Verschwunden, um zu bleiben
Das fingierte Comeback ist in der Popmusik längst zur ökonomischen Finte geworden. Wer von sich glaubwürdig behaupten kann, weg gewesen zu sein, von dem wird umso mehr die Rede sein, wenn er wieder da ist. Nun mag man im Falle von Alizée einerseits behaupten können, sie sei überhaupt nie da gewesen, weil man sie schlicht nicht kennt; (Who the fuck is Alizée?) und man könnte andererseits einwenden, dass sie, wenn man sie denn kennt, nicht fingiert zurückkommt, weil sie tatsächlich recht lange weg war - vier Jahre, um genau zu sein -, und dennoch ist ihr Wiedererscheinen exemplarisch für Popkünstler, die gar nicht wieder hätten kommen müssen, um da zu sein. Da ist sie jetzt jedenfalls, Alizée, mit ihrer dritten CD, oder nennen wir es lieber CDchen, mit dem hübschen Titelchen „Psychédélices“, welcher sich wohl am Ehesten mit Psychodelikatessen übersetzen ließe.
Alizées Comeback, wie fungiert man es auch immer bewerten mag, hat deren Macher jedenfalls vor die nicht ganz unknifflige Aufgabe gestellt, ihr früheres Lolita-Image, beruhend auf ihren bislang größten Hit „Moi ... Lolita“ einerseits zu entgrenzen und andererseits in eine Neues aufgehen lassen. Zu diesem Zweck hat Alizée nach einigem von der französischen Boulevardpresse verfolgtem Hin und Her erst mal ihre beiden Entdecker, Förderer, Produzenten und Erfinder gefeuert - Mylene Farmer und deren einstigen Entdecker, Förderer, Produzenten und Erfinder Laurent Boutonnat. Die beiden hatten aus Alizée Jacotey einen für den französischen Popmarkt perfekten Popstar erschaffen, eine pubertär erotische Hupfdole, die direkt aus dem Film „La Boum“ entsprungen schien, in ihrem erstem Video ein Landmädel war, das nach Paris geht und dort den Männern in einer Disko die Köpfe verdreht. Die Single „Moi ... Lolita“ verkaufte sich europaweit 4 Millionen Mal, 1,5 Millionen davon in Frankreich. In Frankreich gelang es auch, den Erfolg auf das erste Album „Gourmandises“ auszuweiten. Mit Boutonnat und Farmer, die einst selbst als feminine Sexistin zu leichtem Elektropop durch Frankreich hüpfte, erstellte Alizée dann noch eine zweite Langspielplatte, „Mes courants électriques“. Die Platte enthielt einige respektable Ohrwürmer, ließ sich aber außerhalb Frankreichs nicht verkaufen.
Dann verschwand Alizée also von der Bildfläche. Sie gründete eine Familie und ihre Homepage erschien geschwärzt. Ihre popkulturelle Präsens war wie ausgelöscht, bis Ende 2007 dann in Frankreich in einschlägigen Bikini-Magazinen Fotos von Alizée erschienen und der Boulevard das Zerwürfnis mit Mylene Farmer ausschlachtete. Für ihre neue CD engagierte Alizée sich nun den Chanson-Altmeister Bertrand Burgalat, dem es aber auch nicht gelang, der Musik von Alizée einen übergeordneten Charme einzuhauchen. Die Psychodelikatessen kommen im elektronischen Allerwelts-80er-Gewand daher, sie sind flach und unschwülstig produziert und entfalten den Reiz eines Proseccos vom Vortag. Das Video zur ersten Single, „Mademoiselle Juliette“, wirft zudem die Frage auf, warum Alizée sich die Mühe gemacht hat, Mylene Farmer zu feuern, denn in dem Filmchen springt Alizée durch ein überkünstliches Rokokoschloss, das in seiner Pseudohistorizität an Farmers alte Videos erinnert. Da sitzen makellose Models in Schaumbädern, formen sich dekolletierte Damen zu Boygroup-Choreografien, die selbst Detlef DEE! Soost zu abgestanden wären, und zum finalen Refrain gibt sich die feine Gesellschaft dem ungekonnten Capoeira hin. In Abwesenheit jeglichen Rocks wird hier eine Art Popoko erfunden, der in seiner wirren Geschmacklosigkeit derart anachronistisch daherkommt, dass man sich schon fast wieder über die naive Hässlichkeit der überwunden geglaubten 80er Jahre freut. Es hilft aber alles nichts: Diese Art der Imagepopkonstruktion, die sich einzig aus Videoclips speist, ist vorbei, und wem nicht einmal ein Refrain gelingt, der sich mit einer behämmerten Popoko-Ästhetik im Hirn verfestigt, der hat sein Anrecht, so schlecht zu sein, dass es schon wieder gut ist, verwirkt. Auf Wiederhören.
David Gieselmann