2. Februar 2008

Unterwegs zu Wim Wenders

 

 

Interview mit dem Filmregisseur Marcel Wehn

 

Es war ein Wenders-Film, der Marcel Wehn dazu verführte, seinen Traum von einer Karriere als Rock-Musiker zu begraben und den Beruf des Filmemachers anzustreben. Wenders‘ „Alice in den Städten“ aus dem Jahr 1973 – Wehn sollte erst vier Jahre später geboren werden – lief im Rahmen einer „Langen Nacht der Städtefilme“ im Karlsruher Programmkino „Schauburg“, wo Wehn als Kartenabreißer jobbte. Jahre später und nach einer Ausbildung an der Filmakademie Baden-Württemberg drehte also ein Student seinen Abschlussfilm über seinen Inspirator. Der Dokumentarfilm beschränkt sich auf Wenders‘ frühe Schaffensphase, auf jene Zeit also, als der 1945 in Düsseldorf geborene Regisseur noch bevorzugt deutsche Landstraßen und Hinterhofkneipen und noch nicht den Mittleren Westen ablichtete. „Von einem der auszog“ läuft seit dem 24. Januar in den deutschen Kinos.

 

 

 

1) Wie hat das alles angefangen mit Ihnen und Wim Wenders?

 

Eigentlich hatten wir in meiner Heimatstadt Karlsruhe eine Rockband und haben hart daran gearbeitet, eines Tages groß raus zu kommen. Nebenher habe ich in dem Programmkino "Schauburg" als Kartenabreißer gearbeitet, um etwas Geld zu verdienen und habe im Zuge dessen in einer "Langen Nacht der Städtefilme" zum ersten Mal "Alice in den Städten" gesehen. Dieser Film hat mich innerlich so bewegt, dass ich darüber zu Wenders und schließlich zum Filmemachen gekommen bin.

 

2.) Können Sie sagen, warum gerade die frühen Filme von Wim Wenders bei Ihnen so viel Begeisterung ausgelöst haben?

 

Das hat zwei Gründe, davon ist einer sehr persönlich: In vielen dieser Filme meine ich immer wieder das Motiv einer zerbrochenen Familie zu finden. Erwachsene, die nicht recht wissen, wie sie ihr eigenes Leben auf die Reihe bekommen sollen und daher ihre Kinder vernachlässigen. Väter und Mütter, die auf der Suche nach ihren abhanden gekommenen Kindern sind, ihnen wieder nahe kommen wollen, nachdem sie physisch aber auch psychisch von ihnen getrennt waren. Ich selbst stamme aus einer großen Patchworkfamilie – viele gescheiterte Beziehungen und Elternteile, die schließlich ihre Kinder an andere Erwachsene zeitweise "abschieben" mussten, um erst einmal mit ihrem eigenen Leben zurecht zu kommen. Daher hatte ich plötzlich den Eindruck, in Wenders frühen Filmen wird wieder und wieder auch meine eigene Geschichte erzählt. Der andere Grund ist, dass die frühen Filme durch ihre Langsamkeit ihrer offene Struktur auf mich unglaublich poetisch wirken. Ich mag es, wenn ein Bild lange stehen gelassen bleibt und damit dem Zuschauer die Freiheit gegeben wird, selbst das darin zu sehen, was er entdecken möchte und nicht unbedingt das, was der Regisseur einem vorgibt.

 

 

3) Wie stellt man so als „gewöhnlicher“ junger Filmstudent den Kontakt zum „großen“ Wim Wenders her? Der findet sich ja nicht einfach so im Telefonbuch?

 

Ich hatte ich mein Vorpraktikum vor der Filmhochschule bei Wim Wenders´ ehemaliger Produktionsfirma "Road Movies" in Berlin gemacht. Zu Ende meiner Filmhochschulzeit wollte ich als Abschlussfilm etwas darüber machen, warum ich zum Filmemachen gekommen bin. Und das war die Person Wim Wenders. Also habe ich ein fast 30 Seiten langes Exposé verfasst in dem ich beschrieben habe, welche Art von Film ich über Wim Wenders machen wollte. Die damaligen Angestellten von "Road Movies" hatten noch Kontakt zu Wenders´ neuer persönlicher Assistentin und so konnte ich das Exposé direkt an ihn schicken lassen. Ein paar Wochen später wollte Wenders mich treffen, wir haben 20 Minuten lang gesprochen – bzw. ich habe erzählt und er sagte gar nichts und danach hat er direkt zugesagt, den Film zu machen.

 

 

4) Warum glauben Sie hat Wenders gerade Ihnen so viel seiner kostbaren Zeit geschenkt?

 

Wenders hat "Von einem der auszog" insbesondere deshalb befürwortet, weil mein Film sich mit den frühen Jahren von Wenders in Deutschland auseinandersetzt, mit einer Zeitphase, über die seiner Meinung nach bisher noch nichts Ausführliches gemacht worden ist. Letztendlich haben wir gar nicht so viel Zeit mit Wenders persönlich verbracht: Wir waren vier Tage lang mit ihm auf einer Locationreise für einen neuen Film, dabei entstand auch eines der Interviews, dann haben wir drei Tage lang die Premierentour von Wenders‘ Film "Don´t come knocking" begleitet, zwei Tage waren wir bei ihm in Berlin und einen Tag lang haben wir das zweite Interview gedreht.

 

5) Wie ist Wenders in der Interviewsituation? Schüchtern, ungeduldig – war er in allen Dingen kooperativ? Hat er leicht über Privates gesprochen?

 

Ich empfinde es noch immer als schwierig, sich mit Wim Wenders auf privater Ebene zu unterhalten, weil er dann sehr schweigsam ist. Ich stimme da übrigens Peter Handke zu, der meint, dass man im Gespräch mit Wenders selbst am meisten redet und dass dann auch eher aus Verlegenheit. Ganz anders ist es seltsamerweise, sobald eine Kamera läuft. Die Kamera legitimiert für ihn scheinbar, sehr viel mehr über sich zu sprechen und Dinge preiszugeben, über die er sonst schweigen würde. Es ist, als würde das Filmemachen ein besonderes Recht vermitteln, Grenzen zu überschreiten, die sonst sehr deutlich eingehalten werden.

 

6) Wie ging es Ihnen selbst dabei? Haben Sie zunächst Bewunderung, Respekt und der große Altersunterschied beim Fragenstellen behindert?

 

Wim Wenders ist bekannt dafür, ein sehr gutes Verhältnis zu jungen Menschen zu pflegen und gerade junge Filmemacher sehr intensiv und fast liebevoll zu unterstützen. Die gleiche Erfahrung haben auch wir als Filmteam gemacht: Innerhalb von Stunden hatte er uns auf eine sehr herzliche und freundschaftliche Art und Weise sozusagen auf "eine Stufe" gebracht, so dass wir nie den Eindruck hatten, jetzt den großen, unerreichbaren Legenden-Wenders zu drehen. Er hat auch nie kommentiert, wie oder was wir drehen sollen oder Einfluss darauf genommen, wie ein Film über ihn wohl auszusehen hat.

 

7) Und wie hat sich Wenders dann zum fertigen Film geäußert?

 

Die erste Version, die Wim Wenders gesehen hat, war eine zweistündige Schnittversion. Danach haben wir fast drei Stunden mit einander gesprochen. Teilweise war er amüsiert, teilweise auch erschrocken und enttäuscht, weil er sich sicherlich etwas anderes unter dem Film vorgestellt hatte. In diesem Gespräch haben wir viel über die persönliche Herangehendsweise des Filmautors an sein Thema gesprochen und ich habe erklärt, warum ich ihn im Film so zeige. Er war sicherlich nicht nur glücklich mit meiner Wahrnehmung, aber stimmte zu, dass jeder Autor seinem Ansatz unbedingt auch vertreten müsse. Danach gab es zwischen uns kein ausführlicheres Gespräch über den Film mehr. Wim Wenders´ hat sich dann bereit erklärt, zu der Premiere des Films während der Berlinale auch zu kommen, um damit auch zu zeigen, dass er den Film für sich so akzeptiert, wie er ist.

 

 

8) Hat der Film das Bild, das Sie von Wenders hatten, bestätigt, oder hat es auch Überraschungen gegeben?

 

Überrascht hat mich die Erfahrung, wie unterschiedlich er "drauf sein kann", abhängig davon, ob alles gerade gut läuft, ob er unter Druck steht oder nicht und ob er ein wenig Zeit und Ruhe für sich hat. Er kann völlig ausgelassen, wie ein kleines Kind sein, wenn es ihm gut geht und sehr zurückgezogen und schwer ansprechbar, wenn ihn etwas belastet oder es Schwierigkeiten auf der beruflichen Ebene gibt.

 

9) Wie geht es für Sie selbst weiter? Was sind die nächsten Projekte?

 

Momentan ist dies für mich auch noch die Phase der Umorientierung von der Filmhochschule raus auf den freien Markt, den ich wirklich als deutlich anders empfinde, als noch das geschützte Arbeiten innerhalb der Hochschule. Aber langsam kommt auch endlich der Raum zurück für neue filmische Ideen: Unter anderem plane ich ein dokumentarisches Filmportrait meiner Heimatstadt Karlsruhe. Ich arbeite auch an einem Drehbuch für einen Spielfilm: Eine Geschichte, die in der näheren Zukunft in Deutschland spielt und sich mit einer pessimistischen Zukunftsprognose dessen auseinandersetzt, was aus unserem Land werden könnte, wenn wir jetzt nicht in bestimmten Bereichen unseres sozialen Miteinanders bald andere Wege einschlagen.

 

 

Lasse Ole Hempel