12. März 2008

Gestörte Erinnerung

 

Durchschnittlich schlechte politische Bildung ermöglicht die Ausprägung gewisser kitschverbrämter, revolutionärer Vorstellungen, die weder den historischen Tatsachen entsprechen, noch die tatsächlich revolutionären Ideen abzubilden in der Lage sind. Dieser Kitsch ist, wie stets, hartnäckig, da finanziell in höchstem Maße verwertbar, und verfolgt einen auf T-Shirt-Motiven und Frühstücksbrettchen, also Souvenirs jeder Art. Politische Kitschfelder dieser Sorte sind zum Beispiel die Kubanische Revolution, von der nur ein Porträt Che Guevaras übrig bleibt. Der deutsche Mauerfall, den Zementbrocken in Plexiglas hinreichend abbilden, und auch, und darum geht es in dem Buch von Joseba Sarrionandia, die politischen Konflikte im Baskenland.

Letztere sind, im Gegensatz zu den vorher Genannten, nicht Teil der Historie, sondern halten einen Status der Latenz. Die quälende Nichtbewältigung der Konflikte macht allerdings den wenigsten Nordeuropäern irgendetwas aus. Die ETA, der während des faschistischen Franko-Regimes Sympathien aus ganz Europa zuflogen, gilt nunmehr als Terrororganisation, all das weiß man irgendwie, genauso wie man auch Amnesty-International-Jahresberichte über von der Guardia Civil Gefolterte, Getötete und Verschleppte liest.

Es gibt keine Amnestie, es gibt keine Waffenruhe, und so ist es kein Wunder, wenn die Hauptperson des Romans „Der gefrorene Mann“ unter der jahrelangen Belastung und der rosigen Aussicht auf niemals sich lösende Konflikte und dem Wissen um ständig neu entstehende strukturell verwandte Konflikte auf der ganzen Welt, das Hirn abstellt und selbst in einen Stand-by-Modus verfällt, wie der ganze politische Konflikt.

Die Annahme, dass sich auf Seiten der Leser eine Ignoranz gegenüber den tatsächlichen historischen und aktuellen Zuständen finden lässt, und mit hoher Wahrscheinlichkeit trotzdem eine kitschige Idee dazu, macht den Roman, der auf drei Ebenen spielt, interessant. Der Leser ist so weit Teil des „politischen“ Romans, da er der fatalistischen Erfrierung aller Geisteskräfte Goios, der illegal in Nikaragua lebt, eine bittere Berechtigung gibt. Der Leser ist außerdem kreuzfidel im eigenen Kitsch unterwegs, während der Lektüre des „historischen“ Romans, der Goios Kindheit und Jugend im Baskenland schildert, wo seine Politisierung in den 70er Jahren als ein hormonell übersteuertes Anbetungsverhältnis zur Französischlehrerin verstanden werden kann. Auf der dritten Ebene ist man Mitreisender einer Expedition zum Südpol, dies ist die „Liebesgeschichte“, in diese gefrorene Welt folgt man einem bizarren Paar mit Szenen unerklärlicher Halsstarrigkeit, die sich jederzeit auf die anderen Ebenen des Romans spiegeln ließen, wovon Joseba Sarrionandia allerdings keinen Gebrauch macht, was der Sache sehr zuträglich ist. Dies Capar David Friedrich’sche Eismeer ist allerdings die geeignete Romanlandschaft, um Joseba Sarrionandias Roman als eine umfangreiche Recherche zu gescheiterten Hoffnungen aller Art zu beschreiben. Eine Amnesie wie die Goios ist, auch wenn sich der Patient wieder berappelt, ein schrecklicher Einschnitt für ihn, eine gruselige Belastungsprobe für Freundschaften und eine irreparable Irritation im sorgfältig gehegten Verblendungszusammenhang, sei es der der Protagonisten des Romans oder der der Leser - nichts hilft jemals in Zukunft, wenn die Vergangenheit solche monströsen Krankheiten hervorrufen kann.

Joseba Sarrionandia bietet einen scheiternden historischen Roman an, dessen Geschehnisse nicht wiedergegeben werden können, weil die Erinnerungen Goios gestört sind und die seiner Freunde kaum für sie selber reichen um ein halbwegs normales Leben zu führen, soweit man das in der Illegalität und im Exil überhaupt kann. Dies sind keine günstigen Voraussetzungen für eine Eingliederung des Romans „Der gefrorene Mann“ in das Kitschfach. Das einem diese Schublade als mögliche Ablage aber trotzdem einfällt, hat eben mit diesem Erinnerungsprozess zu tun. Denn Pathos und Kitsch lassen sich ja außerordentlich gut entfalten, wenn man nicht genau weiß, worüber man spricht, und besonders wenn man vor Protagonisten und Lesern spricht, die noch weniger wissen, wenn aber all dies Gerede dem Umstand einer schweren psychischen Erkrankung geschuldet ist, gerät man als Leser bald aus dem Buch in die Welt zurück, in der man sich selbst als politisch ignoranten Nordeuropäer ausweisen muss, denn zumindest in diesen Fragen könnte man das Gedächtnis Goios durch eigene Kenntnisse wenigstens in Eckdaten stützen, was peinlicherweise aber nicht auf Anhieb funktioniert, nur der Widerstandskitsch regt sich, den man aber schwerlich auf solcherart verworrene und fatale Lebensumstände anwenden kann. Möglicherweise ist dieses Peinlich-berührt-Sein ein Grund für die eher spärlichen Reaktionen der Presse gegenüber diesem Buch. Dass Liebesgeschichten üblicherweise verworren sind und bleiben, weiß man hingegen aus eigener Kenntnis, das ist natürlich auch im Buch so, welches hiermit sehr zur Lektüre empfohlen wird, nicht als Liebesgeschichte, sondern als Probe auf die eigene Wahrnehmung.

 

Nora Sdun

 

 

Joseba Sarrionandia: Der gefrorene Mann, Roman. Aus dem Baskischen von Petra Elser und Raul Zelik, 460 Seiten, gebunden 22 Euro, Blumenbar 2007

 

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