16. Oktober 2003

zu haus in hamburg

 

"Läden, Schuppen, Kaschemmen" von Ch. Twickel, Nautilus Verlag 2003, Hamburg

 

Von Tobias Else

 

da ist jetzt "läden, schuppen und kaschemmen" auf meinem schreibtisch zur kritik gelandet. normalerweise landet bei mir nichts zur rezension.

 

auf meiner schreibtischunterlage ist eine weltkarte und da ist ganz klein deutschland und ganz ganz klein hamburg drauf. und da erkennt man schon, so wichtig können die paar laeden gar nicht sein und ob das buch was besseres als die nation ist, muss jeder selbst herausfinden.

 

in diesem buch werden orte der popkultur aus drei jahrzehneten hamburg (1969-1997) bedacht. jeweils in einem kapitel werden die landmarken von rockern, punkern, disko, popmusik, reggae und hiphop behandelt. dabei kommen sowohl macher und mitmacher zu wort, als auch leute, die dabei waren oder gern dabei gewesen waeren. für mich als mittlere generation, der während der beschriebenen zeit einen ordentlichen beruf erlernt hat und somit nicht dabei war, sondern nur zugeguckt hat, ist das kapitel über die hamburger schule am meisten heimat. aber auch die dia-/monologbeiträge der anderen kapitel sind so angenehm ausgewaehlt, dass sich dort sicher andere menschen und generationen zu hause fühlen können.

 

eigentlich ist das ganze buch ein bisschen wie musik hoeren. musik ist wichtig und macht spass und ist ein essentieller bestandteil gerade der jugendkultur. nur weiss man eben auch nie hinterher ob irgendetwas mehr geworden ist als vorher. bei diesem buch ist das ebenso. man kann es einfach irgendwo aufschlagen und loslesen, eben wie auf einem tontraeger. insgesamt bleibt man beim lesen aber doch ganz ruhig und friedlich und ist eher wehmuetig berührt, da es den autoren gelungen ist, nicht zu sehr in übliche abstrakte besserwisserei abzudriften, sondern ortstreu bei den jeweiligen lokalitäten zu bleiben. so werden indbesondere freude, heimat und trauer in diesem buch gross geschrieben. ob onkel pö, mojo, sparr, pudel, heinz karmer`s tanzcafe, alle laeden werden mit feier und freude eröffnet, werden tag- und nachtmenschen sowie musik- und kunstfreunden, die bei der schliessung eines vergangenen ladens heimatlos wurden, zu einem neuen stein gewordenen popkulturellen zuhause und schliesslich endet es jeweils in traenenunterdrueckter trauer mit der schliessung, ein bleibendes bild im kollektiven kulturellen gedaechtnis hinterlassend, das man hier schwarz auf weiss nachlesen kann. und dann wieder auf zu neuen ufern.

 

aber ist so ein buch wirklich von interesse für die welt? das ist genauso eine frage wie die, ob man sich gern einfach so weltkarten anschaut oder in atlanten oder ethymologischen woerterbuechern blaettert. wer zu hause hin und wieder einmal photoalben zur hand nimmt und über begebenheiten mit alten freunden schmunzelt oder vergangenes mit verwandten rekapituliert, der liest bestimmt gern in dieser hamburger lokalitaetencompilation. für alle anderen wird dieses werk nicht im mittelpunkt ihres universums stehen.

 

fuer einen grossteil der zu wort kommenden in diesem buch scheint eine hand voll kaschemmen tatsächlich die welt bedeutet zu haben, und so fehlt im anhang sowohl noch eine kleine karte zur lokalisationsilfe der kneipenorte als auch, wie es in jedem retrospektiv- und verwandtschaftsbuch inzwischen üblich ist, eine grafische darstellung der vernetzung der im anhang erwaehnten personen und begriffe. da könnte dann hinter "hamburger schule" in klammern stehen: die spex hat damals den begriff diskurspop gebracht, das fand ich besser als hamburger schule (tobias levin). eine fortsetzung, soweit so etwas notwendig waere, sollte den begleitenden fanzines gewidmet werden, insbesondere dem heft, das zu beginn der neunziger jahre mit der promotion von quickborn als austragungsstaette der olympischen spiele immerhin einmal fast weltruhm erreicht hätte.

 

also, new york, rio, tokyo sind auf der weltkarte auch nicht groesser verzeichnet. hier und jetzt kommt hamburg! allen nachtschwaermern viel spass mit der eigenen geschichte.