3. April 2007

Risskanten des Realen

Death Valley (2004)
Haus im Grünen (2006)
Parallele Welten (2006)
Transport (2006)
House of Darkness (2006)
House of Darkness (2006)
My Utopia is Never Gonna Work (Pain) (2004)

 

Bildverfahren bei Markus Draper 

 

Markus Drapers Bildwelt entzündet an Vertrautem eine fremde Künstlichkeit, die zumeist stark ins Unheimliche spielt. Das war in früheren Arbeiten abstrakter angelegt als heute, vielleicht auch kühler und hermetischer – etwa mit dem gezielt verbauten Blick in Blocker (2002) oder der so verknappt wie obskur daherkommenden Serie Schwarz sehen (1999–2001), in der Draper pastos dunkles Farbmaterial aus weißen, längsspaltigen Bildkörpern herausquellen ließ, als sollten da Mysterien simuliert werden oder ein minimalistisches Gruseln. Mittlerweile arbeitet er mit stärker naturalistischen Szenarios: Mit atmosphärisch aufgeladener Landschaftsmalerei zum Beispiel, die dennoch nicht weniger hermetisch ist und einen düsteren Abglanz von Natur- und Zivilisationsbrachen vor Augen führt. Oder auf Ebene von Skulptur und Installation, wenn er mit betont simplen Mitteln (Sperrholz, Farbe, auch mal Realobjekte als sparsam eingesetzte Wirklichkeitszitate) ruinenhafte Behausungen oder Landschaftspanoramen nachstellt wie in My Utopia is Never Gonna Work (Pain) oder Grand Canyon (beide 2004). Doch frühere und aktuelle Werke Drapers kommen darin überein, dass es mit ihnen stets um einen „Raum dahinter“, um Ungewisses und Erahntes geht – mal ganz buchstäblich, in jedem Fall aber imaginär. Unversteckt setzt Draper per Simulation und Effekt ein Spiel mit dem Angedeuteten, dem Unheimlichen in Gang. Und wenn er dabei mit Mitteln der Collage, des Modells oder der Kulisse die Wirklichkeit in ihrer Fragmentierung re-inszeniert, stärkt er deren Bildhaftigkeit.

 

 

Auf Basis von Collage und Modell entwickelt Draper Bildverfahren, die eine strukturelle Gebrochenheit ins Bild einbinden und suggestiv verstärken. Visuelle Dramatisierung und modellhafte Reduktion gehen dabei Hand in Hand, denn für ihn ist „das Modell so etwas wie die Vereinbarung einer Illusion.“(1) Eine Illusion freilich, „die wir in der Praxis gleich wieder anders besetzen“, so Draper. „Sobald man sich auf sie konzentriert, geschieht das im Bewusstsein von Realität. Wie im Kino. Mich interessieren Modellsituationen, in denen Realität voll improvisiert ist und die dabei zum Mittel werden, sich stärker auf die Illusion einzulassen.“

 

 

Der Kinoblick aufs Bild als probehafte Setzung seiner Wirklichkeit: Tatsächlich hat Draper diesen improvisatorischen Umgang mit der Illusion auch bereits im Medium Film umgesetzt. House of Darkness (2006) ist das erste größere Werk dieser Art, und wie in einer Rückkopplung entspringen für ihn daraus auch starke Impulse auf Malerei und Skulptur. In gewisser Weise ist House of Darkness ein Beitrag zu einer „skulpturalen Malerei“, wie Draper es nennt – er erfindet und erprobt damit eine neuartige Mischform, die sich vor allem durch Direktheit auszeichnet: „Beim Arbeiten mit Film hat mich immer wieder erstaunt, wie viel man da improvisieren kann und was sich dadurch alles erreichen lässt – etwas, das bei der Malerei ja nicht in gleicher Weise möglich ist, dort benötigt man Fixpunkte, eben Collage-Vorlagen. In einer gewissen Direktheit immer wieder eingreifen zu können, das kam meinen Vorstellungen entgegen, und es hat auch für den Umgang mit Malerei und Skulptur viel in Bewegung gebracht. Ich habe da jetzt viele Ideen, wie sich das weiter umsetzen lässt. Es war für mich ein wichtiger Schritt, als ob ich aus einem Nebel heraustreten, die Dinge plötzlich direkter anfassen konnte.“ House of Darkness, eigentlich eine Art Trickfilm, übersetzt den Modus des Modells ins Filmische, in malerische und plastische Handlung. Hier verbinden sich Malerei und Skulptur zur Bühne, „um sich stärker auf die Illusion einzulassen. In dem Sinne, dass man sagt: Handlungen, die in diesem Raum stattfinden, haben Modellcharakter, sind Beispiel für etwas. Es könnte zu langweilig sein, wenn ich sage: Etwas ist so. Ich kann nur sagen, es ist innerhalb des Modells so, nicht aber innerhalb der Realität.“ In Blick auf Fiktionalisierung versteht Draper das Modell als Stufe zwischen Imaginiertem und Wirklichem.

 

Seine Erfahrungen mit Film haben für Draper auch Auswirkungen auf Malerei und Skulptur. Die neueren Bilder, auch die große architektonische Skulptur Berliner Hütte (2007) wirken viel geschlossener als die betont fragmentarischen Arrangements noch der letzten zwei, drei Jahre. Sie sind auch intensiver zugespitzt auf eine spezifische Gestimmtheit durch Farbe und fast immer klassisch über Vorder-, Mittel-, Hintergrund konstruiert. Auch sind es in stärkerem Maße Bühnensituationen. „Ich sehe das nun stärker als ein Ganzes an, als ganze Welt,“ meint Draper dazu. „In früheren Arbeiten war das viel fleckenhafter, das Verhältnis von Vorder- oder Hintergrund war gar nicht so genau geklärt.“ Auch wenn man es den neuen Arbeiten nicht sofort ansehen sollte: Seine Malerei basiert noch immer auf dem Collage-Verfahren, die Bildfindung vollzieht sich hier durchweg in kleinformatigen Papierarbeiten, die Draper per Hand collagiert und dann meist ohne Abweichung und digitale Nachbearbeitung in Malerei überträgt. „Die Collage ist für mich eine Methode, sich etwas auszudenken“, sagt er. „Das unmittelbar Abbildhafte hat mich nie interessiert, ich wollte immer noch Überhöhung, Veränderung einbringen. Mit der Collage ist das dann bereits im Vorfeld geklärt. In der Malerei will ich den Eindruck wiedergeben, den mir die Collage als ganzes Bild vermittelt. Das möchte ich so intensiv wie möglich umsetzten.“ Mit diesem Verfahren, der Tatsache also, dass sich die Bildfindung in einem anderen als dem Zielmedium vollzieht, führt Draper ein Moment von Irritation ins malerische Bild mit ein – was auch dann funktioniert, wenn das nicht sofort ins Auge fällt, „weil beim Collagieren ganz eigene Bildräume entstehen, die man malend vielleicht so gar nicht erfinden könnte.“ So bindet er auf Basis des Collage-Verfahrens all jene Differenzen im Bild, die es durch Risse, Schnitte, unterschiedliche Papiersorten, Auflösungsgrade und kontrastierende Farbflächen zersplittern, auseinander treiben. Mit Verquickung von Malerei, Skulptur, Handlung auf der Improvisationsbühne von House of Darkness begann Draper, das Moment der Illusion und der Geschlossenheit der Werke zu stärken und aus Versatzstücken in sich stärker geschlossene Bildwelten zu schaffen. Ging es zuvor eher um eine arrangierte Zerstörung konsistenten Bildraums, sucht er „jetzt nach Möglichkeiten, das auch wieder zurückzunehmen – und umzudrehen. Hat man nun eine plausible Landschaft mit Anlauf, Vorder-, Mittel-, Hintergrund, bringe ich da wieder was rein, was das zum Kippen bringt.“

 

Mit der Übertragung der Collage ins große Format und die Herstellung einer geschlossenen malerischen Oberfläche werden die disparaten Elemente des Bildes zum Schein in einen gemeinsamen Raum versetzt. Diesen Schein spielte Draper dann gegen Konventionen des geschlossenen Bildraums aus, wie er insbesondere eben mit Gattungen wie Landschaftsmalerei gegeben ist: Für ihn die ideale Folie, um kontraststarke Anti-Idyllen zu schaffen. Steigerte Draper in einer ersten Werkphase das Bild also in Widersprüche und dramatische Effekte hinein, setzt er inzwischen stärker auf Geschlossenheit. Während Arbeiten wie Basstreiber (2005), Alien (2005) oder Death Valley (2004) noch „auf der Idee beruhen, Landschaftsfragmente zu verwenden und diese mehr oder weniger chaotisch ineinander zu verschachteln“, fallen die Risskanten des Realen in neueren Bildern wie Haus im Grünen, Überleben im Chaos oder Transport (alle 2006) subtiler aus. Draper interessiert inzwischen stärker „der Versuch, das eigentlich collagierte, heterogene Bild als ein Ganzes zu begreifen. Früher ging es mir darum, Brüche auszuarbeiten,“ sagt er. „Jetzt wird es bereits von der Collage her räumlicher, dinghafter. Selbst wenn Bruchkanten im Bild auftauchen, versuche ich im Bewusstsein zu arbeiten, dass es eigentlich eine Landschaft ist, ein Bild. Um der Vereinbarung über die Illusion gerecht zu werden.“

 

 

Das Bild Transport zum Beispiel: Anhand des Landschaftsmotivs entfaltet Draper eine extreme räumliche Weite. Über das diffuse Vordergrundgeschehen hinweg eröffnet sich die klare Sicht auf eine ausgedehnte Ebene bis hin zu majestätisch am Horizont aufragenden Bergmassiven, über die sich ein hoher, grau lastender Himmel spannt. Er ist bedeckt und nimmt den größten Teil des Bildes ein. Eine dunkle Erscheinung zeichnet sich ab, ungewiss, ob eine Rauchsäule oder eine ungewöhnliche Wolkenformation: Etwas Unbestimmtes, das ebenso künstlichen wie natürlichen Ursprungs sein könnte und jedenfalls erhaben, vielleicht auch bedrohlich über der Landschaft ruht. Das gewaltige Panorama inszeniert Draper in charakteristisch reduzierter Farb- und Tonigkeit, die sich in überwiegend weichen Grauvalenzen hält. Das Bild ist von eigenartig irrealen Lichtverhältnissen geprägt: Zwar überwiegt ein Eindruck von diffuser Dämmerung, zudem ist durch den Lichtkegel eines Autoscheinwerfers im Vordergrund ein gewisses Dunkel markiert. Doch steht dem die Weite insgesamt entgegen, die den Blick noch bis in entfernteste Höhen führt. Kaum dass sich sagen ließe, ob man ein Tag- oder Nachtszenario vor Augen hat. Das vielleicht Irritierendste an diesem Bild ist ein hellblau erstrahlendes Gebirgsmassiv, das aus diffusem Gesamtlicht ausbricht und so den Vordergrund und den hohen, bleiernen Himmel trennt, regelrecht ein Band zwischen die Bildebenen zu schieben scheint. Tatsächlich hat Draper sowohl die Ebene des Mittelgrundes als auch die Gebirgszüge vorab als Collage konstruiert, und im Verlauf der horizontal gestaffelten Raumebenen lassen sich die Risskanten auch in der Malerei noch erahnen. In der Schlüssigkeit der Fügung wird auch klar, wie sehr Draper neuerdings auf die formale Einheit des Bildraums setzt: Aus wenigen Versatzstücken konstruiert er hier eine irrationale Räumlichkeit, bloß indem er Farbkontraste setzt und ohne, wie häufig zuvor, den Raum als solchen schon collageartig in Fragmente aufzubrechen. Das Bild fügt sich zum Schein einer in sich geschlossenen Realität, bricht ihn aber desto stärker von Innen heraus auf.

 

Auch in Parallele Welten und Fata Morgana (beide 2006) spielt Draper die Motivik des Gebirgsmassivs durch, konstruiert aus wenigen Elementen erhabene Bildräume, die das romantische Kernmotiv Natur in reduktionistischer Künstlichkeit vor Augen führen. In Parallele Welten collagiert Draper quasi im Siebdruckverfahren: Er setzt zwei identische Abbildungen eines Gebirgsmassivs nebeneinander, setzt darüber nebelartig blasse Farbschlieren und simuliert mit einem schmalen Streifen gemalten Bergs im Vordergrund ein Stückchen Hochplateau, von dem aus sich dann im Szenario die Weite ausfaltet. Fata Morgana wird zur suggestiven Erscheinung, die jede Maßstäblichkeit abstreift: Der Betrachterstandpunkt verschwimmt irgendwo diesseits der grauweißen Bergkette, die Draper im Vordergrund setzt, ein von links nach rechts durchgehender Streifen im unteren Viertel des Bilds. Dahinter erhebt sich in nicht recht abzuschätzender Distanz ein leuchtend hellblauer Gipfel, der in einen lichtorangefarbenen Himmel hineinragt. Nicht mehr als drei Collageelemente hat Draper in der Vorlage zu diesem Bild bandartig übereinander gestaffelt, um einen äußerst wirkungsstarken Bildraum zu schaffen, der bei aller Offensichtlichkeit der Konstruktion die Kraft der Illusion behauptet und zugleich Naturdarstellung bis an die Grenze zum Abstrakten führt.

 

Auf Ebene von Installation und Skulptur lotet Draper verschiedene Schnittstellen zwischen Modell, Kulisse und inszeniertem Realraum aus. Dabei zeigt sich auch hier eine charakteristische Verknüpfung von formaler Reduktion und effektvoller Dramatisierung, die, ähnlich wie in der Malerei, zum Geschlossenen und Greifbaren tendiert, um von dort aus Brüche hervortreten zu lassen. Während frühere Installationen wie Einsame Berge werden sich niemals ergeben (2005) oder My Utopia... im eigentlichen Sinne Raumbilder waren – begehbare, kunstvoll demolierte Interieurs, die Draper wie Modelle ihrer selbst im Maßstab 1:1 aufs Parkett stellte –, zieht sich die neue Skulptur Berliner Hütte stärker auf die Form einer in sich geschlossenen Fiktion zurück. Mit ihr treibt Draper das Taktile am Erscheinungshaften bis „in einen Hyperrealismus hinein“, wie er sagt, in eine zugleich strahlende und ruinöse Irrealität. Die Arbeit besteht aus einem Sockel und einem burgähnlichen Gebäude, das mit etwa 1, 70 Metern Höhe zwischen Modell und Skulptur rangiert. Es handelt ich um eine Ruine mit pittoreskem Turm. Das Dach fehlt. Der Sockel aus grob gepresstem Spanholz ist zwischen zwei und drei Metern hoch, seiner Form und Dimensionierung nach erscheint er wie ein stilisierter Berg. Draper orientiert sich in Bezug auf das Gebäude an einer Vorlage, er hatte das Original in Berlin-Friedrichshain entdeckt. : Die leerstehende Ruine war von Jugendlichen okkupiert worden, die die Außenwände mit Silberchromspray und Graffiti überzogen hatten. Draper realisierte sie im Maßstab 1:10 als Skulptur und bemalte sie ebenfalls mit Chromspray und stilisierten Graffiti. Eine Übersetzung, in der sich Reduktion und subtile Stilisierung verknüpfen: Das Mauerwerk ist deutlich plastischer gehalten – im Vergleich zum wirklichen Gebäude also gesteigert und verfremdet –, während Graffiti und Bemalung die reale Vorlage vereinfacht wiedergeben. Das Innere der Skulptur hat Draper, analog zum Vorbild, mit schwarzschlieriger Farbe überzogen. Im Ergebnis sieht das aus, als habe darin ein Feuer gewütet: ein Bild der Destruktion, ganz ähnlich wie in My Utopia. „Das Innere ist dunkel ausgesprüht, draußen hat es diesen unwirklichen Glanz,“ meint Draper. „Das hat mich interessiert, und es ist absolut neu für mich, dass ich so in Materialität einsteige.“ Ihn interessiere das Gebäude als reelles „Reststück eines Hauses, das mit Schornstein, Bemalung und einer aufgesteckten Deutschlandflagge eine merkwürdige Realität darstellt. Mich fasziniert,“ so Draper, „dass solche Ruinen im Stadtraum tatsächlich unbemerkt herumstehen, Leerstellen, bis sie von Sprayern begriffen und überhöht, hier sogar tatsächlich zur Burg stilisiert werden. Solche romantischen Tendenzen interessieren mich. Daran zeigt sich, dass es das Bedürfnis nach dem Romantischen auch in der Realität gibt – ausgehend von ganz überraschenden Gesichtspunkten. So etwas möchte ich quasi auskoppeln und als Skulptur dann in gesteigerter, vielleicht auch ins Bedrohliche überzogener Weise zuspitzen.“ Damit siedelt Draper die Berliner Hütte im Mischgebiet des Plastischen und Zeichenhaften an: Kondensiertes Abbild einer Sehnsuchtsprojektion, einer anti-idyllischen Romantisierung im real-gesellschaftlich codierten Stadtraum. Das Wirkliche, gedoubelt, mündet bei Draper in Bildern von gespenstisch irrealen Zwischenzonen.

 

Jens Asthoff

 

(1) Zitate: Markus Draper im Gespräch mit dem Autor am 4.12.2006 in Drapers Berliner Atelier.

 

Markus Draper: Fire Beats 2

vom 4. August bis zum 7. Oktober 2007

Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Galerie Neue Meister und Kupferstich-Kabinett im Residenzschloss Dresden

 

http://www.galerie-gebr-lehmann.de

www.markusdraper.de