Tanz das goldene Schilfrohr
Céline hatte eine Schwäche für den Tanz, das Ballett und die Tänzerinnen. Er war selbst mit einer verheiratet. Und er schrieb, neben seinen dicken Romanen, kurze Texte, die kurz vor seinem Tod, 1959, unter dem Titel „Ballets sans musique, sans personne, sans rien“, erschienen. Diese Ballette sind nie aufgeführt worden, obwohl Céline anscheinend alles daran gesetzt hat und sein Arm sich zu diesem Zweck bis nach Moskau ausstreckte. Drei der hier versammelten und vermutlich zwischen 1935 und 1937 verfassten Ballette, darunter „Die Geburt einer Fee“, brachte Céline bereits 1938 heraus, in dem als antisemitisches Pamphlet bekannt gewordenen „Bagatelles pour un massacre“. Wollte man deshalb nichts von diesen charmanten Sonderbarkeiten wissen – die publizistische Nachbarschaft der „reinen“ Ballette zu den delirierenden Passagen dieser Schrift? Jedenfalls wäre es Unsinn, die Ballette nach nationalsozialistischen Spuren abklopfen zu wollen. Oder faschistischen. Céline war Antisemit, und das ist schlimm genug. In den Balletten, wie gesagt, keine Spur davon. „Die Geburt einer Fee“ spielt zur Zeit Ludwigs XV., also im 18. Jahrhundert. Célines Wahl der kleinen Form passt also ganz gut in den Dekorationsstil Louis-quinze. Ein letztes Mal, bevor den Königen die Köpfe abgeschlagen werden, darf galant gefeiert und gespielt werden. Gleich im ersten von acht Bildern sieht man auf einer Lichtung eine Gruppe von fröhlichen Kobolden, Irrwischen und Elfen sich tollen. Alle tanzen, sogar die große Eule, der Kopf der kleinen Bande. Eine zweite lustige Gesellschaft, diesmal richtige Menschen, junges Volk, schön und unbeschwert, schlägt die scheuen Elfen und ihre Begleiter unwissentlich in die Flucht. Évelyne will noch einen der kleinen Kobolde gesehen haben, aber man glaubt ihr nicht so recht. Eine zweite Tanzeinheit. Dann spielt man blinde Kuh. Und der Poet, als „Poet“ gekleidet, macht Évelyne den Hof. Mit fröhlichen Tänzen schließt das erste Tableau. Das zweite spielt vor dem Wirtshaus des Dorfes. Jahrmarkt. Die alte Karalik, die Céline direkt aus seinem Szenario „Secrets dans l’Île“ übernommen haben könnte (wo sie „Mutter Kralik“ hieß), ist eine alte, böse Zigeunerin, die den Leuten aus der Hand liest. Als die Truppe um Évelyne und den Dichter erscheint und sich Platz schafft, beginnt die Alte zu fluchen. Sie verwünscht schließlich das verliebte Paar, in dem Moment geht ein Unwetter los, und während die Menge flieht, tanzt die Alte den Tanz der „Hexen“. An einem anderen Tag des Jahrmarkts. Eine große Kutsche versucht sich den Weg durch die Menge zu bahnen. Direkt vor dem Wirtshaus kommt die Kutsche zum Stehen, jeder möchte sehen, wer in der Kutsche fährt. Der Kutscher – es ist niemand anderes als der Teufel persönlich – ist sauer. Die Achse des Gefährts ist gebrochen, zu viel Belastung durch das neugierige Pack. Der Kutscher lässt die kostbare Fracht aussteigen, zwanzig charmante junge Mädchen auf Reise, natürlich Tänzerinnen. Es handelt sich um das „Ballett des Königs“. Der „Meister“ drängt seine Truppe ins Wirtshaus, großes Tohuwabohu, die Menge will mehr sehen, schließlich zerstreut sich das Volk, die Frauen ziehen ihre Männer hinter sich her. Etwas später werden diese wiederkommen. Sie sind schon bezaubert. Wollen mehr. Drinnen scheint man eine kleine Probe abzuhalten. Die Männer finden einen kleinen Durchschlupf, einer nach dem anderen tritt ein, wird vom Teufel willkommen geheißen, als letzter erscheint der Dichter. Wie vergesslich die Menschen sind. Der Dichter widmet der ersten Tänzerin sofort ein großartiges Gedicht. Dann zieht die Tanztruppe weiter. Aber die Männer gehen mit, sie sind alle verzaubert, der Skandal ist da, die Frauen schreiten vergeblich ein, sie bleiben zurück, als Verlierer, die alte Karalik schürt den Hass der Frauen, Évelyne zieht sich zurück, will sich umbringen. Im Wald wird sie von den Elfen umringt, sie tanzen den Totentanz. Der Tod selbst tritt auf, tanzt, fasziniert Évelyne. Bevor die beiden zu tanzen anfangen, werden sie von einem Jäger gestört. Das irrlichternde Volk flieht, Évelyne gelingt es, ein von dem Jäger verwundetes Reh zu retten. Es ist das Reh, das mit den Elfen spielt. Zum Dank lehrt das spukende Völkchen Évelyne die Kunst des Tanzes. Mit dem „goldenen Schilfrohr“ bewehrt wird sie unschlagbar sein. Ihren Freund wiedergewinnen. Aber wo steckt er? Im Gefolge des Teufels? Die alte Karalik müsste doch bei dieser „teuflischen Angelegenheit“ Bescheid wissen. Die lässt sich alles erzählen. Lässt Évelyne tanzen, vor sich und dem ganzen Zigeunerstamm. Erneut spaltet sich das Publikum vor der bezaubernden Tänzerin, die Frauen bersten vor Eifersucht, die Karalik tut das Übrige, und Évelyne endet mit einem Messer im Rücken. Die Menge flieht, eine andere, freundliche, erscheint, es sind die Elfen, die die arme Tänzerin zum Leben erwecken, allerdings nur zum Leben als Fee. Gemeinsam, mit der bösen Karalik, verschafft man sich Einlass im Schloss des Teufels. Eine wahre Orgie ist im Gang, die ganzen Repräsentanten des Dorfes sitzen an mit monströsen Speisen bedeckten Tischen, jeder neben sich eine Tänzerin, jetzt verkörpert als veritable Dämonin. Der arme Dichter ist an seinen Tisch gefesselt, die Prima Ballerina tanzt für ihn, vor ihm, aber er kann sie nicht berühren, er verzweifelt. Dann fordert Luzifer alle zum Tanz auf, jeder so, wie er kann. Auch die Frauen sind anwesend, sie haben Lösegeld mitgebracht. Dann erscheint die andere Gruppe im Saal. Die Dämonen sind überrascht. Luzifer verlangt eine Erklärung. Als Évelyne ihren Dichter befreien möchte, verbietet ihr Luzifer das und verlangt, dass sie tanzt. Die Dämonen sind eifersüchtig. Karalik zeigt Luzifer, dass Évelyne im Besitz der Zauberkunst des Tanzes ist: das „goldene Schilfrohr“. Ein Dämon versucht, in dessen Besitz zu gelangen. In diesem Moment macht Évelyne eine Bewegung, ein magisches Zeichen, und das ganze Schloss ist verschwunden, zerstreut durch einen fürchterlichen Sturm. Zum Schluss sieht man das verliebte Paar des Anfangs, Évelyne nimmt die Entschuldigung des Dichters an, aber als Fee kann sie seine Liebe nicht erwidern. Am Felsen am Ufer des Meeres entrollt der Dichter sein großes Manuskript, er wird singen, ewig singen von seiner unmöglichen, idealen Liebe, für immer. Dann fällt der Vorhang und man begreift, es gibt keine Unschuldigen. Nur Verstrickung. Und der Choreograf muss sich überlegen, wie man das macht, tanzen mit dem „goldenen Schilfrohr“.
Dieter Wenk (02.07)
Céline, La Naissance d’une fée. Ballet en plusieurs actes, in: Louis-Ferdinand Céline, Ballets sans music, sans personne, sans rien, Éditions de Pascal Fouché, Paris 2001 (Gallimard)
Pascal Fouché (Hg.), Céline, le progrès, suivi… – Fortschritt und andere Texte für Bühne und Film, zusammengetragen und vorgestellt von P.F., Merlin Verlag, 1997, 272 Seiten