26. Januar 2008

Akademisches Reflektieren

 

In Denis Johnsons zuletzt auf Deutsch erschienenem Roman geht es – anders als in seinen bekannten früheren Werken „Engel“ und „Jesus’ Sohn“ – nicht um gesellschaftliche Outcasts mit Drogenproblemen, sondern um einen Assistenzprofessor für Geschichte Anfang 50 in einer kleinen Universitätsstadt irgendwo im mittleren Westen der USA, der jedoch ebenfalls am Rande der Gesellschaft steht, wenn auch nur mental. Michael Reed, der vier Jahre zuvor seine Frau und Tochter bei einem Autounfall verloren hat, zeigt kein großes Interesse an seinem eigenen Leben, er besucht zwar Dinnerveranstaltungen, geht auch mal essen oder trinkt einen Kaffee, aber alles geschieht ohne große Anteilnahme. Selbst das Unterrichten ist keine Herausforderung: „Ich veranstaltete kleine Seminare, forderte kluge, aber orientierungsbedürftige Studenten zur Lektüre von Büchern auf, die ich schon kannte, und hörte dann zu, wie sie ihre Referate vor dem Rest der Schar zur Diskussion stellten. Mit anderen Worten, ich tat gar nichts.“ Einmal davon abgesehen, dass diese Einstellung auch hierzulande auf viele Professoren zutreffen dürfte, zeigt sie eine Leere in Reeds Leben, die er selbst zwar ständig reflektiert, doch in der er sich auch aus alter Gewohnheit gefangen sieht.

„Schon seit langem machte mir die Ursache meiner Trauer kaum noch zu schaffen. Eigentlich war ich ziemlich befreit davon. Und doch blieb ich ihr treu ergeben.“

Das alles ändert sich langsam, als Flower Cannon in sein Leben tritt, die höchstens halb so alt ist wie er. Zuerst trifft er sie als Cello spielende Studentin, dann bei einer Kunstperformance, bei der sie sich öffentlich die Scham rasiert, und schließlich als Stripperin in einem Spielcasino. Reed ist fasziniert von ihr, vor allem von ihrer Wildheit und Hemmungslosigkeit. Die zuerst nur zufälligen Begegnungen häufen sich, schließlich folgt Reed ihr zu einem Gesangsabend einer religiösen Vereinigung, der für Reed zu einer Art persönlicher Reinigungszeremonie wird, er erkennt, dass es keinen Gott gibt: „Ich hatte dieses übermächtige Es als Dunkelheit und Last empfunden. Nun fiel beides von mir ab. Eine fest um mich gezurrte Kette war zerbrochen. Jemand hatte mir die Augen geöffnet.“ Im Anschluss lädt Flower ihn in ihr Atelier ein, wo es beinahe zu einer amourösen Begegnung kommt, allerdings schreckt Reed im letzten Moment zurück, da sie ihn zu sehr an seine Tochter erinnert. Trotzdem, danach ist nichts mehr wie vorher, er verlässt sein altes Leben und beginnt ein neues als Journalist in Krisengebieten. So lässt sich die Midlifecrisis auch überwinden.

Da das Buch in der Retrospektive geschrieben ist, reflektiert Reed als Ich-Erzähler sämtliche Geschehnisse seines Lebens, und seien sie auch noch so geringfügig, in äußerster Ausführlichkeit. Das ist zwar in der Regel amüsant zu lesen, aber doch in Teilen etwas zu viel. Vielleicht kommt da der Lehrer in ihm zu sehr durch, denn dem Leser wird zu keiner Zeit zugemutet, selbst viel denken oder gar irgendwelche Interpretationsleistungen vollbringen zu müssen. Darüber kann man sich ärgern, aber wenn man es schafft, darüber hinwegzusehen, ist der Roman unterhaltsam, auch wenn eigentlich gar nicht viel passiert.

 

Katrin Zabel

 

Denis Johnson: Der Name der Welt. 143 Seiten, Aus dem Englischen von Thomas Überhoff, Rowohlt Verlag 2007

 

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