24. November 2007

Interview mit Marjane Satrapi

 

Art Spiegelmanns „Maus“-Comic hat ihr gezeigt, dass man auch Comics zeichnen kann, die ohne Superhelden auskommen. Für ihr Kinodebüt, das sie gemeinsam mit dem französischen Regisseur Vincent Paronnaud inszenierte, hat sich die Zeichnerin nach eigenen Angaben vom deutschen Expressionismus und vom italienischen Neorealismus beeinflussen lassen. „Persepolis“ erzählt die Geschichte der jungen Marji, die wie Satrapi selbst die islamische Revolution erlebt und während des Iran-Irak-Kriegs von ihren Eltern zur Sicherheit nach Wien geschickt wird. Nach einer vorübergehenden Rückkehr in den Iran lebt Marjane Satrapi bis heute in Paris. „Persepolis“ hat in diesem Jahr beim Festival von Cannes den Preis der Jury gewonnen und läuft bereits erfolgreich in Frankreich. In Deutschland kam der Film am 22. November in die Kinos, einen Kinostart im Iran wird es vorerst nicht geben, dort ist der Film verboten.

 

FRAGE: Mit Ihrem Film teilen Sie das Schicksal mit vielen anderen iranischen Filmemachern ...

 

SATRAPI: Nein, nein. Es heißt ja auch nicht, dass, man wenn man aus Deutschland kommt, gleich Filme macht wie Fassbinder.

 

FRAGE: Ich wollte auf etwas anderes hinaus: Obwohl Ihr Film international ein großer Erfolg ist, wird er nicht im Iran gezeigt.

 

SATRAPI: Oh, das meinen Sie! Der Film wird sicherlich nicht im Iran gezeigt werden. Aber das bedeutet nicht, dass die Leute ihn nicht doch auf anderen Wegen zu sehen bekommen – auf DVDs etwa. Es gibt, wie Sie bereits andeuteten, eine Menge iranische Filmemacher, deren Werke nicht im Iran gezeigt werden. Abbas Kiarostamis „Geschmack der Kirsche“ etwa, wurde auch niemals im Iran gezeigt, obwohl er dort gedreht wurde. Das Ganze ist also im Grunde keine so ungewöhnliche Situation und ich befinde mich in bester Gesellschaft. Viele Filmemacher aus dem Iran müssen da durch.

 

FRAGE: Bedauern Sie denn diese Situation nicht?

 

SATRAPI: Aber natürlich, was denken Sie? Wenn „Persepolis“ im Iran gezeigt würde, würde das bedeuten, dass dort Demokratie herrschen würde. Aber im Iran gibt es keine Demokratie. Ich träume natürlich davon, dass der Film im Iran gezeigt wird. Aber, was kann ich machen?

 

FRAGE: Wann waren Sie das letzte Mal in Ihrer Geburtsstadt Teheran?

 

SATRAPI: Vor acht Jahren.

 

FRAGE: Ist das der Preis, den man zahlt, wenn man politische Kunst macht?

 

SATRAPI: Ich bin keine politische Filmemacherin und ich sehe „Persepolis“ auch nicht als einen politischen Film. Ein politischer Filmemacher ist jemand, der etwa Propaganda für die Sowjetunion betreibt. Ein politischer Film ist etwas, das man sieht und gleich wieder wegschmeißt. Das könnte man auch einen politischen Akt nennen. Wenn man zu sehr komplizierten Fragen simple und vereinfachende Antworten findet. Ich mache etwas ganz anderes: Ich stelle Fragen und gebe keine Antworten, denn Antworten kann ich selbst nicht bieten. Ich stelle Fragen, um auf die Komplexität einer Situation hinzuweisen, damit die Leute beginnen, ihre grauen Zellen anzustrengen. Ich verstehe meine Arbeit als Künstlerin als Suche nach dem, was den Menschen antreibt, nach dem, was nur ihn betrifft. Da ich denke, dass es Zeit ist, dass wir uns mehr als allem anderen dem Menschen widmen.

 

FRAGE: Aber Sie müssen doch zugeben, dass dieser Film sehr stark die Züge einer Biografie trägt – Ihrer Biografie, die wiederum sehr stark von den politischen Entwicklungen geprägt wurde.

 

SATRAPI: Jede Biografie wird doch sehr stark von der Politik bestimmt. Und selbstverständlich interessiere ich mich für Politik. Sie regiert unser aller Leben, ob wir das wollen oder nicht. Wenn die Leute, die die politischen Entscheidungen treffen, selbst die Konsequenzen zu tragen hätten ... kein Problem! Kein Problem für mich. Das Schlimme ist – und deswegen hasse ich Politiker – dass sie so machthungrig sind und dass sie entscheiden und wir anschließend den Preis bezahlen müssen. Das treibt mich immer wieder um. Natürlich geht es in „Persepolis“ um Politik, ich wäre eine Lügnerin, wenn ich das verneinen würde. Aber die Politik ist doch letztlich nur die Hintergrundmelodie.

 

FRAGE: Und was ist die Hauptmelodie?

 

SATRAPI: Die Frage, was passiert, wenn die Individualität so verschwindend klein wird gegenüber allem anderen, was sie umgibt? Wenn man sich so unendlich eingeengt und bedroht fühlt, dass einem die Luft wegzubleiben droht. Wie geht man damit um. Wie lebt man damit? Denn man braucht doch mehr zum Leben als zu essen, zu schlafen und zu scheißen. Wenn aber „Persepolis“ ein Film allein über den Iran sein soll, wie sollte ich ihn dann gemeinsam mit meinem besten Freund, Vincent Paronnaud, inszenieren, der Franzose ist und vom Iran wahrlich nicht sehr viel weiß, mit einem Team, das aus 100 Zeichnern aus aller Herren Ländern besteht? Die Geschichte, um die es hier geht, ist menschlich und ihr Inhalt universal. Natürlich, Menschen, die aus der ehemaligen Sowjetunion oder etwa aus Chile stammen, Leute, die Unterdrückung hautnah erlebt haben, finden auch eine besondere Beziehung zu diesem Film. Aber, auch der Zuschauer, der nichts Vergleichbares erlebt hat, versteht die menschliche Komponente, die sich hinter „Persepolis“ verbirgt. Die Frage ist doch, was hätten Sie getan, wenn Sie sich in meiner Lage befunden hätten?

 

FRAGE: Vielleicht hätte ich mich auch in meinem Zimmer eingeschlossen und laut Iron Maiden gehört, ganz wie die Heldin Ihrer Geschichte.

 

SATRAPI: Man braucht zum Überleben Freude, Spaß und auch den Glauben an irgendetwas. Man möchte sich ausdrücken, auch die Poesie ist von Bedeutung. In „Persepolis“ spielt die Musik eine große Rolle, diese Emotionen, dieses Gefühl, entrückt und außer sich zu sein. Eine Party oder eine bestimmte Kassette kann da ein ganz außergewöhnliches Erlebnis sein, das einen alles andere – zumindest für einen Augenblick – vergessen lässt.

 

FRAGE: Klar, in Ihrem Film spielt Musik eine große Rolle, die heimlichen Partys, die Kassetten, die es illegal an einer zugigen Häuserecke zu kaufen gibt. Aber geht es in „Persepolis“ nicht auch um eine tiefe Sehnsucht nach der Familie? Wenn die Heldin etwa alleine, ohne ihre Eltern, im Exil in Österreich lebt – kommen da nicht auch kulturelle Unterschiede zwischen Iranern und Europäern zum Tragen?

 

SATRAPI: Ich glaube nicht an dieses Gerede vom Clash der Kulturen. Ich denke Kultur ist wie eine Kette zu sehen: Zarathustra etwa, ein persischer Denker, konnte Nietzsche beeinflussen. Es gibt verschiedene Arten zu Leben und verschiedene Regierungen und so weiter, aber der Mensch bleibt doch immer ein einzigartiges Individuum, und darum interessiert er mich so sehr. Ein einzelner Mensch kann immer universell sein, eine Gruppe von Menschen dagegen wird zu etwas ganz anderem. Man sagt ja auch: „Wenn du über die Welt erzählen willst, schreibe über dein eigenes, kleines überschaubares Dorf!“ Aber, Sie haben meine Zeit in Österreich angesprochen: Wien war einfach damals nicht der richtige Ort für mich, und es war wohl auch der falsche Zeitpunkt. Es war nicht so, dass ich nicht verstanden hätte, was um mich herum geschah. Ich war auch zuvor viel gereist und kannte den Westen. Ich war auf diesem ziemlich elitären französischen Gymnasium und schlitterte mitten in die Pubertät. Eine Zeit, die für die meisten nicht besonders angenehm ist. Dann war ich auch noch weit weg von Zuhause, von meiner Familie getrennt. Dazu war im Iran gerade Krieg und es bestand die Gefahr, dass meine Eltern im Bombenhagel sterben. Alles keine leichte Situation, aber das Ganze hat mit Wien wenig zu tun, wenn ich in einer anderen Stadt gelandet wäre, wäre die Situation wohl die gleiche gewesen.

 

FRAGE: Aber trotzdem scheint die Rolle der Familie in „Persepolis“ doch eine besondere zu sein. Sie ist Kraftspender und Bezugspunkt, hilft beim Durchhalten, auch wenn es besonders bitter wird.

 

SATRAPI: Dabei habe ich selbst die traditionelle iranische Großfamilie auch nicht mehr erlebt, ich habe als Einzelkind mit meinen Eltern in einem kleinen Apartment in Teheran gewohnt. Auch im Iran wollen junge Menschen ihre Unabhängigkeit von den Eltern. Wenn ich meine Eltern immer um mich gehabt hätte, hätte ich bestimmt auch irgendwann gesagt: „Oh, nur nicht noch ein stinklangweiliges Weihnachten mit den Eltern!“ – so wie meine Freunde in Wien damals. Aber bei mir war die Lage nun einmal eine andere. Daher habe ich meine Familie so schrecklich vermisst.

 

FRAGEN: Würden Sie also sagen, dass viele Vorstellungen, die wir Europäer uns vom Iran machen, auf Vorurteilen beruhen?

 

SATRAPI: Ja, natürlich. Die Art, wie die Menschen beschrieben werden. In der abstrakten Beschreibung von Menschen steckt immer auch eine ungemeine Vereinfachung. Und wenn ein Teil der Welt als fanatisch abgestempelt wird, verlieren auch gleichzeitig ihre Bewoher ihre Menschlichkeit. Dann ist es leicht, dorthin zu gehen und zu morden. Genau das passiert heute im Irak. Oder nehmen Sie den Iran: Natürlich gibt es dort Fanatiker und Terroristen, aber das ist nur eine Seite der Realität. Sie müssen sehen: Fanatiker stellen in der Welt doch eine Minderheit dar. Sie sind sehr laut, daher hören wir sie so deutlich in unseren Ohren, dass es dröhnt, aber zahlenmäßig sind sie doch klar in der Minderheit. Und im Augenblick wird viel zu wenig zwischen den Fanatikern und dem Rest unterschieden. Dabei solllte man nicht vergessen, dass die ersten Opfer des Fundamentalismus Iraner waren.

 

FRAGE: Das führt einem Ihr Film auch deutlich vor Augen.

 

SATRAPI: Ich würde jetzt nicht so weit gehen und sagen: „Persepolis“ zeigt „die andere Wahrheit“, aber der Erfolg, den „Persepolis“ gegenwärtig hat, beweist doch, dass man sich auch außerhalb des Irans mit meiner Geschichte identifizieren kann.

 

 

Interview von Lasse Ole Hempel

Leicht gekürzt und bearbeitet erschienen in der Frankfurter Rundschau