26. August 2007

Ironie ist Flucht

 

„Die Seele geht spazieren, natürlich in den Wörtern.“

(Rolf Dieter Brinkmann)

 

 

FÜR RALF-RAINER

 

Vertieftes Blau, sage ich

und du sprichst von Aussparungen in den

blauen Wänden der Central Bar

morgens um zwei

ist deine „gastronomische Prominenz“ genau das Richtige.

 

Der große Junge gibt erst mal dir die Hand. Das will er auf keinen Fall versäumt haben vor Ablauf der Frist in diesem idealen Camp. (Er hat ein Gesicht für seine Ratlosigkeit in Zukunft.)

 

Vielleicht bist du ihm in einer Dunkelkammer gleich an der nächsten Ecke schon mal ganz anders vorgekommen.

 

Hier sind alle DJs oder einfach nur heiß darauf, den Nachtbetrieb auf seinen Emporen zu erleben.

 

Die DJs sind dir nachgegangen in ihren Biografien. (Mit dir schwappte die Neue Deutsche Welle in die Stadt.) So was weiß man als Bescheidwisser.

 

Es gab eine Zeit, da musstest du nur einmal ausgehen, um einen Job mit Glamour zu kriegen.

 

 

 

ALLES BRAUCHBAR

 

„Die Toten bewundern die Toten“, sagt Brinkmann und meint den deutschen Literaturbetrieb. Er unterstellt den Instanzen einen „Abrichtungscharakter“, wie zur Verlängerung seines Unbehagens in einer Kultur, die ihm „mit allen Schrecken einer wahnhaften Erziehungssucht“ beigebracht wurde. Hinter ihm liegt eine Kindheit im „Schweinelandstrich – katholisch verseucht“. Er beschreibt Vechta so.

 

Für Brinkmann schaffen Gedichte gesteigerte Gegenwart. „Sie sind zunächst einfach nur da.“ – Als Neudefinitionen der Dinge nicht zuletzt.

 

Die Nachkriegsschutthaufen und -Brachen in seiner Essener Lehrlingszeit, von ihm und Rygulla als Wegweiser in die Revolte gedeutet. Tatsächlich lebt er mit der Kombattantenerwartung eines Kulturbruchs.

 

Alles ist brauchbar.

 

Den ersten Gedichtband, „Ihr nennt es Sprache“, lässt Brinkmann 1962 in fünfhundert Exemplaren beim Buchhändlerkollegen Willbrand drucken – und behält ihn ein: wegen eines Druckfehlers.

 

 

 

DER DICHTER IN SEINEN ANFÄNGEN

 

Der Dichter in seinen Anfängen sieht sich konfrontiert mit einer Tradition des deutschen Nachkriegsgedichts, die eine Aufarbeitung der jüngsten deutschen Geschichte als ihre wichtigste Aufgabe begreift. Einer neuerlich negativen Geschichtsentwicklung soll im Gedicht entgegen gewirkt werden.

 

Brinkmann verweigert Eich und Heißenbüttel die Gefolgschaft. Er liebt „Frauenunterwäsche, leichte Dessous, Büstenhalter, Strümpfe, Unterhemden, Reklame in den Zeitschriften, Film und Kino“.

„Wie ein plötzlich bewegter Scheinwerfer oder eine Kamera schweift der Blick von einem Rummelplatz ab.“ (Aus „Raupenbahn“)

„Hinterher (nach dem Schreiben) wieder in der Stadt herumschlendern. Straßen und Häuserfronten, Kaffee trinken, sehen, ansehen, schmecken, riechen. Alles wird verwertet, alles gibt Stoff und Material genug. Warum müssen deutsche Schriftsteller immer so viel erfinden und ironisieren?

 

 

 

„IRONIE IST FLUCHT.“

 

Indem er über O´Haras Lyrik sagt, ihre Voraussetzungen lägen in keiner Theorie, „die mit Gedichten nur Belege von sich schafft“, sondern im persönlichen und noch völlig unliterarischen Interesse des Autors, gibt Brinkmann Auskunft über sich. „Einer dem ergriffenen Material übergeordnete Absicht und Idee mit verbindlichem Anspruch wird kein Raum gegeben.“

 

1963 immatrikuliert sich Brinkmann an der PH Köln. Er verlobt sich in Paris mit Maleen. 1964 heiratet er. Im gleichen Jahr wird Robert geboren. Brinkmann kriegt den NRW-Förderpreis für junge Künstler. Behme schreibt: „Brinkmann stellt einfache Bilder vor den Leser.“

 

„Photographie

Mitten/ auf der Straße/ die Frau/ in dem/ blauen/ Mantel“

 

In der Oberbaumpresse erscheinen 1966 die „&-Gedichte“. Ein Jahr später bringt Brinkmann bei Kiepenheuer & Witsch „Was fraglich ist wofür“ heraus. „Aus der Erschöpfung der herkömmlichen Lyrik beziehen einige zeitgenössische Autoren den Elan zu ihren provozierenden Gedichten“, behauptet Mennemeier in einer Rezension mit dem Titel „Die Anti-Gedichte des Rolf Dieter Brinkmann“.

Salzinger fragt hämisch: „Poesie also ein Naturgegenstand? Die blaue Blume im Pop-Zeitalter?“ Er zitiert: „Ein einzelner Satz/ oder gleich/ mehrere. Hintereinander./ Ein ganzes Blumenbeet.// Und wieder Sätze./ Andere. Andere Blumen“.

 

Brinkmann ist siebenundzwanzig, er hat zwei Bände mit Erzählungen und vier mit Gedichten veröffentlicht. Der Hessische Rundfunk dreht einen Film über ihn. Anregungen, die Brinkmann aus der amerikanischen Literatur bezieht, werden diskutiert. Man kolportiert seine von Fiedler beeinflusste Produktionsästhetik. Dreh- und Angelpunkt ist die Aufhebung der Differenz von Kunst und Leben.

 

Brinkmann stilisiert sich als Protagonist einer Gegenöffentlichkeit. Bald wird er diese furiose Position verwerfen. Jetzt lese ich noch einmal die Vorbemerkung zu den „Westwärts 1 & 2 Gedichten“, deren Auslieferung an den Handel im Mai 1975 Brinkmann schon nicht mehr erlebte. Der Text kommt bei mir wie eine Stimmung zwischen Trümmergrauen und Aufbruch an … wie eine Götterdämmerung im Sozialbau.

 

Jamal Tuschick