalb erregend, weil er real existierende Grenzen immer wieder überschreitet, und je authentischer ein Porno inszeniert ist, desto stärker scheint er an diese Realität anzuknüpfen. Genauer: Was er uns zu sehen vorgibt, könnte sich, so suggeriert er uns, tatsächlich im Nachbarhaus oder auf der Straße abspielen – was wir uns in den Tiefen unseres Unbewussten ja vielleicht tatsächlich manchmal wünschen. Ständig müssen wir sublimieren! Der Porno aber ignoriert diesen Zwang und knüpft auf diese Weise an unsere Fantasien an. Nichtsdestotrotz zeigt der Porno nicht unsere „wahre“, „unverstellte“ Sexualität, sondern er setzt vielmehr an die Stelle des kulturellen Zwangs einen Zwang zur Lust. Und das ist letztlich nicht weniger anstrengend.

 

Könnte man sagen, dass in dem Maße, in dem Sexiness, die sich zu ihrer Inszenierung häufig pornografischer Gesten bedient, immer statusrelevanter wird, auch die Pornografie zunehmend wichtiger wird?

Ja, das ist durchaus möglich. Bei all dem müssen wir uns aber immer fragen, was unser eigener Anteil an einer solchen Entwicklung ist. Warum gehorchen wir den Imperativen der Lifestyle-Magazine? Unser „Begehrens-Wert“, so wird uns in diesen Magazinen nahe gelegt, bemisst sich durch reine Äußerlichkeiten wie Brustumfang und Beinlänge, und wenn wir dann auch noch diese oder jene Regel des Flirts beherrschen, regelmäßig ins Fitnessstudio gehen und ab und zu eine Diät machen, dann klappt es auch mit dem Nachbarn. Wir sind also im Grunde nichts weiter als eine Oberfläche, die sich, wenn unser Wille nur stark genug ist und wir die richtigen Zeitschriften lesen, voll und ganz nach Maßgabe des für Liebe, Sex und Zärtlichkeit jeweils Erforderlichen kontrollieren lässt.

 

Was soll daran so spannend sein?

Anscheinend finden wir die Vorstellung, uns voll und ganz im Griff zu haben und uns selbst vollständig gegenwärtig zu sein, durchaus verlockend – ganz ähnlich, wie auch der Pornokonsument es genießt, dass die Bilder nichts im Ungewissen lassen. Vielleicht wollen wir die Tiefe, die seit Beginn der Moderne als kennzeichnend für den Menschen gilt, im 21. Jahrhundert endlich ad acta legen. Vielleicht wollen wir ganz einfach nicht länger erschüttert werden und hängen deshalb einer Sehnsucht nach dem Einen an – eine Sehnsucht, deren dystopische Kehrseite uns wiederum der Porno geradezu karikaturhaft vorführt.

 

Interview: Michael Saager (zuerst erschienen in der Jungen Welt)

 

 

Svenja Flaßpöhler: „Der Wille zur Lust. Pornographie und das moderne Subjekt“, Campus Verlag, 2007, 259 Seiten, 24,90 Euro

 

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Svenja Flaßpöhler, geboren 1975, promovierte in Philosophie über Pornografie und das moderne Subjekt. Als Autorin arbeitet sie u. a. für die SZ, die Welt, Psychologie Heute und den Deutschlandfunk. Ihr Buch Mein Wille geschehe. Sterben in Zeiten der Freitodhilfe (WJS 2007) wurde mit dem Arthur-Koestler-Preis 2007 ausgezeichnet. Im September erscheint ihr Essay Gutes Gift. Über Eifersucht und Liebe bei Artemis & Winkler. Svenja Flaßpöhler lebt in Berlin.