17. April 2007

Der schwarze Zwerg

 

 

„Er aber hatte das Problem, dass sich die Geläufigkeit seiner Erfahrungen zu verflüchtigen schien und unbekannte Nebenreize sich in den Vordergrund schoben.“   Wilhelm Genazino

 

 

1.

Ein Mensch träumt unter Farnen. Er ist kurz geraten. Nur ein räudiges Fell schützt den Leib. Ein Buckel verunstaltet ihn zusätzlich. Der Mund nimmt in der Anlage eines maskenartigen Antlitzes viel Raum ein. So liegt einer da wie grinsend. Ihm ist auch wohl in seinem Heidenschlaf. Ein Seemann kommt heran. Der Matrose wollte nur einmal etwas abrücken von den stinkenden Kameraden am Strand. Er steht nun staunend im Busch. Das Wesen zu seinen Füssen erscheint ihm viel zu abstoßend, um als Mensch angesehen werden zu können. Er weckt das kleine Ungeheuer mit der Stiefelspitze und hält es von jedem Fluchtversuch mit einem ordentlichen Hieb ab. Als Souvenir tritt das Scheusal bald eine weite Reise an, auf einem deutschen Schiff und in einem eisernen Käfig. Man verschließt sein Maul mit einem Knebel. Die Affen an Bord werden freundlicher gehalten.

 

 

Um hier keine Langeweile mit Ausführlichkeit zu riskieren, sei gleich gesagt, dass der schwarze Zwerg zur Erbauung seines ersten Besitzers wenig beiträgt. Er findet für ihn keine andere Verwendung als mit seiner Hässlichkeit Leute zu erschrecken. Schließlich gibt er den Wicht an einen Herrn ab, der ihn im Spiel samt seinem Käfig, den Ketten und einem Halseisen verliert.

 

 

2.

Aus den Aufzeichnungen von Otto Wundersamen

 

Herr v. Zierenberg zeigt mir den schwarzen Zwerg. Er führt ihn nackt und verschnürt vor - und traktiert ihn, damit er lebhaft wird. In seinem schnatternden Schmerz klingt der Ärmste wie ein gemarterter Affe. In seinen Zügen bemerke ich Trotz, so als könne die Kreatur Stolz und infolge dessen auch Kränkungen empfinden. Es ist ihm aber nichts beizubringen, wie mir Herr v. Zierenberg versichert. Er weist mit einem Stock auf das imponierende Zeugungsorgan; ein Esel wäre damit glücklich. Der ausgezeichnete Herr v. Zierenberg hat die Absicht, das Stück eigenhändig zu amputieren. Er will sich zuvor aber von seiner Funktionstüchtigkeit überzeugen. Das Experiment soll ein Spaß werden. Dessen Vorbereitung überträgt mir Herr v. Zierenberg vertrauensvoll als Aufgabe. Ich gehe gleich zu Frau Maier in die Breite Gasse, die mich mit ihrem ganzen Sachverstand berät und mit einer Hammelschulter und Bier bewirtet. Ich lasse mir alles gefallen, ohne die gute Frau in ihrer Neugierde vollkommen zufrieden zu stellen. Mein guter Leumund verdankt sich meiner Verschwiegenheit nicht zuletzt.

Frau Maier führt mir endlich ein stummes Mädchen zu. Es ist von erbärmlichem Wuchs und ganz reizlos. Zu allem Überfluss hat es am Kopf eine kahle Stelle. Ich zahle für das Elend nicht ganz die geforderte Summe. Ich bringe es zum Haus von Herrn v. Zierenberg. Eine Gesellschaft aus Freunden des Hausherrn hat sich dort versammelt, lauter vortreffliche Männer. Kein Einwand erhebt sich gegen das in der famosen Umgebung besonders stupid und verworfen wirkende Mädchen. Herr v. Zierenberg lässt ihm etwas Schweinesülze vorwerfen. Er bedeutet dem Mädchen, die Sülze zu fressen wie ein Hund. Es gehorcht sofort. Vielleicht kennt es nichts anderes. Beim Anblick des schwarzen Zwergs erschrickt es furchtbar, findet sich aber, aufgemuntert von ein paar Ohrfeigen, zu allem Nötigen bereit. Zur Freude der Herren versteht der schwarze Zwerg, worauf es ankommt. Während die Paarung coram publico auf blanken Dielen stattfindet, schlägt Herr v. Zierenberg mit der neunschwänzigen Katze auf das Gespann ein, das die Behandlung, vermutlich aus Gewohnheit und in seiner Aufregung, einfach über sich ergehen lässt. Die Zumutung kenne ich als battre à Allemand, doch habe ich für den Namen keine Erklärung.

 

Man zwingt den schwarzen Zwerg in sein Gefängnis. Die Herren binden das lärmende Zwischenwesen tüchtig fest und treiben einen Ring durch seine Nase. Auf eine Penisamputation noch an diesem Abend verzichtet man. Herr v. Zierenberg schlägt sein Wasser über dem schwarzen Zwerg ab, und fordert seine Freunde auf, es ihm gleich zu tun, bevor alle aufgekratzt ins Wohnzimmer zurückkehren. Mir wird mein Lohn großzügig ausgezahlt. Ich fahre mit dem Mädchen zu Frau Maier. Sie prüft den Zustand der Hure. Sie hat nichts zu beanstanden und enthält sich auch neuerlicher Feilscherei. Nach all den Erregungen des Tages und um ein beachtliches Handgeld reicher begebe ich mich zum Nachtmahl in die Bornheimer Burg. Ich werde zuvorkommend von der ältesten Tochter des Hauses bedient. Sie ist schon siebenundzwanzig und noch ledig. Ein Lümmel, der ihr die Ehe versprochen hatte, kam als Soldat ums Leben. Ohne besonderen Genuss nutze ich ihre Zugänglichkeit aus. Ich will nur noch etwas Zeit verstreichen lassen vor der Bettruhe. Ich bin schon recht müde, als ein Bediensteter von Herrn v. Zierenberg mit der Bitte an mich herantritt, meinen Wohltäter vor der Tür zu treffen. Ich entdecke Herrn v. Zierenberg an der nächsten Ecke. Er verlangt meine Unterstützung bei einem Unternehmen, das keinen Aufschub duldet.

 

Ich erfahre, dass Herr v. Zierenberg nach der Unterhaltung am Nachmittag noch aus war, um im Haus von Doktor Holland Karten zu spielen. Wie gewöhnlich gewann mein Gönner, bis ein Unbekannter bat, in die Partie einsteigen zu dürfen. Der fremde Spieler sei gut gekleidet und verstünde, sich zu benehmen. Er habe sich aber unlauter an Herrn v. Zierenberg bereichert, der gleichwohl gute Miene zum bösen Spiel machte. So ist er. Kaum je sah ich ihn mit der Tür ins Haus fallen. Ihm liegen die heimlichen Varianten. Wäre er kein Herr, könnte man ihn tückisch und gemein nennen. Ich rate ihm, in seinem Haus auf mich zu warten. Er soll keinen Verdacht in einer Sache auf sich zu ziehen, die ich ohnehin besser allein erledige. Herr v. Zierenberg geht auf meinen Vorschlag ein, und ich beeile mich, in der ersten Stunde eines neuen Tages (bei angenehmem Wetter) einen vertrauenswürdigen Kutscher aufzutreiben. Der brave Mann bringt mich zum Haus von Doktor Holland, wo der Falschspieler immer noch sein Wesen treibt. Er schillert wie ein Pfau. Bei der ersten Gelegenheit nehme ich ihn mit meinem Freund, dem Totschläger, an, schaffe ihn als Bewusstlosen in die Droschke und serviere ihn gefesselt und geknebelt Herr v. Zierenberg vor dem Frühstück. In seiner Dankbarkeit lässt er mir eine Kalbslende auftischen. Er ist selbst kein großer Esser, erfreut sich aber an meinem gesunden Appetit.

Der Falschspieler liegt auf den Dielen und stinkt vor Angst. Ab und zu erhebt sich Herr v. Zierenberg, um dem Gefangenen einen Tritt zu verpassen. Er bespricht mit mir Torturen wie bei einer amtlichen Verbalterrition. „Sie sind schon so gut wie tot, mein Freund“, sagt er zu dem Mann am Boden, „und wenn Sie noch etwas bedauern möchten, dann das es soweit noch nicht ist.“

Herr v. Zierenberg redet vom Leid des Heilands, dem schon so viele in den Schmerz folgten: freiwillig wie die Flagellanten und unter Zwang wie die ersten Christen in Rom. Mir fällt ein, dass man das Schauspiel vom Nachmittag in einer nur teilweise anderen Besetzung noch einmal aufführen könnte.

Mein Vorschlag wird angenommen. Zumal an dem experimentellen Aspekt des Vorgangs ist der vorbildliche Herr v. Zierenberg sehr interessiert. Er legt ein paar Eisen ins Feuer. (Er verwahrt seine Instrumente in beinernen Magazinen. Die Knochen stammen von Negern, die allesamt einen qualvollen Tod gehabt haben sollen.) Ich kette den kerngesunden Delinquenten an einen Prügelbock, ersetze den Lederknebel durch ein birnenförmiges Gerät, das sich unter dem Druck einer Feder im Mund ausbreitet, und schneide seine Hosen mit meinem Lieblingsmesser auf. Herr v. Zierenberg beginnt die Bestrafung mit einer Disciplina.

Ich hole den schwarzen Zwerg aus seinem Arrest, sehr gespannt darauf, wie er in dieser Angelegenheit pariert. Herr v. Zierenberg bereitet ihm den Weg mit einem Stock. Der schwarze Zwerg folgt tapfer der vorgegebenen Richtung. Allein in der sexuellen Sphäre scheint er helle Momente zu haben. Ich sehe einen beinah menschlichen Ausdruck verschlagener Freude auf der ganz und gar missratenen Schnauze. Ich studiere auch das vielfältige Wechselspiel von Angst, Schmerz, Scham und Verständnislosigkeit (nicht aber Hass, wie man denken könnte) in den Zügen seines Opfers. Der schwarze Zwerg verbeißt sich im Nacken, als wüsste er, wie amüsant seine Zügellosigkeit ist. Herr v. Zierenberg reibt Salz in die Wunden. Er stimmt ein Lied an.

Er singt mit schöner Stimme. Herr v. Zierenberg ist in vielen Künsten bewandert. Er weiß alles über die menschliche Anatomie und das Wesen des Schmerzes als einer Perversion erregter Nerven. Mit einem glühenden Eisen brennt er dem schwarzen Zwerg ein Loch ins Fell. Der gepeinigte Halbaffe vergisst augenblicklich sein Werk. Ich schaffe ihn weg und belohne die Missgeburt mit den Resten meiner Mahlzeit. Der Anblick des tätigen Gierschlunds lässt mich schaudern.

Herr v. Zierenberg kümmert sich noch um seinen Gast. Dessen Beförderung zu den Toten überlässt er schließlich mir. Ich schleppe die Leiche in den Garten und trenne da den Kopf vom Rumpf: als Trophäe. Herr v. Zierenberg besitzt einige Schrumpfköpfe und astreine Totenköpfe und obwohl sie ziemlich gleich aussehen, kann er jeden mit Namen ansprechen. Den Leib gebe ich verhüllt dem Kutscher zum Abtransport. Herr v. Zierenberg und ich reden noch darüber, wie herrlich sich der schwarze Zwerg bewährt. Philosophisch gestimmt, sagt der vorbildliche Herr v. Zierenberg, dass in Gottes weiten Fluren jedes Ding und jedes Wesen zu etwas gut ist. Man muss es nur entsprechend einsetzen. Das will ich mir merken.

 

Als Untermieter der Witwe Kutscher bewohne ich eine Kammer in der Heidestraße. Ich bin angenehm untergebracht. Die Witwe ist zu mir wie zu einem Sohn. Jedenfalls stelle ich mir das so vor. Aus eigener Anschauung kann ich nichts Bestimmtes sagen. Ich weiß wenig über meine Mutter und nichts von meinem Vater. So wie ich in die Welt geworfen wurde, schien ein dürftiges Schicksal schon besiegelt. Dass es sich nicht erfüllte, verdanke ich allein der tatkräftigen Fürsorge des Herrn v. Zierenberg. Er las mich von der Straße auf und machte mich zu seinem Burschen. Er unterrichtete mich auch. Wenn ich dazu eine Neigung gezeigt hätte, könnte ich heute ein Instrument spielen. Ich fühle mich aber von keiner Kunst angesprochen. Ich kann nur Zeugnis ablegen von meinem Dasein, das mir die Freiheit und das Vergnügen eines Herrn gewährt. Im Übermaß besitze ich Mut und Zuversicht. Ich bin täglich bestrebt, mein Vermögen zu vermehren. Es ist mein Ziel, mich von meiner zweifelhaften Herkunft nicht in die Schranken weisen zu lassen. Darum bitte ich Gott, auch wenn ich ihn im Übrigen aus dem Spiel lasse. Ich halte mich lieber an Herrn v. Zierenberg, dem das Leben bestimmt nichts schuldig bleibt.

 

Ich habe den Tag verschlafen, und vor mir liegt ein Abend ohne Verpflichtungen. Die Witwe bietet Käse an. Wie alle Tage, drängt sie mich, zur Messe zu gehen. Das scheint ihr einziges Vergnügen zu sein. Sie ist kinderlos geblieben und außer mir und Gott kann sie keinem was sagen. Ich dulde ihre Gegenwart in meiner Unentschlossenheit. Was soll mir der Abend bringen? Schließlich fällt mir fürs Erste nichts Besseres ein als mir in der Bornheimer Burg den Bauch voll zuschlagen. Die Witwe findet erst noch etwas Pastete für mich. Sie hält mich auf. Ich glaube nicht, dass es mit ihrer Tugend früher weit her war. In der Alten lodert ein Feuer, auch wenn sie das nicht einmal dem Teufel zugeben würde. Die Menschen sind so, das habe ich von dem außerordentlichen Herrn v. Zierenberg gelernt.

 

Die Wirtsleute schmeicheln mir. In ihrer Einfalt gehen sie soweit zu glauben, ich wollte mich auf Mia als Bräutigam einlassen. Sie fürchten, das gute Kind könnte in seiner vorgeblichen Unberührtheit vor ihren Augen wie ein Bratapfel verschrumpeln. Sie haben die bösen Gesichter kleiner Leute, die nur noch Aussicht auf ein Grab haben. Ihre Verkommenheit baut sich überall kleine Nester.

„Der Hunger treibt´s rein“, sage ich zu Mia, angesichts eines Haspels. Ich liebe Haspel, will aber keinen Übermut aufkommen lassen. In ihrer tristen Lage soll Mia sich ducken.

Ihre Familie hält mich für den Sekretär von Herrn v. Zierenberg, der seine Schriftsachen aber zu seinem Vergnügen und mit einer schönen Handschrift selbst erledigt. Mich braucht er für andere Zwecke. Ich lasse mich von Mia umgarnen und genieße es, zu beobachten, wie sie dabei von ihren Eltern unterstützt wird. Die Alten sind schon am Verwesen.

In der Bornheimer Burg verkehren Honoratioren. Sie bilden den vornehmsten Gegenstand meiner Neugier. Ich betrachte einen Herrn, von dem man weiß, dass er in höchsten Kreisen willkommen ist. Seine Erscheinung vereint Empfindsamkeit und Härte. Bestimmt steckt auch in ihm ein körperliches Verlangen danach, sich selbst zu gehören. Aus lauter Sportsgeist möchte ich ihm auf den Kopf schlagen, was Gott verhüten möge. Manchmal denke ich, ich könnte zu arg sein.

„Es ist noch keinem etwas Besseres eingefallen, als ein solides Familienleben“, behauptet der verknatterte Wirt. Er kann mir mit seinen Groschenweisheiten gestohlen bleiben.

 

Wie eingeschlafene Füße fühlt sich der Abend an. Auf der Straße sehe ich zwei Burschen, die ein (mit was auch immer in die Willenlosigkeit getriebenes) Dienstmädchen in ihre Mitte genommen haben. Ich folge dem Ensemble in eine Spelunke, darauf aus, da einen Vorteil zu finden. In dem Schlupfloch verliere ich die Eierdiebe mit ihrer Beute aber aus den Augen.

 

Regen beeinträchtigt meinen Müßiggang. Ich suche Schutz in einer Weinstube, wo ich an einen Philosophen gerate, der bemerkenswert spricht.

Der Gelehrte ist ein redlicher Zecher. Er trägt, zu seinem Vorteil, einen Rock mit goldenen Knöpfen. Ihr Glanz sticht mir ins Auge. Der Mann wird sich von seinen Knöpfen trennen müssen, soviel steht fest. Meine Gegenleistung besteht darin, dass ich mich ihm bis dahin als interessierter Lausejunge zur Verfügung stelle. Er hat in mir einen idealen Zuhörer, der gern gesteht, dass sein Verstand von der Welt viel zu wenig aufgefasst hat. Wie kommt es aber, dass ich keine Achtung empfinde vor seiner Bildung? Er kommt mir nur vor wie der armseligste Cephalopoda. 

 

Wir treffen wir uns noch einmal, so wie ich es vorausgesehen habe. Ich richte es so ein, dass die Koryphäe von mir nicht einmal den Schatten sieht. Ich belehre sie in der Sprache meines Freundes, bevor ich die Knöpfe an mich bringe und was sonst noch in ihrem Besitz von Wert ist. Jetzt ist mir wohler. Erfrischt von einer Brise Gefahr und mit dem Gefühl, Gott nicht einfach nur den Tag gestohlen zu haben, besuche ich die liebenswürdige Frau Maier. Ich kenne sie auch als eine Person, die für meine Spezialeinkäufe Verwendung hat. Mein leibliches Wohl liegt ihr so am Herzen, dass ich bald vor einem Hühnchen sitze und außerdem ein Hühnchen an meiner Seite habe. Während ich das eine genieße, genießt es das andere noch am Leben zu sein. Das ist heutzutage keine Selbstverständlichkeit. Ich rate ihm zu einem besonderen Gebet und nehme seine ganze Inbrunst stellvertretend entgegen. In dieser Nacht lasse ich mir von Frau Maier das Bett machen. Sie hat mich gern im Haus.

 

„Die Stadt ist voller Gesindel“, sagt sie mir zum Frühstück. Ich ruhe bequem. Frau Maier ist nicht mehr taufrisch, aber sie hat ihre Vorzüge. Ich schätze sie als vermögende Frau und Spezialistin ihres Fachs. Schon lange dient ihre Kunst allein dem eigenen Vergnügen und bleibt einer handverlesenen Schar bewährter Draufgänger vorbehalten. Frau Maier mag ihre Liebhaber glattgesichtig, so wie sie die Hellen den Dunklen vorzieht. Die Herren wissen voneinander und erweisen sich als Lochschwager jede Ehre. Zu bemerken bleibt hier noch, dass Frau Maiers Arsch so groß ist wie ein Wagenrad. 

Ich frühstücke Schinken, Speck und Markknochen. Ich muss einen erfreulichen Anblick bieten. Frau Maier ist von dem aufrichtig hungrigen jungen Mann in ihrem Bett sehr angetan. Sie zügelt ihre Wollust aus einem triftigen Grund. Ein Bursche, erhitzt wie nach einem langen Ritt, wird vorstellig, um den doppelten Verlust von zwei Huren zu melden. Der Mann vor Frau Maiers Bett hegt einen Verdacht und hält damit nicht hinter dem Berg, dass nur und ausgerechnet der einäugige Karl sich der armen Täubchen mit mehr Gewalt als gutem Zureden bemächtigt haben könnte. Karl verdankt der hilfsbereiten Frau Maier manches. Die Beste bricht über soviel Bosheit in Tränen aus. Ich tröste sie mit meiner Bereitschaft zum prompten Aufbruch. Ich werde noch gebeten, den Schuft wacker zu massakrieren, da stehe ich schon in Stiefeln an der Tür.

 

In der vorrömischen Welt machte eine ungesühnte Ohrfeige aus einem freien Mann einen Sklaven. Man hatte sich zu wehren. So ist das immer noch. Während ich Karl suche, findet mich Wagner. Er wurde in Amerika geboren und war dort in Kämpfe mit Indianern verwickelt. Die Aussicht auf ein großes Erbe führte ihn in die Alte Welt. Er hält Anteile an einer Handelsgesellschaft. Sein Haar ist feuerrot. Ich kenne kaum einen leichter zu entflammenden Mann als ihn. Gemeinsam kehren wir in der Bornheimer Burg ein. Mia serviert uns eine Hammelschulter in süßer Soße. Wir trinken Apfelwein. Ich erzähle Wagner vom schwarzen Zwerg. Er hat dergleichen Kreaturen in seiner ersten Heimat gesehen und von anderen Orten gehört, wo sie heimisch sind. Wagner rät dazu, den schwarzen Zwerg nicht zu lange im Haus zu halten, allerlei Mysterien wegen, die solche nach sich ziehen. Ich erwäge die Worte dieses weit gereisten Mannes, um sie endlich für wenig bedenklich zu halten. Schon wird mir der Kopf schwer, gern würde ich mich ein Stündchen aufs Ohr legen. Wieder fügt sich alles gut.

 

 

Nachtrag

 

So enden die Aufzeichnungen des Otto Wundersamen. Vermutlich erschöpfte sich sein Ehrgeiz als Schriftsteller im ersten Anlauf. (Auf jeden Fall wurden weitere Mitteilungen nicht gefunden.) Die Lebensläufe der amtlich geführten Protagonisten der wundersamen Abenteuergeschichte dokumentieren andere Quellen. Die Leute spielten ihre Rollen vor großem Publikum. Zeitzeugen ließen sich über sie aus. Sie hinterließen Eigentum, das teilweise noch heute mit ihren Namen verbunden ist; so wie das Holland-Palais im Großen Hirschgraben. Von Zierenbergs obskure Sammlungen blieben in Familienbesitz.

Vom schwarzen Zwerg weiß man sonst aber nichts; es sei denn, man schenkt dem Geschwätz alt eingesessener Bornheimer Beachtung. Demnach soll im 19. Jahrhundert ein Halbaffe in den Katakomben der Burg sklavisch gehalten geworden sein. In besonders fantastischen Varianten ist die Rede von zwei ungeheuer hässlichen Kreaturen. Den Ableger könnte die stumme Hure in die Welt gesetzt haben. Otto Wundersamen wäre dann ihr Gefängnisdirektor gewesen, denn, entgegen seiner ersten Absicht, sicherte er sich, sich mit Mia vermählend, das Herrschaftsrecht in der Burg. Bereits in seinen Zwanzigern wurde er bieder. Porträts zeigen den Wirt in einem Zustand feister Selbstherrlichkeit. Im Übrigen nennt der Lokalhistoriker Edmund Lech Mia als die erste in einer Reihe unglücklicher Frauen in der Burg. Es soll noch kein Wundersamen nicht tyrannisch gewesen sein.

 

 

Jamal Tuschick

 

Aktuelle Veröffentlichung: Hrsg. v. Hillen, Boris: Foto-Synthesen, Anthologie, Pahino-Verlag 2006

 

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