25. Oktober 2007

Was ist ein Mottenmilchkaffee?

 

Eine kurze Regionaletymologie

 

Der popticker spielt in gewissem

Sinne Axel Hacke

 

Als ich kürzlich einmal wieder einen Milchkaffe zum Mitnehmen erstand, sagte die Kellnerin: "Den Klassiker also. Den Mottenmilchkaffee." und ich nickte und grinste freundlich. Hinter dem Begriff des Mottenmilchkaffees verbirgt sich ein regionaler Ausdruck eines Kaffees, den man auf den Spielplatz mitnimmt, und der Spielplatz, auf den wir - meine Frau und ich - unseren Kaffee mitnehmen, heißt eben: Motte. Der Mottenmilchkaffee ist also, wenn man so will, das Regionalspezifikum eines Phänomens, das es auch in anderen Hamburger Vierteln und anderen deutschen Städten gibt: Junge Eltern trinken, wenn sie mit ihren Kindern auf den Spielplatz gehen, gerne einen Milchkaffee. Diese Eltern sind also Vertreter von zwei unterschiedlichen Trends, die zunächst nichts miteinander zu tun zu haben scheinen: Der eine Trend sind Kinder, der andere Trend ist der Milchkaffee als solcher im Allgemeinen, der zum Mitnehmen im Besonderen, und in jungen Eltern, wie wir es eben auch sind, fallen diese beiden Trends zusammen; mit dem Ergebnis, dass sich in den Mülleimern der Motte und anderen Spielplätzen im Wesentlichen volle Windeln und leere Kaffeebecher finden.

 

Die Transportprobleme der Mitnahme von Kaffee beim Schieben eines Kinderwagens hat nun schon in zweierlei Hinsicht die Wirtschaft angekurbelt: In überregionalem Sinne in Form von Flaschen- bzw. eben Kaffeebecherhaltern, die sich an die Kinderwagen anschrauben lassen, und in regionalem Sinne in Form eines findigen Fahrradtüftlers, der sich eine Milchkaffemaschine auf ein Radesel montiert hat und mit diesem Gefährt nun die Spielplätze Ottensens anfährt - leider findet er immer seltener den Weg auf die Motte, sodass wir nach wie vor auf die umliegenden Kaffees angewiesen sind, um uns mit den beliebten Heißgetränk einzudecken. Dieses Angewiesensein kurbelt wiederum die Kontakte an, da man, wenn man sich einen Kaffee holt, oft auch umstehenden Eltern anbietet, weitere Kaffees mitzubringen.

 

Man könnte also sagen, dass sich hinter der Existenz des Begriffs "Mottenmilchkaffee" eine soziologische Studie auftut: Die jungen Eltern, die mit ihren urbanen Prothesen nicht nur den eigenen, privaten Raum in den öffentlichen verlängern, sondern den ihrer Kinder gleich mit. Die mit Einkäufen, Bällen, Spielzeug, Kaffees und Zweitgefährten beladenen Kinderwägen werden zu rollenden Wohnzimmern im Viertel: Hier lebe ich, hier roll‘ ich rum.

 

Wenn jetzt der Winter kommt, kommen auf uns Eltern noch ganz andere Herausforderungen zu, die automatisch zu einem dritten Trend führen: Der Outdoorisisierung der Alltagskleidung. Anders als bei der herkömmlichen Funktion von Outdoorkleidern, in der Wildnis dem Wetter zu trotzen, kann man bei ihrem Einsatz im Alttag, beispielsweise auf Spielplätzen, auch von erwähnten Ansatz sprechen, sich auch draußen daheim zu fühlen. Die North Face-Jacke ist sozusagen der Kamin unter den urbanen Prothesen. Und mit dem Kaffee in der Hand ist man dann von innen wie von außen warm.

 

David Gieselmann www.popticker.de