29. Juni 2007

Schweben … Zeitlupe

 

Interview mit SUSANNA AND THE MAGICAL ORCHESTRA

 

 

Wenn ich genug Geld hätte, dann würde ich mich einfach nachts in ein Taxi setzen und zeit- und ziellos mit diesem Album und gutem Rotwein durch die Dunkelheit nachtwandeln. Dem Fahrer Schweigen verordnen, gedankenverloren die vorbeiziehenden Häuser, Menschen und Landschaften betrachten und nur dieser so einzigartigen Stimme und den getupften Tönen lauschen. Irrlichternd, traumverloren. Seit Pianas großartigem „Ephemeral“-Album wurde Melancholie nicht mehr schöner buchstabiert. Und wann sind Verlorenheit und Schönheit zuletzt so eine traumklangvolle Symbiose eingegangen?

Da ich jedoch in meinem Appartement gefangen bin, schalte ich die Oberlichte aus, dann die Schreibtischleute. Alles herabdimmen. Dieses Album ist in eine begleitende sanftseidene Halbdunkelheit zu kleiden. „Melody Mountain“ echot Musikgeschichte mit dunkelbunten Lavendellauten in einer so seltenen Authentizität, wie man sie seit Jahren nicht mehr gehört hat. Es ist ein unglaublich still-fragmentiertes Album, das wie die einsamen Tagebucheinträge nachhallt, das seine Magie aus den Erinnerungen an diese abseitigen Momente zieht, die fast jeder kennt. Ein Album, das alle Entspanntheit dieser Welt mit fragiler Geste atmet. Susanna Karolina fühlt den Puls alter großer Songs und injiziert ihnen diese ganz unglaubliche persönliche Melancholie. „Melody Mountain“ nimmt Klassiker der Musikgeschichte und deckt deren tief verborgene Seele auf, die emotionale Seite, die sich oft hinter rüden Gitarrenriffs verbergen. Sie skelettiert selbst einen Schweinerockklassiker von AC/DC („It´s a long way to the top if you wanna Rock´n´Roll“) mittels Spinett und wenigen Orgeltönen, bis die eigentlich tragische Textur des Songs voll zum Tragen kommt. Das Album ist ein klangvoll minimales Statement entgegen der rasenden DSL- und Großstadtneurosen unserer Zeit. Ein Werk das schwebende Klänge dem Raubbau der grauen Zeitmörder entgegensetzt. Die weise Schildkröte inmitten des Highspeedwahnsinns. Ein Album wie ein Statement, das aber keines ist und auch keines sein will.

 

 

Fühlungsversuche

 

 

Nach dem Debütalbum „List of lights and buoys“, auf welchem neben neun Eigenkompositionen auch diverse Coverversionen zu hören waren, besteht „Melody Mountain“ nun komplett aus Fremdmaterial. Diese sind aber beim ersten Hören nicht unbedingt immer zu entschlüsseln, da das Duo sich perfekt darauf versteht den ursprünglichen Versionen ein ganz eigenes neues Klangbild zu verleihen. Susanna Karolina Wallumrod ist die charismatische Stimme, die das Album trägt, der Multiinstrumentalist Morten Qvenild (Jaga Jazzist, In The Country, The National Bank) übt sich in produktiver Zurückhaltung, um mit wenigen, aber sehr klangvollen Soundelementen Susanna zu unterstützen. Magisch.

 

nN: Nach welchen Kriterien habt ihr die Songs ausgewählt? Lyrics, Sound, persönliche Bedeutung?

Susanna: Wir haben im Jahr 2000 erstmals gemeinsam begonnen und damals nur Songs von anderen Musikern gespielt, bevor wir unsere eigenen komponierten. „Hallelujah“ (Leonard Cohen, Anm. d. V.) beispielsweise spielen wir seit nunmehr sieben Jahren. Die Arbeit an dem Album war also so etwas wie eine Rückbesinnung auf unsere Anfangstage. Wir wollten Cover-Songs in unserer eigenen Fassung machen, allerdings in einem akustischeren Setting als auf dem Debüt. Die Songs wurden gemeinsam von Morton und mir zusammen mit unserem Produzenten Deathprod ausgewählt. Wir hatten nur den Fokus ,Songs zu finden, die wir in irgendeiner Art und Weise mögen. Es ist kein „Lieblingssongs-Album“, was wahrscheinlich auch kein guter Ansatz wäre, aber natürlich mögen wir all diese Songs. Einige davon haben wir nicht einmal gekannt, bevor wir an ihnen gearbeitet haben.

 

Auffällig bei der Wahl der Interpreten ist, dass überwiegend männliche Akteure vorzufinden sind. Teils raubeinige Riffrocksongs (u. a. AC/DC, Kiss) werden von einer charismatischen Frauenstimme bis auf ihren Kern reduziert und entblättert. Genderthematik und Neukontextualisierungen im emanzipatorischen Gewand war der angesteuerte Diskursansatz. Doch die Analyse läuft ins Leere.

 

nN: Habt ihr bewusst hauptsächlich Songs von männlichen Künstlern gewählt?

Susanna: Das war keine Absicht. Wir haben uns keine Gedanken über das Geschlecht der Künstler gemacht. Wir haben über eine längere Zeit an vielen verschiedenen Songs gearbeitet, also nicht nur an denen, die auf „Melody Mountain“ gelandet sind.

 

nN: Einige der Songs sind recht raue Rock-Songs. Wie korrespondieren sie mit eurer minimalen Musik?

Susanna: Ich finde sie korrespondieren sehr gut mit unserer Musik. Wir wollten aus den Songs etwas eigenes, sie zu einem Teil von uns machen. Diese minimalistische Seite der Musik finde ich etwas Großartiges, auch wenn die Originale oft stark verzerrt und mit vielen Instrumenten gespielt sind.

 

nN: War es schwer, manche Songs auf ihren Kern zu reduzieren?

Susanne: Die Arbeit an diesem Album ist stark vergleichbar mit der Arbeit an unserem eigenen Material. Manchmal dauert es eine Weile und gelegentlich findet man schnell den Kern eines Songs und Arrangements. Es ist hauptsächlich ein Prozess, in dem auch unser Produzent involviert ist.

 

nN: Welche Bedeutung hat Stille für euren Sound. Ist Stille ein bewusster Ansatz in euer Musik?

Susanna: Ich denke Raum und Stille sind ein Teil der Musik und es ist ein sehr bewusstes Konzept.

 

nN: Habt ihr eine besondere Intention mit diesem Album?

Susanna: Keine andere Intention, als das zu machen, was wir als gute Musik empfinden.

 

nN: Ist das Album wirklich nicht als Statement gegen die Schnelllebigkeit unserer Zeit zu verstehen?

Susanna: Wir fokussieren uns darauf, zum Wesentlichen der Musik vorzudringen, egal ob es unsere eigene Musik oder die Songs von anderen sind. Die Musik, die wir bisher gemacht haben, ist sehr langsam und voller Raum. Es ist schwer zu sagen, ob das weiterhin meine musikalische Sprache sein wird oder ob es sich irgendwann ändert. Sie mag wie ein Statement klingen, aber sie war nicht dazu gedacht, ein Statement zu sein.

 

Christian Eder

 

Der Text ist in ähnlicher Fassung auch im noisyNeighbours Fanzine erschienen.

 

SUSANNA AND THE MAGICAL ORCHESTRA: Melody Mountain

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