16. Oktober 2003

Auf der Jagd

Der kanadische Schriftsteller Robert Sedlack berichtet in "Afrikasafari" von einer eher ungewöhnlichen Form der Familientherapie

 

Von Gustav Mechlenburg

 

"Afrikasafari" ist ein Paradebeispiel perfekt konstruierter Literatur. Der kanadische Schriftsteller Robert Sedlack musste sich zur Inspiration wohl nicht erst ins Abenteuer stürzen. Jemand, der über eine solche zugleich vulgäre wie analytische Sprache verfügt, braucht nicht auf Eingebung von außen zu hoffen. Zwar fußt die Geschichte auf einer tatsächlichen Afrikareise, die Sedlack vor Jahren zusammen mit seinen Eltern unternommen hat. Der Rest jedoch ist Fiktion, worauf Sedlack eigens in einer Anmerkung zu Beginn des Buchs hinweist und darin meint erwähnen zu müssen, dass seine eigene Safari "vergleichsweise ereignislos" verlief. Kennt man das Ende des Romans, weiß man, er wird darüber nicht traurig sein.

 

Wer da von autobiografisch redet, wie es Kritiker getan haben, muss eine Menge vom Zufall halten. Zu geschickt verteilt der Autor gleichmäßig alle erdenklichen Probleme auf seine drei Hauptfiguren. Zu gekonnt werden Spannungsbögen inszeniert. Und zu raffiniert werden die unterschiedlichsten Diskurse aufgegriffen und nicht zuletzt die Leser gnadenlos manipuliert.

 

Der 39-jährige literarische Quereinsteiger hält ohnehin nichts von der Einsortierung in autobiografisch oder fiktional: "Ich sehe den Weg eines Geschichtenerzählers nicht als eine lineare Entwicklung von selbstbezogenem Material zu selbstlosem (angeblich bedeutungsvollerem) Stoff", gibt der Autor zu bedenken, der sich selbst nicht als Romancier, sondern als Geschichtenerzähler versteht.

 

Dass er mehr als nur das ist, hat er mit seinem im Stil eines Tagebuchs gehaltenen Debüt "Afrikasafari" eindrucksvoll bewiesen. Sedlack klotzt darin gleichermaßen mit einer makabren Handlung wie mit sprachlicher Übertreibung und kommt der Wirklichkeit dadurch näher als so manch nüchterner Erzähler. Damit steht er in guter amerikanischer bzw. kanadischer Tradition. Sein Verlag hat diesem Umstand durch die Cover-Gestaltung Rechnung getragen. Auf dem Umschlag prangt ein saftig rohes Stück Fleisch in Form des afrikanischen Kontinents.

 

Man merkt gleich, es wird sich wohl kaum um eine pittoreske Reisebeschreibung handeln. Doch wer die Problematisierung von Armut und Ausbeutung in der Dritten Welt erwarten sollte, wird eher enttäuscht. Wobei dem Schreiber die postkolonialistischen Diskurse nicht verborgen geblieben sind. Für die meisten Leser wie auch für die Protagonisten selbst ein schwarzer Fleck auf der Landkarte, muss Afrika wie so oft für manche Projektion herhalten. Da wechselt das Bild der Touristen vom edlen Wilden gerne mal abrupt wieder zur rassistischen Einstellung, und die Natur wird immer so ausgelegt, wie man es braucht. Entweder beeindruckt sie als mythische Gegenfolie zur degenerierten Zivilisation oder sie ist die feindlich gefährliche Außenwelt.

 

Im Grunde ist der Ort des Geschehens unerheblich. Die Handlung besteht in der tragikomischen Selbstzerfleischung einer Familie. Der Rahmen einer Safari in Afrika ist nur ein Trick, das Kollabieren der familiären Konstellation durch eine gefährliche Umgebung zu beschleunigen. Wobei die Gefahr zunächst nicht so sehr in der Präsenz wilder Tiere besteht als vielmehr in der Geschlossenheit der kleinen Reisegruppe. Auf einer Safari kann keiner seine eigenen Wege gehen.

 

Im Grunde genommen erscheint dem trotzigen 19-jährigen Tagebuchschreiber Richard die Teilnahme an so einer Tour mehr als absurd. Dennoch kommt er dem Wunsch seiner Eltern nach, sie nach Kenia zu begleiten. Die Reise ist der Versuch, Normalität wiederherzustellen. Die psychisch kranke Mutter soll durch den Ortswechsel und das Wiedersehen mit Richard von ihrer Depression geheilt werden.

 

Das Unternehmen kann nur in einer Katastrophe enden. Der tyrannische Macho-Vater Ted, ein "kontrollierter Alkoholiker", der zunehmend die Kontrolle verliert, verteilt beim Abflug die Familienmitglieder autoritär auf verschiedene Flugzeugbereiche, um bei einem möglichen Absturz die Überlebenschance wenigstens von einem der Angehörigen zu erhöhen. Für die Mutter Janet nicht gerade ein aufmunternder Start. Der Sohn Richard flüchtet in den Drogenrausch. Am liebsten wäre ihm, er könnte nur "Beobachter des Schlamassels" sein, dass er selbst das Problem sei, wird ihm aber während der Reise immer häufiger angetragen. Nicht zuletzt von ihrem geheimnisvollen afrikanischen Führer Gabriel, der auch nicht ganz normal zu sein scheint.

 

In seinen Tagebuchaufzeichnungen versucht Richard, sich über sich selbst Klarheit zu verschaffen. Seine Sprunghaftigkeit und seine durch Drogen verursachten Filmrisse ergeben jedoch nur ein konfuses Bild. Mal beschreibt er sich und seine meist peinlichen Situationen schonungslos ehrlich und qualvoll detailreich, dann ist er wieder abstoßend vulgär und selbstüberheblich. Einen solchen, nicht gerade sympathischen Charakter mit all seinen Selbstwidersprüchen darzustellen, ist Sedlack schmerzlich schlau gelungen.

 

 

 

Robert Sedlack: "Afrikasafari". Aus dem kanadischen Englisch von Ulrich Blumenbach. Hoffmann und Campe, Hamburg 2003, 400 S., 19,90 €

 

taz Nr. 7009 vom 20.3.2003, Seite IV, 144 Zeilen (Kommentar), GUSTAV MECHLENBURG