9. Juli 2007

Kakteen kennen keinen Schmerz

 

Dialekt kann etwas sehr Schönes, aber auch recht Frustrierendes sein. Das Wort leitet sich vom griechischen „dialegomai“, „miteinander reden“, ab. Einschränkend muss man aber dazu sagen: Schön für diejenigen, die ihn sprechen – schön blöd für jene, die dabei nur Bahnhof verstehen. Diese Tücken und geradezu anarchischen Freuden des Dialekts wurden mir neulich bei einem Besuch in der „Augsburger Puppenkiste“ sehr anschaulich. Man gab „Räuber Hotzenplotz“. Als die ersten Worte vom Band kamen und sich die Marionetten bewegten, zunächst Befremden: Seppel und Kasper sprachen Schwäbisch, was in Seppels Monolog „Bin der Sepperle, a kloans Depperle“ und dem „Liad vom Leuterwägele“ kulminierte (für alle außerhalb Schwabens: „Das Lied vom Leiterwagen“), zu dem sie munter mit den Holzfüßen auf den Boden klapperten und einige Kinder zum Mitsingen animierten: „Leuterwähägele!“ Andere Kinder weinten – anscheinend aus Frust darüber, dass sie nichts verstanden (vielleicht hatten sie auch nur Hunger). Anfangs also für den Nichtschwaben auch wegen des Dialekts der Figuren ein etwas surreales Erlebnis; dann aber, im Lauf der Vorführung, als bei jeder weiteren irrwitzigen Wortneuschöpfung, die sich als „völlig normaler“ altbayerischer oder -schwäbischer Ausdruck herausstellte, das junge Publikum kicherte und freudig die Sätze nachplapperte, bekam das Ganze etwas überaus Charmantes; Bühne und Zuschauerraum waren plötzlich nicht mehr getrennt, man befand sich in einem Raum von fröhlichen Eingeschworenen.

 

Den surreal-charmanten Charakter eines Marionettentheaters auf Schwäbisch besitzt auch „Kauboi und Kaktus“, das erste Comicheft Landrömers. Der Vergleich mit der „Puppenkiste“ kommt nicht von ungefähr: Landrömer wohnt in Augsburg; wenn sich bei seinem ersten Comic der Vorhang des Geschehens hebt, stehen da wie auf einer Bühne auf der ebenen Fläche ein Cowboy-Skelett und ein Kaktus, die auf ihrem Weg durch die Wüste diverse Abenteuer zu bestehen haben; gern wird auch – als entfernte Reminiszenz an „Der Schuh des Manitu“? – bayerisch gesprochen. So lautet der Untertitel des Heftes: „Verreckte Hund’“. Ganz schön toughe Jungs also sozusagen. Nur auf den ersten Blick geht es allerdings um einen klassischen Macho-Western; raubeinig sind allenfalls die Sprüche des Cowboys, der aber schon seinem Aussehen nach – Skelett mit Hut – offensichtliche tragikomische Züge trägt. In Wirklichkeit wird die surreale Wüsten-Szenerie, die nachts aus einem Halbmond und Sternchen, bei Tag aus einer endlosen weißen Fläche besteht, von sympathischen Weicheiern bevölkert: Allen voran dem sprechenden Kaktus, dem ewigen Optimisten mit den zum Jubeln erhobenen Ärmchen. Der Beginn der Freundschaft des Kaubois mit dem Kaktus bestimmt den Ton des gesamten Hefts: Der Kauboi wirft ein Lasso und zieht den Kaktus herbei, der ihn davor warnt, ihm nicht die Hand zu reichen, da er steche. Der Kauboi zuckt mit den Achseln: „Den Kauboi sticht niemand. Seine Hand hat kein Fleisch. Nur Knochen. Kein Schmerz.“ Fröhlich, dass sie beide nicht mehr allein sein müssen, sitzen sie dann am Lagerfeuer zusammen und halten bei ihren Abenteuern in der Wüste, die an eine zweidimensionale Version von Herrimans „Coconut County“ erinnert, zusammen wie Pech und Schwefel: So wenn sie den durch die Lüfte wirbelnden Geistreitern, Skorpionen oder dem Teufel begegnen. Zumeist treffen sie aber auf einsame Gestalten mit einem weichen Herz, die sich wie sie nach Gesellschaft sehnen: Gully, die Windsau, oder den einsamen Wolf.

 

 

Mit seinen reduzierten Schwarzweißzeichnungen ist Landrömers „Kauboi und Kaktus“ ein Mittelding aus Comic und Strichmännchen-Kinderbuch für Erwachsene. In manchen Szenen zauberhaft poetisch, so wenn der Kauboi sein Lasso am Mond befestigt und er sich mit dem Kaktus in den Himmel schwingt; manchmal mit seinen Kalauern („Ich mag die Wurst.“ – „Das is’ dem Kauboi wurscht.“) ein wenig kindisch-nervig. Allen Zeichnungen gemein ist aber eine große Wärme, die von dem bei den Figuren spürbaren Wunsch rührt, nicht allein zu sein – richtiggehend tragische Züge erhält das kleine Heft dann, wenn der Kauboi den Kaktus tatsächlich verlässt und der stumm weinend in der Wüste sitzt. Wie die gestohlene Kaffeemühle der Oma im „Hotzenplotz“ taucht der Kauboi aber natürlich wieder auf. Wer sich im Theater dann über die Bratwürste der Oma und das Sauerkraut ebenso freuen konnte wie die Kinder im Publikum, dem wird auch der erste Band von „Kauboi und Kaktus“ einen kurzweiligen Lektüre-Spaß bereiten.

 

Thomas von Steinaecker

 

Landrömer: Kauboi und Kaktus

Verreckte Hund` (Der umfangreiche Sammelband) 5 €
 
Schöne Stories und Cartoons von Kauboi und Kaktus auf 52 Seiten hochwertigem chremefarbigem Papier, mit festerem Umschlag (21 x 22 cm). Verreckte Hund`ist der erste Band einer Kauboi-Reihe. Band II mit dem Titel "Schnorcheln ohne Badebux" erscheint voraussichtlich Ende 2007.

www.kauboiundkaktus.de