16. Dezember 2007

Singende Synergien: Was will das Musical von Pophits?

 

Der ungeahnte Erfolg des Udo-Jürgens-Musicals "Ich war noch niemals in New York" in Hamburg fügt sich ein in die Reihe ungeahnter Erfolge ebenso ungeahnter Bühnenstücke, die es sich zur Aufgabe machen, die Hits einer Band oder eines einzelnen Interpreten unter einen inhaltlichen Hut zu bringen. So gibt es bereits Musicals mit den Hits von Abba, Queen, Buddy Holly, Elvis, Falco und so weiter. Es ist klar, was das Musical hierbei von den Popsongs will: Den Wiedererkennungseffekt der Hits. Das Musical, das sich in bestem Falle aus einem Szenario speist, in dem bestimmte Zustände der Figuren durch Lieder weitererzählt werden können, muss sich bei diesen Versuchen zwangsläufig eine Handlung ersinnen, die mehr oder minder per Zufall Wege findet, bereits vorhandenes Liedgut szenisch zu motivieren. Und das ist natürlich ein Himmelfahrtskommando, wie man leicht anhand der Inhaltsangaben dieser Musicals ablesen kann, es scheint, glaubt man den Kritiken, eine Stärke von "Ich war noch niemals in New York" zu sein, den Himmelfahrtskommandocharakter offenzulegen.

Den Preis für die behämmertste Handlung gewinnt jedenfalls knapp vor dem Queen-Musical "We will rock you" das Bühnenwerk "Falco meets Amadeus", in dem Falco eine Art faustischen Pack mit dem Teufel in Gestalt von Wolfgang Amadeus eingeht. Die Gretchen-Frage ist hier sozusagen die Jeanny-Frage, denn natürlich ist jene "Jeanny", die im gleichnamigen Falco-Welterfolg besungen wurde, Figur des Musicals: "Steh auf, bitte! Wir müssen weg hier, raus aus dem Wald. Dein Lippenstift ist verwischt. Du hast ihn gekauft, und ich? – ich habe es gesehen."

Während die Lieder von Queen Eingang in eine pseudoreligiöse Zukunftsvision gefunden haben. Zitat von der Website des Musicals:

"Wir befinden uns in der Zukunft, an einem Ort, der einstmals die Erde genannt wurde. Die Globalisierung ist komplett. Überall sehen sich die Kids dieselben Filme an, ziehen sich dieselbe Kleidung an und denken dieselben Gedanken. Eine sichere, eine harmlos glückliche Ga Ga-Welt. Es sei denn, du bist ein Rebell. Es sei denn, du verlangst nach Rock. Alle Musikinstrumente auf dem Planeten e.bay sind verbannt. Melodien werden auf zentralen Computern generiert, die sich die Kids herunterladen. (...) Aber der Widerstand wächst. Abseits der glitzernden Fassaden, in den finstersten Winkeln leben die Bohemians. Rebellen, die daran glauben, dass es einst ein Goldenes Zeitalter gab, in dem die Kids ihre eigenen Bands formierten und ihre eigenen Songs geschrieben hatten. Diese Ära nennen sie die Rhapsody. Einer Legende nach steht zweifellos fest, dass auf dem Planeten e.bay irgendwo noch immer Instrumente existieren. Irgendwo soll jene mächtige Axt eines großartigen und langhaarigen Gitarren-Gottes unter einem Felsen tief verborgen sein. Um diese Axt zu finden und aus dem Gestein hervorzuziehen, bedürfen die Bohemians eines Helden. Ist es vielleicht der junge Mann, der sich selbst Galileo nennt? Doch auch die Schergen der Geheimpolizei sind Galileo auf der Spur. Und falls sie ihn als erstes kriegen, werfen sie ihn vor die Füße der gnadenlosen Killer Queen und transferieren ihn in die jenseits gelegene Bar der Vergessenheit, der Seven Seas of Rye. Wer ist dieser Galileo? Wo ist die verloren geglaubte Axt des langhaarigen Gottes? Wo befindet sich der Ort des Living Rock?"

Diese Inhaltsangabe spricht für sich.

Man sieht aber schon, dass das Genre der Pophitsmusical leicht zu erweitern ist: Überall in der Rock- und Popgeschichte schlummern potenzielle Musicals. Man denke nur an das Police-Musical "Can’t stand loosing you" über die tragische Liebesgeschichte zwischen einem Lehrer und seiner Schülerin, an das Led-Zeppelin-Musical, in dem sich eine Frau eine Himmelsleiter kauft, das Supertramp-Musical "Breakfast in America", das mit einer Szene beginnt, bei der die Hauptfigur eine Schülerin zur Schule gehen sieht, oder das Pink-Floyd-Musical, bei der die Entfremdung eines Popstars von seinem Publikum durch eine Mauer symbolisiert wird, Hoppla! – das gibt es ja wirklich. Oder das Doors-Musical "Break on through", das im Gefängnis spielt, das Rolling-Stones-Musical über Viagra "I can’t get so satisfaction" oder das Velvet-Underground-Musical über den Drogenhandel "I’m waiting for my man".

 

David Gieselmann

 

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