18. Juni 2007

Geisterbahn und Glanzrevue

 

„Das glaubt uns keiner!“ Komische Verzweiflung beim Führungsteam des Bucerius Kunstforum. Sie erhalten vor der Eröffnung der Ausstellung »Geisterbahn und Glanzrevue« am Samstag eine konzentrierte Instruktion vom Kurator der Dix-Ausstellung, Karsten Müller. Er steht gerade vor einem mittelformatigen Rahmen mit rotem Seidenvorhang und erklärt die Bewandtnis dieses Röckchens, was natürlich gelüftet werden muss und angeblich nur aus konservatorischen Gründen dort angebracht ist. Oh ja, der schwüle Vorhang hätte Dix mit Sicherheit gut gefallen, aber er ist nicht von Dix dort angebracht worden, sondern vom Leihgeber, dieser beweist allerdings dixschen Humor.

Und dann ist dahinter auch wirklich ein pikantes Stück verborgen, auch noch in ledrigem Rahmen, der „Traum der Sadistin“, eine überaus zart, malvenfarben lavierte Federzeichnung von 1922, eine großspurige Dame mit gezwirbeltem Schnurrbart und Peitsche. Otto Dix (1891–1969), immer ein wenig albern und deshalb immer auch gefährlich schmerzhaft auf dem Punkt. Nicht moralisch erhaben und menschlich entrüstet, sondern selbst lüstern gerüstet. Angriffslustig. Immer die Bestialitäten, die die Wirklichkeit bietet, herausfordernd. Er gibt den ruppig bodenständigen Antiintellektuellen, den souveränen Proleten, der er keineswegs war. Aber Dix spielt seine Posen mit Lust aus und er macht seine Sache gut.

Auch während des Ersten Weltkriegs, Dix meldet sich 1915 freiwillig an die Front, wie die meisten seiner Generation, ist er sehr produktiv – als Aquarellist. Dass er als MG-Schütze ebenso tätig war, steht außer Frage. Durch den Krieg traumatisiert und davon sein Leben lang verfolgt, ist Dix doch überzeugt, in dieser Zeit Gewaltiges erlebt zu haben: „Das durfte ich auf keinen Fall versäumen! Man muss den Menschen in diesem entfesselten Zustand erlebt haben, um etwas über den Menschen zu wissen.“ So rabiat das klingt ist seine Kunst auch. Und endlich einmal wird das nicht treusorgend pädagogisch umgebogen und auf eine pazifistisch wertvolle Weise passend gemacht, sondern einfach ausgestellt. Und zwar in der ganzen Heterogenität, die sein Werk bietet. Also hängen die Porträts von Verstümmelten und der reizende Nachwuchs der Großbürger in direkter Nachbarschaft. Dix arbeitete nicht nach Themen sortiert, sondern, genauso wie er seinen Abendgästen zur Geschmacksprüfung ein blutrünstiges Gemälde über den Esstisch hängte und genauso wie das Leben eben, ließ er die Tatsachen mit Aplomb aneinanderkrachen. Die Hamburger Schau mit Papierarbeiten von Otto Dix vom Frühwerk bis zu den Aquarellen der 1920er Jahre ist ausgesprochen sehenswert, denn es gelingt hier das Schema, welches man von Dix im Kopf hat, zu unterlaufen. Nicht die monothematische Malerei draller, aufgekratzter Hässlichkeit ist vordergründig, durch tausendfache Reproduktion erodiert, sondern man kann tatsächlich seiner Art zu zeichnen und zu beobachten nachspüren. Die Komik der Szene und die Hingabe ans Sujet sind glaubhaft, seine Titel sind ätzend, ironisch. Zwei grimmig blickende Artisten in Arbeitskleidung nennt er „Verächter des Todes“, und seine fabelhaften Kinderbilderbücher, zeigen unter anderen das Rotkäppchen in triumphaler Pose bis zu den Knien im blutigen Bauch des Wolfs stehend. Rabiat auch dieses Blatt, aber die kleine Nelly, für die er dies zeichnete, wird sich geschmeichelt wiedererkannt haben.

 

Nora Sdun

 

Geisterbahn und Glanzrevue

Otto Dix. Aquarelle und Gouachen

Bucerius Kunstforum, Hamburg

16. Juni bis 9. September 2007