19. September 2007

Strohfeuer der Gemütlichkeiten

 

Zum Inventar eines Ortes (& mehr)

 

Variationen zur Ausstellung von Henrik Hold

„Schützen und Sichern“

im Künstlerhaus Lauenburg/Elbe

(Zeichnungen, Malerei und Fotos)

 

 

– Ein Text von Carsten Klook –

 

 

1) Zeichnungen nach Gruppenfotos aus Lokal-Zeitungen

 

a) Die Einladungskarte

 

Es ist nicht nur der Bürgermeister unter dem glanzschwarz in die Höhe schießenden Zylinder, der aus dem Bild sticht. Zumal: Es sind der Zylinder zwei. Ein Zwei-Zylinder-Gespann,  das von links die Szene beherrscht und diese Seite aufsteigen lässt. Eine Zauberei? Ein politisches Statement?

Da sind auch ferne Gesichter, geerdet durch Handtaschen und Schuhe. In den Kleidern der Tradiertheit scheinen sie zur Leblosigkeit verwandelt ... auf den Spuren von wem?

Der Anlass: ein Schützenfest.

 

Es ist das Leben im Spuk alter Vorstellungen, die zu bewahren heute die Unterstadt des Ortes zu einem Museum machen, in dem manche nur schwerlich locker bleiben.

Vielleicht entsteht Geschmeidigkeit im Gespenstischen? Oder nur im Experiment?

Was fehlt? Die lustige Person? Oder ist die Frau in der Mitte, die mit dem Schild „Eingeschränktes Halteverbot“ um den Hals (Brustschmuck), ein geeigneter Ersatz?

Ist dies ein Wahrzeichen? Ein lebloses Glück aus Flausen?

 

Einzig das Mädchen in Weiß (2.v.r.) übersetzt die erstarrte Mimik in Ganzkörpersprache und verformt ihre Arme zu Leisten, als sagte sie, als sagten die: Führe mich ab!

Wartet sie auf die Polizei? Wer hat sich hier schuldig gemacht? Die, die Zeugen des Unglücks werden?

 

Die Gruppe starrt auf den Fotografen, der sich zum Zuschauer aufschwingt. Ist er der Einzige, der hinguckt? Ratlos guckt die Gruppe in den Mittelpunkt. Dorthin, wo alles zusammenläuft, in den zentralen Punkt, den der Maler Henrik Hold fixiert hat?

Oder, ganz anders, geht es um die Parole: Here we are now, entertain us!, die die US-Band Nirvana einst beschwörte?

 

Genaues Sehen nützt, genaues Sehen schützt!

Gemeinsam ist man stark. Auch am Ziel vorbei. Auch hinter dem Ziel zurückbleibend. Auch in den Augen derer, die nur zuschauen, als ginge sie das alles nichts an.

Sie scheinen zu sagen: „Schaut her! So sind wir! Schützend und sichernd. Pflichtbewusst. Wir dürfen nicht anders!“

 

Im Zweifel für den Angesehenen? Im Zweifel für den Angeklagten?

Im Hintergrund: Gemäuer mit Rundbögen. Simulieren sie? Stehen sie für Stabilität und Sicherheit? Schützend und sichernd? Lauter Fragen ...

 

Nur der Bärtige mit der Brille und dem besagten Zylinder (2.v.l.), hat gut lachen. Er bildet den Ausgleich zum Mädchen auf der anderen Seite des Bildes. Was weiß er (nicht)?

 

b) Ferner Zeichnungen von

 

–        Spargelherzoginnen

–        Zwei Fußball-Mannschaften: Pastoren gegen Gemeindevertreter

–        Gemischte Gruppen und Männer mit Zielscheibe(n): Hypnose?

–        Aus dem Fenster guckt, ohne Rumpf: Herr R.

–        Das Papierschiff eines bekannten Künstlers sieht aus wie das Zeichen

des bewaffneten Kampfes (ein unten abgebrochener Stern der RAF).

–        Einfamilienhäuser am Rande des Weges: Supra-Normalität als 

Besonderheit

–        Zeichnungen von Plätzen, architektonischem Stil-Wirrwarr,

geschwungenen Hängelampen, Sich nicht auf die Form von nebenan beziehen wollende Verweigerungen des Gehorsams. Gibt es ein Happy End?

 

 

Zeitungsfotos bieten dem Künstler jene Regungslosigkeit in den Gesichtern, der er draußen vor Ort nur bei Häusern begegnet.

 

 

 

 

19. September 2007

2) Gemälde

 

a) Die phantomisierte Version der Zeichnung auf der Einladungskarte

 

Das Gesichtslose erzeugt Unheimlichkeit. Greller, deutlicher, heftiger noch als in der Zeichnung haben Kräfte sogar die Persönlichkeit, die Gesichter der Verkleideten bis zur Unkenntlichkeit entstellt.

 

Die Farbe überzeugt im Im- und Export des Genusses.

Die Federbüschel in den Hüten der Schützen wirken wie lodernde Flammen, Krematorien der Köpfe und deren Gedanken. Was hier verbrannt wird, ist Energie. Burn out!

Das kühle Blau des Trachtenträgers lässt Himmlisches nicht nur erahnen, sondern auferstehen.

 

Thema: die Gruppe. Und das davor stehende Ich.

 

Stichworte: Seelensprache / Phantomschmerz / Gib mir, gib mir ... Identity!

 

Erstaunlich mag dem einen oder anderen sein (angesichts all der historischen Bauten in der Unterstadt), dass sich der Künstler Henrik Hold auch und ganz besonders der Oberstadt-Architektur gewidmet hat.

 

 

b) Dunkles Haus

(Empfehlenswert: „Die Nacht steht um mein Haus“, Roman von Karlheinz Deschner)

 

Über das Zuwuchern: der Busch als Haar. Gestrüpp als Bart. Haus: dunkeldunkel.

Aus Ja-Nein-Vielleicht wird Nein! Lebensperspektive: zugewachsen. Du darfst! Oder: Du darfst! Aber nicht hier!

Hier würde man sich, lebte man im Innern dieses Hauses, (was ja auch nur Zimmer (D)einer Seele ist, sein könnte), für die letztere Variante entscheiden.

Der Gemütszustand als Dauerwurst.

 

Unfrei nach dem Sprichwort „Wie Du mir nicht, so ich Dir nicht! Was ist hier possierlich?“ scheint keinem etwas gegönnt. Das Licht nicht dem Bewohner, die Draufsicht nicht dem Betrachter. Einigelei und Einsiedelei?

Ein kleiner Trost am Rande: Es ist (die) Natur.

 

Doch: In der Kirche, im Märchenwald zum schlechten Gewissen könnte es nicht finsterer zugehen. Wo ist Rübezahl? Wo Rumburak? Wo der Rumpelbube für die Rumpelbude? Hexenhaar und -haus, wer knabbert am Kabäusschen? Wo hat sich die Böseste der Wölfinnen  versteckt?

Das Gestrüpp als Haar, als Schambedeckendes? Gibt es von dort einen Ausweg?

Die Antwort ist in jedem Fall ungenügend. Denkbar! Gruselgrusel. 

Eins ist sicher: Könnte das Bild husten, es würde nicht aufhören! (Heiser, heiser)

 

Doch weitere Fragen bleiben: Was ist wirklich (gesehen?), was nur die Projektion des Künstlers? Was Projektion des Betrachters? Und was die Projektion des Autors dieser Zeilen?

Und was denkt (sich) die Wirklichkeit des Hauses?

 

Möchte man doch nicht nur diesem Ensemble zurufen: „Take it easy, altes Haus!“

 

 

c) Die Piazza als Tableau

        

                 versus

 

Die Gute und die Schlechte Nacht

 

 

Der Platz mutet italienisch an.

Die Theaterbühne: noch ohne Personal. Wird es jemals auftreten? Und wenn, hat es eine Chance? Gegen die Kulisse zu bestehen? Was wird gespielt? Die Moderne nach der Postmoderne? Als Anknüpfungspunkt? Als sei das nicht wahr gewesen, diese Jahrzehnte der Zersiedeltheiten und Zer(r)streuungen, die Anti-Zerbrechlichkeiten, das Durcheinander bei scheinbar gleichen Bedeutungen und Bedeutsamkeiten? Ist es die postpostmoderne Moderne?

 

 

Drei Stöpsel für ein Hallelujah! Ausfahrbar bis zur Bildhöhe, unterhalb des Tableaus befindet sich das Gestänge, die Mächte sind wieder am Wirken, unten rum wird gebölkt, vielleicht gekickert ... doch die Kulisse ist ... ruhig, die Farben tranquilieren die verquirlten Nerven, das Milde siegt und die Dunkelheit bricht herein. Ocker forever! In Zartrotbraun. Es ist eine gute Nacht. Das Bindewebe des Kosmos ist durchlässig und das schwarze Fleisch des Himmels wird durchwirkt von flirrenden Gasen, die wie unter einer Glaskuppel gefangen an die Decke der Kuppel stoßen und als weißer Schmauch zerfasern.

 

 

d) Haus mit Blumenskulptur

 

Die weiße Skulptur für die Blumen im Vorgarten. Wer könnte da widerstehen, sich in ähnlich geneigter Windung dem Schönen hinzugeben, den thronenden Blumen. Nur der Zaun mit seiner einstmals futuristischen Wabenstruktur beschwört ebenso das unberührte Weiß des neuen Lichts, das im Kontrast zur schwarzbraungrauen Tristesse des eigentlichen Gebäudes leuchtet wie der Scheinwerfer eines UFOs. Yes!

 

 

e) Haus im Winkel

 

Das blassblaue Gebäude ... ist es nicht schon beinahe farbenprächtig in der groben Wüste grauer Wertigkeiten? Besonders hier, bei diesem Gemälde, wird es sichtbar: Henrik Hold benutzt architektonische Oberflächen und Strukturen als geometrische Elemente in der Bildkomposition. Das, was die Suprematisten mit lose auftretenden Quadraten und Kreisen  arrangierten, fügt Hold wieder zu einem Straßenbild zusammen. Das ist der Dreh.

 

 

 

19. September 2007

3) Die Fotos von Häuserfronten

 

sind keine Abzüge, sondern Computerprints.

 

Das Ensemble ist auch denkbar als Kartenspiel:

 

A: Mein Haus hat zwei Fenster!

B: Meins drei!

A: Meins zwei Garagen!

B: Meins drei!

A: Meins ein Dach ...

B: Meins keins!

A: Mein Haus ist für drei Personen!

B: Meins für eine und drei Panzer!

 

Usw. usf.

 

Das sticht!

So war es und so ist es wohl noch heute. Beim Quartettspiel.

 

Das Ensemble ist auch denkbar als: Memory.

 

Schöne, klare Bilder städtischer Bebauungsgewohnheiten. Ohne viel drum rum. Mit dem Blick fürs Wesentliche. Geschlossenheit einmal anders!

 

Leitspruch: Frisches Zäunen, frisches Zäumen!

 

 

 

Carsten Klook (47), Schriftsteller und Kultur-Journalist aus Hamburg, arbeitet derzeit als Stipendiat im Künstlerhaus Lauenburg/Elbe an seinem dritten Roman.

 

 

Ort: Galerie des Künstlerhaus Lauenburg
Vernissage: Donnerstag, 20. September 2007 um 19.00 Uhr
Dauer der Ausstellung: 22. September - 14. Oktober 2007
Öffnungszeiten: Samstags und Sonntags von 14.00 - 17.00 Uhr sowie nach Vereinbahrung