3. Februar 2008

Arrangierte Wahlverwandtschaften

 

Zwischen 2002 und 2007 besuchten sich deutsche und arabische Autoren in ihren Heimatländern und traten in einen schriftstellerisch-intellektuellen Austausch. Das Projekt „westöstlicherdiwan“ verstand sich als eine Wiederaufnahme des Dialogs zwischen Orient und Okzident. „Auserlesene Früchte der Begegnungen“ finden sich in dem eindrucksvollen Sammelband „Zwischen Berlin und Beirut“.

 

„Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen, Orient und Okzident, sind nicht mehr zu trennen.“ So schrieb Goethe 1819 in seinem Gedichtband „West-Östlicher Diwan“. Betrachtet man hingegen die gegenwärtigen Beziehungen zwischen arabischer und westlicher Welt, erwecken diese doch alles andere als einen harmonischen Eindruck. Wer in diesem Verhältnis gegenseitiges (Er-)Kennen erblicken will, muss schon mit viel Optimismus hinsehen. Hatte sich Goethe also geirrt? Unter der Ägide der „Berliner Festspiele“ und des Berliner „Wissenschaftskollegs“ begann im Herbst 2002 ein kultureller Austausch zwischen Schreibern aus Deutschland und der arabischen Welt. Jeweils zwei Autoren beider Kulturen sollten sich gegenseitig besuchen und über die Welt und Literatur des Anderen berichten, so das Vorhaben des Projektes. Damit sollte die Tradition der Reisen zwischen Okzident und Orient und somit auch die wechselseitige Annäherung eine intellektuelle Wiederbelebung erfahren.

 

Den Auftakt bildeten 2002 der deutsche Schriftsteller Michael Kleeberg und der libanesische Lyriker Abbas Beydoun. Beide hätten sich wohl kaum besser kennen- und schätzen lernen können, als im Rahmen dieses Kulturaustausches. „Als ich sagte, es sei Freundschaft, was zwischen uns entstanden ist, wirkte das in Deutschland sentimental und im Libanon schlicht. Deshalb haben wir dieses Wort nicht preisgegeben, das wir mit so viel Mühe als Geheimnis zwischen uns entdeckt hatten.“, beschreibt Abbas Beydoun das entstandene gegenseitige Vertrauen und Verständnis zwischen ihm und Kleeberg. Die Beiträge beider sind geprägt von der Sympathie des anderen gegenüber seinem literarischen Kongenius. Durch die Intensität dieser Begegnung und das nahezu blinde Vertrauen in das Wohlwollen und die Großzügigkeit des anderen sind Texte von schonungsloser Offenheit sowie aufrichtiger Ehrlichkeit entstanden, die von literarischer Kraft und Dichte nur so strotzen. Insbesondere der Auszug aus Kleebergs libanesischem Reisetagebuch „Ein Tier, das weint“ zeugt von seiner persönlichen Anerkennung und Hochachtung für den libanesischen Dichter.

 

Insgesamt elf Begegnungen mit 23 Autoren wurden im Rahmen des Projekts „westöstlicherdiwan“ in Städten wie Beirut, Berlin, Kairo, Ramallah und Teheran durchgeführt. Leider fanden der Ägypter Edwar al-Charrat, der zu den einflussreichsten Autoren der zeitgenössischen arabischen Literatur gehört, und die türkische Autorin Elif Shafak keine Berücksichtigung in Sartorius’ Sammlung. Dennoch ist es erstaunlich, so auch der Herausgeber des vorliegenden Sammelbandes Joachim Sartorius, wie „außerordentlich ergiebig“ diese literarischen Begegnungen waren und welch außergewöhnliche Texte so entstehen konnten. Neben der vorliegenden Anthologie entstanden fünf Bücher, sowie weitere Essays, Reisenotizen und Gedichte. Während die wiedergegebenen Reportagen vor allem die bereisten Kulturen und Länder beschreiben, finden sich unter dem Zwischentitel „Dialoge“ im Wesentlichen Texte, die den einzelnen Partner des betreffenden literarischen Tandems ins Auge des Betrachters rücken. Das Bindeglied zwischen diesen eher persönlichen Betrachtungen am Ende des Buches und den Wesensbeschreibungen der besichtigten Länder und Kulturen eingangs bilden die lyrisch verarbeiteten Eindrücke einiger Autoren.

 

Die schwierige Begegnung zwischen dem Libanesen Rachid al-Daif und dem deutschen Joachim Helfer nimmt ihren, wenn auch verhältnismäßig kleinen Platz in der Textauswahl ein. Die literarischen Erträge beider Autoren hatten sowohl in Deutschland als auch in den arabischen Ländern für einige Diskussionen gesorgt. Hintergrund waren die sexuellen Neigungen beider Autoren, die sie in das Zentrum ihrer Betrachtungen des jeweils Anderen stellten. Der homosexuelle Joachim Helfer lernte während seines Aufenthalts im Libanon eine dort lebende deutsche Journalistin kennen und zeugte mit ihr ein Kind. Diese Tatsache stachelte al-Daif an, Helfers Besuch in seiner Heimat als eine Art geistige Genesung von seiner Homosexualität zu interpretieren (Rachid al-Daif: Wie der Deutsche wieder zur Vernunft kam). Joachim Helfer wiederum beschränkte sich lediglich darauf, al-Daifs Werk, welches in den arabischen Ländern unterdessen zu einem Bestseller avancierte, zu kommentieren (Joachim Helfer/Rachid al-Daif: „Die Verschwulung der Welt. Rede gegen Rede.“). Sartorius versucht mit der Auswahl der Auszüge aus diesem Buch, die von beiden Autoren ausgelöste Kontroverse um Hetero- und Homosexualität (von der sich eine exzellente Dokumentation auf der Homepage des Projektes www.westoestlicherdiwan.de findet) zu beschwichtigen. So wird der zuweilen recht harte Ton beider Autoren nur an einzelnen Passagen erkennbar. Dennoch findet sich recht starker Tobak: „Wenn zwei Männer zusammenleben, so bedeutet das Schmutz, Unordnung und das Fehlen einer Frau“, so al-Daif in seinen Betrachtungen. „Die Unsauberkeit, die er (al-Daif), [...], mit Homosexualität assoziiert, hat natürlich viel weniger mit dem Fehlen der tüchtigen Hausfrau als mit der Vorstellung von Analverkehr zu tun – das Bild vom männlichen Glied, das in einer finsteren Kloake wohnt, [...]“ kommentierte Helfer wiederum geräuschvoll al-Daifs Text. Michael Kleeberg sieht in „Die Verschwulung der Welt“ vor allem ein „Protokoll des Missverständnisses. Einen Kommentar zu der Veröffentlichung in der Tageszeitung taz betitelte er daher nicht ohne Grund mit „Hier wächst nichts zusammen“.

 

Doch sollte man dieser Paarung nicht zu viel Raum einräumen, ist sie doch alles andere als typisch für das, was den „westöstlichendiwan“ über fünf Jahre ausgemacht hat. Es wäre zwar alles andere als korrekt, einen Eindruck ungestörter Harmonie und Meinungskonkordanz erwecken zu wollen, doch hatten die Autoren in den meisten Fällen zumindest eine Gemeinsamkeit: Sie verband eine unstillbare Neugier und Offenheit für das Fremde und Unbekannte sowie der Ehrgeiz, die vielfältigen Eindrücke geistig zu durchdringen.

 

Faszinierend ist es festzustellen, wie sich die kulturellen Unterschiede in den Texten ihrer Autoren wieder finden. So findet sich in fast allen Texten arabischer Autoren die Frage, wo sich die Geschichte Berlins in einem Stadtbild wiederfindet, welches diese zunehmend in Vergessenheit geraten lässt: „Die alten, ursprünglichen Gebäude wurden mit einer neuen glänzenden Farbe überzogen, so dass man manchmal den Eindruck hat, man stehe vor einer verzauberten Stadt oder einem riesigen Filmstudio.“ Es finden sich auch Anspielungen an die so oft zu Feld geführte westliche Arroganz gegenüber der übrigen Welt; an die moralische Verwerflichkeit der Selbstüberschätzung und Höherbewertung des eigenen Daseins gegenüber dem des Anderen: „Auch die Höhe der Trümmerhaufen spielt keine Rolle, seien es die Trümmer eines Turms mit über hundert Stockwerken, eines Gebäudes aus der Gründerzeit oder der Schutt einer Müllhütte.“ Doch die arabischen Teilnehmer am „westöstlichendiwan“ verstecken sich keineswegs hinter dieser Anklage des Westens, sondern sind sich der Tatsache bewusst, dass sich in vielen arabischen Ländern Regime die Klinke in die Hand geben, „denen nicht daran gelegen ist, eine Situation zu schaffen, in der wenigstens Raum für Hoffnung bliebe.“

 

Ganz anders die Themen, mit denen sich die meisten deutschen Teilnehmer des deutsch-arabischen Austausches befassten. Ilja Trojanow stellt im Bahrain unter anderem fest, dass das kleine Königreich im Persischen Golf lediglich als Sodom der arabischen Welt dient, in dem sich arabische Scheichs mit „kaum volljährigen Thaimädchen“ verlustieren. Und auch die übrige, so verhasste amerikanische Moderne habe mit Pizza Hut, McDonalds und Co längst ihren triumphalen Einzug erhalten, so der deutsch-bulgarische Weltenbummlerliterat. Auch Moritz Rinke war mehr als erstaunt, als sich das von CNN geprägte Bild Ramallahs so nicht einstellen wollte und ihm statt Hamas-Terroristen „Frauen mit roten Lippen“ über den Weg liefen. Einen literarischen Höhepunkt stellen ohne Zweifel Martin Mosebachs Kairo-Aufzeichnungen dar, Miniaturen, in die er seine unmittelbaren Eindrücke gefasst hat und der große Betrachter sein sicheres Auge für die wichtigen Dinge des Daseins beweist. Mit den Details, die er erfasst, fängt er die einmalige Schönheit des Moments und des besonderen arabischen Laisser-faire ein.

 

Und so bilden die ausgesuchten Beiträge der Autoren einen Anstoß für eine weitergehende Auseinandersetzung mit der jeweils anderen Kultur. Und folgerichtig fragt die Autorin Marcia Brodrozic, „was wird das Schreiben sein, wenn der Garten nichts mehr schenkt, wenn er seine Geschichten für sich behält (wenn er sich schützt)?“ Sie spielt damit auf die Notwendigkeit eines fortwährenden gelebten Miteinanders und Austausches der Kulturen an. Diesbezüglich muss nun ein Nachdenken auf beiden Seiten einsetzen und gemeinsam diskutiert werden, um miteinander und voneinander zu lernen. Nur auf diese Weise kann sich die erforderliche Sensibilität für die Umstände des Gegenübers und damit eine Basis wechselseitigen Respekts entwickeln. „Zwischen Berlin und Beirut“, diese einzigartige und eindrucksvolle Dokumentation des wieder aufgenommenen west-östlichen Dialogs, macht dies mehr als deutlich.

 

Wie schreibt Abbas Beydoun in einem seiner Berliner Gedichte? „Höllenhunde bellen nicht am Potsdamer Platz.“ In einigen Regionen der arabischen Welt ist dies nicht so. Dies sollte der Westen nicht vergessen, wenn er sein Urteil über die arabische Welt fällt. Und zugleich kann diese Tatsache nicht die alleinige Basis sein, auf der dem Orient begegnet werden kann – das käme seiner Herabwürdigung gleich. Die richtige Balance zwischen Verständnis und Anspruch findet sich allein im Dialog, in dem Versuch, sich selbst im Anderen zu erkennen.

 

Thomas Hummitzsch

Erstveröffentlichung im Magazin für Zeitkritik Glanz und Elend

 

Joachim Sartorius (Hrsg.): Zwischen Berlin und Beirut. West-östliche Geschichten. Mit einem Vorwort von Navid Kermani, 288 S., 24,90 €, C. H. Beck 2007

 

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