9. Oktober 2007

Mythische Charaktere

 

 

Wenn ein Jurist einen Roman über einen zukünftigen Juristen schreibt, klingt das für Nichtjuristen nicht unbedingt nach einem Buch, das man unbedingt lesen müsste. Trotzdem ist das schon 1938 geschriebene Werk des Niederländers Ferdinand Bordewijk durchaus empfehlenswert, das jetzt in einer deutschen Neuübersetzung vorliegt. In seiner Heimat längst ein Klassiker, geht es in dem Buch – am Titel unschwer zu erkennen – um Charakter bzw. die Charaktereigenschaften bestimmter Menschen, nämlich Mutter, Vater, Sohn. So weit, so wenig ungewöhnlich, allerdings ist diese Familie doch ein wenig anders als der Durchschnitt, hat die Mutter doch beim Vater als Dienstmädchen gearbeitet, wurde nach einer intimen Begegnung, bei der noch nicht einmal klar war, ob diese nun freiwillig oder nicht geschah, schwanger und verließ das Haus. Sämtliche Heiratsangebote des werdenden Vaters ignorierend, zog sie ihren Sohn allein groß und lässt auch diesen seine Fehler machen, ohne jemals besonders mütterlich oder gar gluckenhaft zu wirken. Dem Vater, einem gefürchteten Gerichtsvollzieher, begegnet der Sohn Jahre später wieder, als er nach einem erfolglosen Versuch als Geschäftsmann in einer Rechtsanwaltskanzlei als Bürokraft anheuert. Dieser Posten soll das Sprungbrett für eine Karriere sein, er holt sein Abitur nach und will Jura studieren, um später selbst als Partner in der Kanzlei zu arbeiten. Dass bei so viel Ehrgeiz etwas auf der Strecke bleiben muss, in diesem Fall die Liebe zu einer Kollegin, ist nicht weiter verwunderlich. Die Beziehung zum Vater bleibt eher geschäftlicher Natur, da dieser bei ihm Schulden eintreiben will und seinen Sohn dadurch fast in den Ruin treibt. In der Schlussszene wirft der Sohn dem Vater vor, immer nur gegen ihn gearbeitet zu haben, worauf dieser antwortet: „Oder dir zugearbeitet“. Da seine Worte durch keine seiner Taten unterstützt werden, bleiben sie rätselhaft und in dieser Rätselhaftigkeit gemein, denn sie nehmen dem Sohn den Stolz auf seinen eigenen Erfolg.

Der Roman, in juristisch knapper Sprache geschrieben, spielt im Rotterdam der 30er Jahre und kann durchaus als Bildungsroman sowie als Darstellung einer unwiderruflich untergegangenen Zeit gelesen werden. Allerdings sind die Charaktere der Hauptpersonen so eindimensional dargestellt, dass man kaum glauben kann, dass es solch in sich gefangene Menschen geben kann. Wirkliche Kommunikation scheint zwischen den drei Hauptfiguren nicht möglich zu sein, trotzdem zieht der Roman einen in seinen Bann, er wirkt durch diese unrealistische Eindimensionalität der Charaktere fast mythisch.

 

Katrin Zabel

 

Ferdinand Bordewijk: Charakter. Roman von Sohn und Vater, aus dem Niederländischen von Marlene Müller-Haas. Mit einem Nachwort von Cees Nooteboom, 361 Seiten, C. H. Beck 2007

 

Cohen+Dobernigg Buchhandel

 

amazon