18. November 2007

Autorinnenpop

 

Lily Allen und Kate Nash kommen ohne Rollenspiele aus

 

"Ich habe ohnehin das Gefühl, daß Pop dann stattfindet, wenn Musik und Visuelles in einem kulturellen Format zusammenfallen", so formulierte es kürzlich Diedrich Diederichsen und brachte damit relativ umstandslos zur Sprache, womit sich nicht zuletzt der Popticker tagtäglich herumschlägt – die Antwort auf die Frage nämlich: Was ist Pop?

 

Diederichsens These lässt sich an vielerlei Beispielen beweisen. Das berühmteste kulturelle Format, bei dem im Sinne seiner Theorie Visuelles und Musik zusammenfallen, ist natürlich das Musikvideo, ohne das jahrelang Popmusik tatsächlich nicht stattfinden konnte. Man kann aber schon das Album als ein solches Format definieren, denn gerade in Zeiten von Vinyl war Cover und gesamte Aufmachung einer Platte eine Kunstform für sich. Nun sind aber gerade genannte beiden Kunstformen weggebrochen: Albumcover gibt es beim Herunterladen von Musik faktisch nicht mehr und das Musikvideo fristet ein Nischendasein in Musikfernsehen und Internet. Insofern, so folgert Diederichsen, sei die Popmusik derzeit auf der Suche nach neuen visuellen Erscheinungsformen, die mit Musik zusammenfallen könnten.

 

Genau hier könnte man den überraschenden Erfolg von Lily Allen und Kate Nash lokalisieren. Bei beiden fußt der Erfolg der Musik aber nicht auf ein kulturelles Format, in dem Visuelles und Musik zusammenfallen, sondern Text und Musik. Mit Texten sind in diesem Falle nicht die Liedtexte gemeint, sondern die Internettagebücher von Lily Allen und Kate Nash: Beide sind als Bloggerinnen bekannt geworden, und dies noch bevor irgendjemand ihre Musik kannte oder wusste, wie die beiden wohl aussehen. Lily und Kate sind heute also Popstars und haben dies weder ihrer Musik noch ihrem Aussehen zu verdanken – dass sie sich dann auch noch ähnlich sehen, ist ein Kuriosum am Rande.

 

Zweifelsohne lassen die beiden Britinnen Pop stattfinden, Pop gar par excellence, wenn in Lilys Londonhommage "LDN" die Funktionsweise von Pop zu einem britpoppigen Latinohybridbeat erklärt wird: "When you look with your eyes, everything seems nice, but if you look twice, you could see it’s all lies." Pop sind die beiden Damen nicht zuletzt dadurch, dass sie in ihrem Heimatland England mit Single und Album die Charts anführten. Ihre Beliebtheit bleibt unangefochten, weil sie sich als Bloggerinnen auch ohne die Release-Rhythmen der Popkultur im Gespräch halten. Nicht zuletzt dadurch sind sie im gewissen Sinne auch Yellowpress-resistent, was in der sensationsgeilen britischen Medienlandschaft dann auch nicht gerade selten ist.

 

Die Authentizitätsprinzipien der bloggenden Sängerinnen oder singenden Bloggerinnen sind bei Kate und Lily identisch und im gewissen Sinne neu, denn sie haben dann doch auch einen anderen Ursprung als Bands, denen kometenhafte Karrieren durch MySpace oder YouTube gelingen, denn genannte Webseiten promoten letztlich doch hauptsächlich: Musik. Es stellt sich also die Frage, ob dahinter auch eine gänzlich neue Spielart von Pop steckt. Tatsache ist jedenfalls, dass Lily Allen und Kate Nash ein Spiel nicht mitmachen: das Spiel um Popimages und temporäre Erscheinungsfiguren, das Madonna perfektioniert und Michael Jackson seinen Körper gekostet hat und das in den letzten Zügen der Ära des Musikvideos mit Künstlerinnen wie Christina Aguilera oder Gwen Stefani an seiner Beschleunigung zugrunde gegangen ist. Lily und Kate sind mit ihren öffentlichen Figuren weitestgehend identisch. Auch wenn eine fernmündliche Übermittlung einer Person natürlich immer inszeniert ist, so tun die beiden nicht mal ein paar Wochen so, als seien sie nun Cowgirls, dirrty bitches, Aerobic-Disco-Queens oder Glamour-Häftlinge.

 

Bezeichnend ist in diesem Sinne zum Beispiel das Video von Lily Allen zu erwähntem "LDN", das in ihrem angestammten, real existierenden Plattenladen Roughtrade beginnt, wo sie nach "kind of dubby broken beats" fragt: Die kleine Episode ist wie eine kurze Lily-Allen-Dokusoap. Es dünkt den Popticker, dass exakt dieses Wegfallen einer vermittelnden temporären Erscheinungsfigur neben der Musik der Hauptgrund ist, warum Lily und Kate nicht zuletzt dem Popticker so gut gefallen – beide Platten fand ich eigentlich schon gut, bevor ich sie das erste Mal gehört hatte.

 

Ob Lily und Kate nun also exemplarisch für eine Post-MTV-Phase des Pop stehen, zu deren Beginn sie zwar noch Videos drehen, welche aber nicht das wesentliche Element sind, durch das sie sichtbar werden, sei dahingestellt – fest steht, dass sie auf ihre Art und Weise die Transformationsanforderungen globaler Pop-Promotion durchbrechen und dass sie beide wunderbare Musik machen.

 

David Gieselmann

 

www.popticker.de