Tat/Ort
Ein Tanzthriller. Regie und Choreografie von Dorothea Ratzel
Uraufführung am 26. Juli in der Turnhalle St. Pauli
„Genau, die mit den langen Haaren.“ K. und ich waren uns schon beim Rausgehen über unsere Lieblingsfigur einig, „die hat sich gut bewegt“. „ ... ach so, ja, ich fand, sie hat vor allem gut gesprochen.“ Womit wir schon bei den Hauptbestandteilen sowie der großen Frage des Abends sind bzw. waren: Dem Verhältnis von Tanz und Text. Fünf Darsteller, drei Frauen und zwei Männer, bewegten bzw. sprachen ca. 70 Minuten lang, manchmal beides gleichzeitig, manchmal alle fünf beides gleichzeitig. Es ging ums Sterben, oder auch ums Töten. Oder auch ums Tranchieren eines Toten. Das wurde mal im Text geklärt, als alle möglichen Tötungsarten aufgelistet wurden; „vergiften: tut man nicht. Aufhängen: tut man nicht ...“ Mal wurde es getanzt, in den Bauch gerammtes Messer, Niedersinken; Kopfschuss, Niedersinken; Erwürgen, Niedersinken; Vergiften, Niedersinken; Stromschlag, Niedersinken. Sehr schön der Moment, wenn die fünf daliegenden Toten synchron noch mal nachzucken, wie man das ja von Toten kennt. Leider wurde dann ein bisschen viel gezuckt, und der groteske Moment wurde mehr zu einem Zappeln fünf am Boden liegender Tänzer. Eine andere schöne Passage: Wie ermordet man (am besten) einen Pykniker (es ging überhaupt viel um Anatomisches an dem Abend) – wegen der Schwerkraft der Masse einfach miteinander joggen und kurz vorm Abgrund brem-sen. Erhängen ist auch gut (wiederum Schwerkraft). Ganz anders Leptosomen: die lieber ausdörren lassen. Wie man (am besten) ein Herz herausnimmt. Für die Liebhaber des Splatters und Obskuren waren das gewissermaßen die Rosinen. Was dem Abend fehlte, war die durchgehende Geschichte, der rote Faden war eher eine breite Blutspur. Die Perspektive von Täter, Opfer, Zeuge, Fahnder wechselte dabei zu oft, auch die Choreografie führte die Agierenden nicht in ein größeres Bild. Der Aspekt des Rufmords, im späteren Verlauf angerissen, weitete die Thematik ins Gummihafte. Für das ermittelnde Publikum war es zumindest nicht leicht, den Tatort zu finden – dafür waren es zu viele. Die Gegebenheiten des Raums – die Turnhalle unter dem Park St. Pauli an der Elbe – wurde wenig genutzt und blieb aparte Kulisse. Die beiden verschiebbaren Trennwände hatten ihren Auftritt als Projektionsfläche für Insekten in einer Petrischale, die im Lichte des Episkops ihre Runden drehten. Und apropos: Die Kreise, Stürze, Verrenkungen sowie das Herumliegen der fünf (anderen) Akteure machten den Abend durchaus lohnend. Dafür spricht auch der Applaus, der sehr viel tosender war als der, den die Queen Mary 2 eine Stunde später und einen Stock höher bei ihrer Durchfahrt entgegennehmen durfte.
Stefan Moos
Tänzer: Ante Pavic, Christine Schulz, Margarita Tsomou, Natascha Vahlendiek, Sven Seger
weitere Aufführungen: 1. bis 4. August, 21 h