18. April 2007

Schmerz lass nach

 

Im obersten Geschoss wohnen die Dichter. Das war schon immer so. Guter Überblick, niemanden über sich, wegen Lärm, und vor allem guter Preis, weil oft Mansardenzimmer. Wie aber, wenn es zu eng wird im Dachstübchen, wenn der Dichter zu sehr verwächst mit seinem Helden und kein eigenes Leben mehr führen kann, weil er letzteren überallhin verfolgen muss, um auf dem Laufenden zu sein, was gerade in diesem Metier, sprich Polizei- respektive Detektivgewerbe, nicht ganz leicht ist. Und wenn man sich so richtig reinfuchst in seine eigenen Figuren, dass sie plötzlich so direkt vor einem stehen und einen anschauen, als ob sie richtige Menschen wären, kann man schon mal für einen Moment wie von einer Schlange so hypnotisiert sein, dass man den Übergang gar nicht bemerkt, der einen restlos und für eine unbestimmte Zeit auf die andere Seite befördert. Dann fängt der Spaß erst richtig an. Weil man jetzt nicht mehr wirklich ganz oben wohnt. Man ist umgezogen und ist auf einem niedrigeren Geschoss zu Hause, sprich nicht mehr privilegiert, wie man sich das dachte, als man ganz am Anfang stand und glaubte, alles in der Hand zu haben. Und so einer wie der Brenner funktioniert dann eben nach einer ganz eigenen Logik. Hat Sachen, die Konsequenzen nach sich ziehen, an die man doch nie gedacht hat. Zum Beispiel die Migräne. Dass da einer dann mal wirklich die Pistole gegen sich richtet. Aber natürlich, weil er überlebt, erst mal überhaupt nicht weiß, wie ihm geschah und eine ganz große Unordnung anrichtet, die dann erst mit der Zeit wieder beseitigt werden kann. Was ja verständlich ist, weil nach einem solchen Unglück (Brenner: Mordversuch) alles ins Schliddern gerät, die Zeit, die Kausalität, und wenn dann auch noch alte Kumpane mitspielen, die fast so heißen wie man selbst, also Aschenbrenner, dann ist lange unklar, wer da die Pistole in der Hand hatte und abdrückte. Selbst wenn man weiß, wie das gelaufen ist, weiß man aber noch längst nicht, was da genau damals in der Raiffeisen-Sparkasse passiert ist, wer da diesen Schuss abgeben hat, und ob nicht, wie so oft, nein, wie eigentlich immer, nicht eine Frau im Hintergrund stand, die selber nicht die Fäden gezogen, aber natürlich alles ins Rollen gebracht hat, das Muster kennt man ja seit Urzeiten, Helena, gegrüßt seist du unter allen Romanheldinnen, und dass letztlich auch hier wieder die engsten Familienbande die schlimmsten Dinge nach sich ziehen, wie damals die Maric heute die Soili, ihre Tochter, aber von wem eben die Tochter, das ist eine ganz eigene Frage, im Grunde nicht zu beantworten, aber genau da sind die empfindlichsten Gefühle im Spiel, weshalb es ja auch so viele Tote hier gibt, die ganzen potenziellen Väter, einer nach dem anderen fallen sie, nur der Brenner hat Glück, den hat man sich schließlich auch ausgesucht als Leitfigur, und wenn der so schlau oder auch so blöd war, nicht mit der Maric zu vögeln, so ist ihm halt Schöneres für später aufgehoben, die Soili mag ihn ja auch ganz gern, und wie der Brenner da aus dem ganzen Polizeischlamassel rauskommt und endlich seinen Jugendtraum erfüllen kann, da muss schon ein Dichter sterben, weil was soll da noch nachkommen bei so viel Glück.

 

Dieter Wenk (09.03)

 

Wolf Haas, Das ewige Leben. Roman, Hamburg 2003 (Hoffmann und Campe)