28. Juni 2007

Netzkäufe

 

Eines hat Konrad Thurm aus dem sächsischen Städtchen Borna mittlerweile gelernt: „Verkoofen ist ‘ne Kunst“. Der beleibte Mann mit der Schirmmütze und den wachen Kulleraugen hat wie seine Frau kürzlich seinen Job verloren und versucht nun mit dem Elan eines frisch gebackenen Kleinunternehmers im Verbund mit seinen Söhnen eine Internet-Agentur aufzuziehen. Rührend-naiv geht Thurm dabei zu Werke, wenn er etwa seiner ersten Kundin gesteht, dass er nach ihrem Anruf beinahe an die Decke gesprungen wäre. Die sächsischen Glücksritter im Worldwide Web lassen sich auch nicht davon entmutigen, dass sowohl das von ihnen angepriesene Weihnachtskostüm als auch der üppige „Präsentkorb“ bei den eBay-Auktionen keinen Abnehmer finden. Die Thurms sind eine von fünf Geschichten aus der schönen neuen eBay-Welt, von denen der Dokumentarfilm „Traders‘ Dreams“ erzählt.

 

Was steckt hinter dem elektronischen Warenhaus?

 

Die bereits mehrfach ausgezeichneten Autoren Marcus Vetter und Stefan Tolz gehen der Frage nach, welche Verkaufskultur hinter dem elektronischen Warenhaus steckt und verschränken in ihrem globalen Puzzle dabei geschickt verschiedene Episoden und Ebenen miteinander. Da kann sich die schottische Postbeamtin Joe auf ihren Touren über die Insel Skye nur darüber wundern, wie viele Pakete sie in Zeiten von eBay übers Land kutschiert, während ein kalifornischer „Power Seller“ von seinem neuen Wohlstand schwärmt. Als Kind des amerikanischen Traums, der auf der Annahme basiert, dass jeder seines Glückes Schmied und somit auch erfolgreicher Internet-Verkäufer werden kann, kommt auch eBay nicht ohne die bekannte kapitalistische Ausbeutung aus. Das zeigt der Film schön am Beispiel der mexikanischen Kunsthandwerker, die nicht schlecht staunen, als sie auf dem Computerschirm sehen, welchen Preise ihre Zwischenhändler mit den Vasen aus Mittelamerika erzielen.

 

Keine plakative Abrechnung

 

Vetter und Tolz formulieren keine plakative Anklage gegen das eBay-Konzept, sondern üben eher verhalten und ausgewogen Kritik, wenn sie etwa dem verordneten Rummel um eBays zehnten Geburtstag die sächsische Ödnis oder eine staubige mexikanische Dorfstraße gegenüberstellen. „Traders‘ Dreams“ gehört zu den Filmen, die in erster Linie zeigen anstatt interpretieren wollen und dabei nicht auf Humor verzichten mögen. Zu etwas ganz Besonderem aber wird „Traders‘ Dreams“ erst durch die ansprechende, ungeheuer interessante Bildsprache – zum Teil ein Verdienst von Thomas Riedelsheimer, der Ausnahmedokumentarfilmer war als Kameramann mit von der Partie.

 

Lasse Ole Hempel (06.06)

 

„Traders‘ Dreams“, Marcus Vetter und Stefan Tolz, 2007

 

Der Text ist leicht gekürzt in der Juli-Ausgabe der Szene-Hamburg erschienen.