7. Mai 2007

Chronik einer angekündigten Geschäftsübernahme

 

 


„profonde pensée“

 

Tiefenrausch mit einer Flachzange in der Hand. R+D Vernissage #1, am 11.5.07, 20 Uhr, Trottoir, Hamburger Hochstraße 24, 20359 Hamburg

 

Im Trottoir wird die Neueröffnung einer Haxenbraterei gefeiert. Das Bild einer solchen. Es sind Kulissen und darin herrscht eine Vollkommenheit nach Maßgabe der Desaster. Wenn Frauen sich zu Schreibmaschinen und Bücherstützen machen lassen, ist’s Zeit für eine Lektion, nicht für tiefe Gedanken. Wer kann sich zu solchen Fragen besser äußern als Camille Claudel, als Muse und Schreibmaschine Rodins, die Kleinskulpturen herstellte mit Namen „profonde pensée“, die fatal an Bücherstützen erinnern. Ob man 1905 schon solcherart Bücherstützen benutzte? Freilich, wir haben da Historismus und es steht zu befürchten, dass damit alles begann, der Kitsch zumindest, den wir heute vorliegen haben, und Freud und die Psychoanalyse – hat auch eine Sorte Kitsch produziert, die es vorher nicht gab, Küchenpsychologie – Hilfsausdruck, besser gleich einfach und brutal: die Pose der Frau am Kamin, ist die Haltung einer, die zu arm ist für die tiefenpsychologischen Analysesitzungen. Denn das musste teuer sein, das gab es nicht für weniger, das war so festgelegt, das war nur etwas für reiche Hysterikerinnen, die vor lauter Degout und Müßiggang eine Luxusanalyse machen konnten, anders als die resolut auf Heilung abzweckenden Verfahren heutiger Tage für alle. Also alle, die kein Geld hatten, konnten besser ein wenig mit dem Kamin plaudern. Wenn dabei kein tiefer Gedanke aufkommt, kann man immerhin knien, und das sieht dann als Ensemble „Frau am Kamin“ auch so ein wenig altarähnlich aus, folgt also auch einer in christologischen und künstlerischen Zusammenhängen vertrauten Maßnahme einer Idee von Opferung jedenfalls. Zwar hat sich das fürs Gemeinderitual längst abstrahiert, gewandelt in Oblaten und Wein und Bier und Salzstangen, nun aber mit einem kleinen Lämpchen im Onyx-Kamin ist’s doch wieder blutig leuchtend. Bronze und Onyx, bizarres Piece. Natürlich ist die Ausstellung etwas für Leute, die sich routiniert einen schleudern können. Ob in Texten oder Werken. Wie man überhaupt davon ausgehen kann, dass man eine Ausstellung zu Gesicht bekommt, die der tiefe Gedanke heißt, aber erst mal zuverlässig profanes pensées provoziert. Frauen, Kamine, Wahnsinn, Selbstimagination als Künstler, Privatidiotie, kurz: Motive des Wohlstandsservices. Oder sollte man vom Lohnstandsserver sprechen? Du und dein Wohlstandsserver ... Du und der Zauber der Farben. Du und der Motor des Systems, wer auch immer hier der bessere Künstler ist, die Sache mit den Statussymbolen haben sie jedenfalls verstanden. - Da steht ein Galerist am Kamin, hast du den gesehen, krass! Es ist der tiefe Gedanke unter alten Bekanten. Im Trottoir wird die Neueröffnung einer „Haxenbraterei“ gefeiert. Das Bild einer solchen. Es sind Kulissen und darin herrscht eine Vollkommenheit nach Maßgabe der Desaster. Mimesis und Konstruktion wird den Kunstwerken zur Nötigung, Radikalismus mit Besonnenheit zu vereinen. Da hilft dann wirklich nur noch Borderline, wofür es Profis gibt. Ein Künstler ist, solange er einen guten Lauf hat, ähnlich dem, der große Schmerzen hat, irrtumsimmun, er ist sich sicher, Kunst zu produzieren, so wie man sich sicher ist, Schmerzen zu haben.

 

www.trottoir-hh.de

 

Am 20. August wird man sich darüber in München weiter aufregen können. R+D werden "Kultur & Gespenster" pimpen – wir werden vor allem mit einem BMW fahren, einem Siebener. Schwarz natürlich. Selbst Wittgenstein, der alte Gossipdoctor, ist da mit seinem Latein am Ende.

 

OUTSIDE_IN

Lenbachhaus, Kubus, Klopstockstraße 10,

80804 München (ab 20. August 2007)